Arbeitslose sind unzufrieden mit ihrem Leben. Das ist zwar eine Binsenweisheit, doch diese unterfüttert jetzt eine Langzeitstudie. Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) untersucht seit 1984 Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung und Lebenszufriedenheit. Jetzt werteten die Forscher Daten von 2007 bis 2014 über Lebenszufriedenheit und Arbeitslosigkeit aus.
Sie werteten dabei die Gefühle Angst, Traurigkeit, Ärger und Glück gesondert aus. Das Ergebnis: Arbeitslosigkeit führt erst zu Angst, dann zu Trauer und Betroffene verlieren die Freude.
Angst
Die Angst ist dabei eine Reaktion auf den Schock, den Arbeitsplatz zu verlieren. Vertraute Bindungen und alltägliche Rituale zerbrechen, das gesamte System, in dem sich die Betroffenen ihr Leben eingerichtet hatten, existiert über Nacht nicht mehr.
Neue Situationen sind per se auch mit Angst besetzt, je nach der Persönlichkeit der Menschen überwinden sie die Angst aber durch Neugier. Arbeitslosigkeit bedeutet jedoch, vorausgesetzt, die Entlassenen schufteten nicht zuvor in einem Sklavenjob, dem gegenüber eine (vorübergehende) Erwerbslosigkeit die bessere Alternative wäre, dass die neue Situation schlechter ist als die alte.
Die Angst in der ersten Phase der Erwerbslosigkeit ließ sich bei allen Befragten nachweisen.
Dauerhaftes Unglück
Wir wissen aus der Angstforschung, dass sich die Angst vor einer neuen Situation legt, wenn die Betroffenen sich in ihr zurecht finden. Auch bei den befragten Arbeitslosen zeigte sich die Angst vor allem im ersten Moment.
Zwar hatten sie die Angst nach langer Erwerbslosigkeit unter Kontrolle, doch ihre Lebenszufriedenheit sank nachhaltig. Auch wenn sie sich an den Zustand gewöhnt hatten, waren sie viel häufiger traurig und freudlos als Nicht-Arbeitslose.
Die Studie belegte, dass Lebenszufriedenheit, besser gesagt, ein dauerhaftes Gefühl von Glück, nichts mit der emotionalen Befindlichkeit, sondern mit der kognitiven Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation zu tun hat. Arbeitslosigkeit prägt demnach das Denken und Handeln der Betroffenen.
Langzeitarbeitslose sind auch, nachdem sie sich Jahre lang an ihre Situation gewöhnt haben, nie mehr so zufrieden mit ihrem Leben, wie sie zuvor waren.
Was sagt die Glücksforschung?
Die Glücksforschung kann erklären, warum das so ist. Zum einen prägte der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi den Begriff Flow für eine Arbeit, in der ein Mensch vollkommen aufgeht. Flow entsteht im Spannungsfeld von Überforderung und Unterforderung.
Wer in diesen Zustand gerät, der leistet etwas, und zwar so viel, wie er es in einem speziellen Gebiet kann. Er muss sich fordern, das Ziel darf nicht mühelos zu erreichen sein, zugleich aber nicht so hoch gesteckt, dass er es nicht erreichen kann.
Mit anderen Worten: Flow entsteht in Arbeit. Nun ließe sich einwenden, dass Erwerbslosigkeit nicht zwangsläufig bedeutet, nicht zu arbeiten. Betroffene könnten theoretisch ihren Interessen nachgehen und „Flow-Erlebnisse“ empfinden, wenn sie ein Bild malen, eine Wohnung renovieren oder ein Auto lackieren. Theoretisch!
Praktisch empfinden sie vermutlich solche Tätigkeiten als Beschäftigungstherapie, solange sie dafür keine Anerkennung bekommen, also diese Arbeit als Arbeit anerkannt wird, und das bedeutet im Kapitalismus, für die Arbeit Geld zu bekommen.
Armut und Unglück
Spätestens, wenn die Betroffenen nach einem Jahr in die Mühlen des Hartz-IV-Systems rutschen, leiden sie außerdem unter einer bedrohten Existenz. Die Glücksforschung ist auch hier eindeutig: Umfragen belegen zwar, dass Geld das Wohlbefinden nur bis zu einer gewissen Grenze hebt.
Menschen, die aber materielle Not leiden, nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen oder ihre Kinder ernähren sollen, fühlen sich erheblich wohler, wenn sie ausreichenden Wohlstand genießen, um diese Probleme nicht mehr zu haben.
Psychischer Druck
Hinzu kommt der psychische Terror, und die Drohung der Jobcenter, die Lebensgrundlage zu entziehen. Hartz-IV-Abhängige verlieren Menschenrechte wie ihre Würde, die Wahl von Wohnort und Arbeitsplatz, das Post- oder Bankgeheimnis. Sie stehen wie Kinder autoritärer Eltern oder wie Häftlinge im Gefängnis unter ständiger Kontrolle der Jobcenter.
