Grippevirus: Einfluss auf die Blutgerinnung möglich
Die nächste Grippesaison steht vor der Tür. Wie jedes Jahr werden sich auch diesmal wieder Millionen Menschen mit dem Influenzavirus infizieren. Forschende berichten nun, dass eine Infektion mit Grippeviren auch Einfluss auf Blutstammzellen und die Blutgerinnung haben kann.
Forschende haben herausgefunden, dass eine auf die Lunge beschränkte Infektion mit Grippeviren zur Aktivierung von Blutstammzellen und der vermehrten Bildung von Blutplättchen (Thrombozyten) führt. Thrombozyten können Thrombosen begünstigen. Über die Ergebnisse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wird in der Fachzeitschrift „Cell Reports“ berichtet.
Ähnlichkeit mit schweren COVID-19-Verläufen
Wie das Paul-Ehrlich-Institut – Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (PEI) in einer aktuellen Mitteilung schreibt, kommt es jedes Jahr in den Wintermonaten zu durch Influenzaviren verursachten Grippewellen, die unterschiedlich stark ausfallen.
Schwere Fälle von Grippe-Infektionen sind mit einer Entgleisung des Immunsystems, einem Zytokinsturm mit übermäßiger Ausschüttung von Botenstoffen (Zytokinen) und einer Schädigung der Lungenzellen verbunden. Das führt zu Gefäßleckagen und kann das Auftreten von Thrombosen begünstigen. Diese Reaktionen haben Ähnlichkeit mit schweren COVID-19-Verläufen.
Aber wann kommt es zu schweren Krankheitsverläufen und welche Prozesse laufen dabei ab? Viele Details sind hier bisher noch unbekannt.
Erhöhte Thromboseneigung
Zu den Komplikationen schwerer Influenza-Krankheitsverläufe gehören sowohl eine verminderte als auch eine erhöhte Anzahl von Blutplättchen (Thrombozyten) im Blut, die mit einer erhöhten Thromboseneigung einhergehen kann.
Forschende um Prof. Ute Modlich, Leiterin der Forschungsgruppe “Genmodifikation in Stammzellen” des PEI haben sich in einem Forschungsverbund mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Universität Heidelberg mit dem Zusammenhang zwischen einer Infektion mit einem Grippevirus (H1N1) und der Blutbildung bzw. der Bildung der Thrombozyten befasst.
H1N1-Grippeviren gehören zu den jährlich in Deutschland auftretenden Grippeviren.
Thrombozyten nahmen zunächst ab
Wie in der Mitteilung erklärt wird, werden alle Blutzellen und damit auch die Thrombozyten durch blutbildende Stammzellen (hämatopoetische Stammzellen, HSZ) erneuert, die sich im Knochenmark in einem ruhenden Zustand befinden. Um die lebenslange Blutbildung (Hämatopoese) sicherzustellen, wird das Schicksal dieser Stammzellen zwischen Ruhe, Selbsterneuerung und Differenzierung streng reguliert.
Um den Einfluss einer Grippeinfektion auf die Blutbildung zu untersuchen, wurden Mäuse mit Influenzaviren intranasal infiziert und ihre Blutstammzellen an den darauffolgenden Tagen hinsichtlich Differenzierung und Zellzyklusaktivierung untersucht.
In den ersten drei Tagen der akuten Infektion nahmen die Thrombozyten zunächst ab (Thrombopenie), stiegen danach im Blut jedoch schnell auf Werte über den physiologischen Leveln an (Thrombozytose). Diese schnell produzierten Thrombozyten hatten ein unreifes Erscheinungsbild (Phänotyp) und waren rascher aktivierbar (hyperreaktiv).
Schon zwei Tage nach der Infektion befanden sich mehr Blutstammzellen als zuvor im Reifungsprozess (G1- und S/G2/M-Zellzyklusphase). Dabei korrelierte die Aktivierung der Blutstammzellen positiv mit dem viralen Lungentiter, d. h. umso mehr Viren die Lunge befallen hatten, umso mehr Blutstammzellen waren aktiviert.
Infektionen mit reduzierten Influenzadosen verzögerten die Stammzellaktivierung, konnten sie jedoch nicht verhindern. In der Regenerationsphase kehrten die Blutstammzellen dann in die Ruhephase zurück. In Mäusen, die geimpft waren, geschah dies rascher als in anderen Gruppen.
Größere und unreifere Blutplättchen
Um die Frage zu klären, wie Thrombozyten so schnell produziert werden können, haben sich die Forscherinnen und Forscher den Phänotyp der aktivierten Blutstammzellen genauer angeschaut und festgestellt, dass eine Teilmenge der Blutstammzellen bereits typische Marker von Vorläuferzellen der Thrombozyten (Megakaryozyten) tragen.
Blutstammzellen mit diesem Oberflächenphänotyp differenzieren direkt zu Megakaryozyten und produzieren Thrombozyten und überspringen dabei mehrere Vorläuferstadien. Das Team wies durch In-vitro-Lineage-Tracing und Knochenmarkstransplantationen nach, dass sich diese Gruppe von Blutstammzellen nach einer Influenzainfektion rasch im Knochenmark vermehren.
Den Angaben zufolge sind diese neu produzierten Blutplättchen größer und unreifer in ihrem Erscheinungsbild als gewöhnliche Thrombozyten und neigen zur schnelleren Aktivierung, was zu einem höheren Risiko an Blutgerinnseln in der Lunge führen kann.
Veränderungen der Blutbildung im Knochenmark
Der Vorgang der schnellen Differenzierung von Megakaryozyten ist als Reaktion auf systemische Entzündungen oder Infektionen als Notfall-Megakaryopoese zwar schon beschrieben worden, bisher wurde jedoch kein Zusammenhang mit lokalen viralen Atemwegserkrankungen vermutet.
Obwohl die Grippevirusinfektion bei den Mäusen auf die Atemwege beschränkt war, fanden sich erhöhte Spiegel der Zytokine Interleukin-1 (IL-1) und Interleukin-6 (IL-6) im Knochenmark infizierter Tiere.
Mit Knockout-Mäusen, bei denen IL-1-Rezeptor sowie Knockout-Mäusen, bei denen das IL-6-Zytokingen ausgeschaltet waren, wiesen die Forschenden nach, dass diese Zytokine entscheidend zur Aktivierung der Blutstammzellen und zur Notfall-Megakaryopoese bei Influenzainfektionen beitragen.
Wie es in der Mitteilung abschließend heißt, zeigen die aktuellen Daten, dass auch eine lokale (nicht systemische) Virusinfektion zu Veränderungen der Blutbildung im Knochenmark führen kann.
Hierbei gebildete Thrombozyten können demnach im hyperreaktiven Zustand zu einem höheren Risiko für Blutgerinnsel insbesondere in der Lunge führen. Das hat möglicherweise einen bedeutenden Einfluss auf den Krankheitsverlauf der echten Grippe. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Paul-Ehrlich-Institut - Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel; Das Grippevirus und sein Einfluss auf Blutstammzellen und die Blutgerinnung, (Abruf: 19.10.2022), Paul-Ehrlich-Institut - Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel
- Rommel MGE, Walz L, Fotopoulou F, Kohlscheen S, Schenk F, Miskey C, Botezatu L, Krebs Y, Voelker IM, Wittwer K, Holland-Zet T, Ivics Z, von Messling V, Essers MAG, Milsom MD, Pfaller CK, Modlich U: Influenza A virus infection instructs hematopoiesis to megakaryocyte-lineage output; in: Cell Reports, (veröffentlicht: 04.10.2022), Cell Reports
Wichtiger Hinweis:
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