Wirkstoff hemmt Vermehrung von Influenza-Viren
Grippe, die durch Influenza-Viren verursacht wird, sorgt jedes Jahr für zahlreiche Krankenhausaufenthalte und Todesfälle. In manchen Jahren nimmt die Krankheitslast seuchartige Ausmaße an. Die Behandlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Ein Forschungsteam entdeckte nun einen neuen Wirkstoff gegen Influenza, der Hoffnung auf eine medikamentöse Behandlung macht.
Eine Arbeitsgruppe des Exzellenzclusters ImmunoSensation2 der Universität Bonn um Professor Hiroki Kato hat gemeinsam mit Forschenden aus Japan einen neuen Wirkstoff entdeckt, der für die Influenza-Therapie genutzt werden könnte. Die Studienergebnisse des Teams wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Science“ vorgestellt.
Wirkstoff soll Vermehrung von Influenza eindämmen
Das Team identifizierte einen Wirkstoff, der die Replikation von Influenza-Viren einschränkt und so die Vermehrung der Viren eindämmt. Das Mittel erwies sich bei Mäusen sowie in menschlichen Gewebeproben bereits als wirksam und zeigte sogar Synergieeffekte mit bereits zugelassenen Grippemitteln.
Wie sich Influenza-Viren vermehren
Influenza-Viren kapern für ihre Vermehrung eine Wirtszelle. Dort verschmelzen sie ihre Erbinformationen mit denen des Wirts und zwingen die Zelle so dazu, neue Viren zu produzieren. Die Zellen besitzen jedoch eine Art Etikettier-System, mit dessen Hilfe die eigenen Erbinformationen von fremden unterschieden werden können.
Echtheit-Zertifikat in der Erbinformation
Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erläutern, wird die eigene RNS (Ribonukleinsäure) mit einer molekularen Kappe versehen, die sie als körpereigen und ungefährlich deklariert. Dies wird unter anderem vom Immunsystem genutzt, um „Freund“ von „Feind“ zu unterscheiden.
Die Kappe ist ein kleines Molekül, das an das Ende der RNS-Kette angeheftet wird. Es wird als methyliertes Nucleosid bezeichnet. Wird eine Erbinformation mit diesem Etikett versehen, löst es keine Immunreaktion aus. Fehlt diese Kappe, ist ein bestimmter Immunrezeptor namens RIG-I in der Lage, dies zu erkennen. Infolgesdessen wird das Immunsystem in Alarmbereitschaft versetzt.
Influenza-Viren stehlen Echtheit-Zertifikate
Influenza-Viren haben jedoch einen Mechanismus entwickelt, um vom Immunsystem nicht erkannt zu werden: Sie stehlen die molekulare Kappe von zellulären RNS-Molekülen und übertragen sie auf die eigene RNS. In der Forschung wird dieser Prozess als „cap-snatching“ bezeichnet, was so viel wie „Kappen-Schnappen“ bedeutet.
Schwachstelle bei Influenza-Vermehrung entdeckt
Genau bei diesem Kappen-Diebstahl setzt der neue Wirkstoff an. Denn die Wirtszelle benutzt ein bestimmtes Enzym namens MTr1, um die Erbinformationen mit der entsprechenden Kappe auszustatten. Influenza-Viren sind ebenfalls von der Funktion dieses Enzyms abhängig.
„Während andere Viren, wie beispielsweise auch SARS-CoV-2, in der Lage sind, ihre RNA-Moleküle selbstständig mit einer Kappe zu versehen, sind Influenza-Viren auf das Stehlen vorhandener Kappen angewiesen“, bestätigt Studienerstautor Yuta Tsukamoto.
„Ist die Funktion von MTr1 in der Zelle gestört, stehen keine Kappen zur Verfügung, die auf virale RNS übertragen werden könnten“, erklärt der Wissenschaftler. Die Aktivität von MTr1 sei somit für die Vermehrung des Influenzavirus in der Zelle essenziell.
Trifluormethyl-Tubercidin soll Influenza-Vermehrung verhindern
Das Team hat im Rahmen der Studie daher nach einen Inhibitor gesucht, der in der Lage ist, das Enzym MTr1 spezifisch zu hemmen – und diesen auch gefunden. Sowohl bei Mäusen als auch in Proben von menschlichem Lungengewebe konnte der entdeckte Wirkstoff namens Trifluormethyl-Tubercidin (TFMT) die Vermehrung von Influenza-Viren eindämmen.
Wirkstoff wird von Bakterien produziert
Bei dem Wirkstoff handelt es sich um ein natürliches Produkt. TFMT wird von Bakterien der Gattung Streptomyces produziert. Diese Bakterien leben beispielsweise in Böden und verleihen unter anderem Walderde den charakteristischen Duft.
„Wir hoffen, dass diese Studie zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für die Influenza führen wird“, resümiert Professor Hiroki Kato. Vorteilhaft an TFMT sei zudem, dass er zusammen mit bereits zugelassenen Medikamenten gegen Influenza wirkt und daher auch ergänzend eingesetzt werden könnte. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Yuta Tsukamoto et. al.: Inhibition of cellular RNA methyltransferase abrogates influenza virus capping and replication; in: Science (2023), science.org
- Uni Bonn: Neuer Wirkstoff hemmt Influenza-Virus-Replikation (veröffentlicht: 09.02.2023), uni-bonn.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.