Dieser dauernde psychische Ausnahmezustand führt, wie Studien zu Opfern totalitärer Systeme belegen, zu chronischem Stress, selbst, wenn die Situation sich entspannt.
Zudem wird den Betroffenen permanent suggeriert, dass sie nichts wert sind, und auch am psychisch Stärksten bleibt etwas hängen, wenn er permanent mit Dreck beworfen wird.
Das verlorene Glück
Die Glücksforschung kennt Faktoren dafür, sich im Leben glücklich zu fühlen.
1) Aktivität und Beschäftigung
Die Möglichkeiten dafür sind für Hartz-IV-Abhängige extrem eingeschränkt. Sie haben kein Geld, um an kulturellen Aktivitäten teilzuhaben, und wenn sie sich mit Dingen beschäftigen, die ihnen Freude bereiten, zieht das Jobcenter den „Faulpelzen“ die Daumenschrauben an.
2) Soziale Beziehungen zu anderen Menschen vertiefen
Erwerbslose verlieren viele soziale Beziehungen, die sie am Arbeitsplatz hatten. Das Stigma Erwerbslosigkeit klebt an ihnen, und oft reduzieren sich ihre sozialen Beziehungen auf die zu anderen Betroffenen, die die gleichen Nöte plagen.
3) Systematik im Alltag und geplantes Handeln
Beides setzt Handlungsfreiheit voraus. Hartz-IV-Abhängige haben diese Freiheit aber nur sehr eingeschränkt. Sie können ihr Handeln kaum planen, da das Jobcenter darüber verfügt, was sie tun und was sie lassen. Auch den Alltag systematisch zu planen, setzt voraus, die Freiheit dazu zu haben. Für Erwerbslose bestimmt aber das Jobcenter, wie sie ihren Alltag einrichten.
4) Sorgen um Dinge, die passieren könnten, eindämmen.
Für Hartz-IV-Abhängige sind die Sorgen darum, was passieren kann, keine Hirngespinste, sondern bittere Realität. Aus der Wohnung zu fliegen, weil diese „zehn Quadratmeter zu groß ist“, unter das Existenzminimum zu rutschen, weil das Jobcenter willkürlich Sanktionen verhängt oder im Winter zu frieren, weil sie die Stromrechung nicht zahlen können, sind nur zu berechtigte Sorgen.
5) Zugleich aber die Ansprüche und Erwartungen zurück schrauben
Hartz-IV-Abhängige können die Ansprüche und Erwartungen an ein schönes Leben nicht weiter zurück schrauben, es sei denn, sie finden sich damit ab, dass sie sich auf die Straße legen und sterben.
6) Sich an der Gegenwart orientieren, nicht an Geschehnissen, die nur als Möglichkeit geschehen könnten und auch nicht an dem, was nicht mehr zu ändern ist.
Auch für Betroffene hilft es, in jedem Moment ihre Handlungsspielräume auszuloten. Allerdings sind ihre Handlungsoptionen in der Gegenwart eingeschränkt. Auch wer immer wieder einen Ausweg sucht und nur den nächsten Schlag ins Gesicht bekommt, sehnt sich irgendwann nach Zeiten, die real oder vermeintlich besser waren.
7) Sich selbst akzeptieren
Das wird Hartz-IV-Betroffenen permanent verboten. Die neoliberale Propaganda suggeriert ihnen, dass sie selbst schuld an ihrer Situation sind und sich mit Ein-Euro-Jobs oder Weiterbildungs-Seifenblasen mehr qualifizieren müssten, um aus ihrer Lage heraus zu kommen. Diese Manipulation wirkt unterschwellig. Wer sich trotzdem akzeptiert, dem bleibt immer noch die existentielle Not.
9) Enge Beziehungen knüpfen, wenige enge Beziehungen sind besser als viele Bekanntschaften
Gerade für Hartz-IV-Betroffene sind enge Beziehungen eine Lebensversicherung, und das gilt sogar wörtlich, denn viele Abhängige spielen mit dem Gedanken an Selbstmord. Enge soziale Beziehungen, die auf Respekt und Liebe basieren, sind für manche Erwerbslose der einzige Schutz, den sie gegenüber dem Jobcenter noch haben.
Zusammen gefasst: Alle Faktoren, die die Basis bieten, um dauerhaft glücklich zu sein, treffen auf Erwerbslose nicht oder nur sehr begrenzt zu. Unglück ist für Menschen, die in die Fänge der Jobcenter geraten, kein subjektives Empfinden, sondern eine objektive Realität. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.