Bestimmt unsere Kindheit die spätere kardiovaskuläre Gesundheit?
Zwar treten Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Kindheit nur selten auf, doch können bestimmte Belastungen in diesem Lebensabschnitt einen erheblichen Einfluss auf die kardiovaskuläre Gesundheit im Erwachsenenalter haben. Der pädiatrische Kardiologe Dr. Bradley Marino von der Cleveland Clinic Children’s erläutert, wie das persönliche Risiko für zukünftige kardiovaskuläre Schäden und Erkrankungen durch die Kindheit beeinflusst wird.
Kardiovaskuläre Schäden durch die Kindheit
„Keiner von uns tritt mit einer weißen Weste in das Erwachsenenalter ein, was die kardiovaskuläre Gesundheit betrifft”, erläutert Dr. Bradley in einer Pressemitteilung der Cleveland Clinic. Ein fortschreitender Verlust der kardiovaskulären Gesundheit beginne bereits in der Kindheit. Als Beispiel nennt der Experte Kinder in den USA. Bis zum Alter von zwölf Jahren habe ein Drittel dieser Kinder den idealen BMI-Status verloren, wodurch sie einem Risiko für zukünftige kardiovaskuläre Schäden ausgesetzt seien.
Das Verständnis der stärksten Assoziationen zwischen Risikofaktoren in der Kindheit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Erwachsenenalter könne dabei helfen, die Betreuung in der frühen Kindheit besser zu handhaben und möglicherweise künftige negative kardiale Ereignisse zu verhindern, so der Experte.
Dr. Marino ist Mitautor eines im englischsprachigen Fachblatts „Journal of Pediatrics“ veröffentlichten Artikels, in dem die aktuelle Literatur umfassend untersucht und die Stärke der Beweise für einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Expositionen in der Kindheit und dem Risiko im Erwachsenenalter bewertet wird. In dem Artikel wird zusätzlich auch auf verschiedene Forschungslücken hingewiesen.
210 Artikel wurden analysiert
Das Team führte eine systematische Überprüfung von 210 Artikeln durch, welche bis zum Jahr 2018 veröffentlicht wurden und folgende Kriterien erfüllten: Es musste sich um Längsschnittstudien in einer gemeindebasierten Population mit einer primären Exposition in der Kindheit handeln, die mit subklinischen oder klinischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Erwachsenenalter verbunden wurde.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch frühe Adipositas?
Die Ergebnisse zeigen nach Aussage des Experten, dass die Mehrheit der identifizierten Veröffentlichungen einen positiven Zusammenhang zwischen Adipositas, Blutdruck und Cholesterin in der Kindheit und subklinischen bzw. klinischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Erwachsenenalter herstellt.
Die Fachleute kommen zu dem Schluss, dass solide Belege für einen Zusammenhang zwischen niedrigem Geburtsgewicht, niedrigem sozioökonomischen Status und psychosozialen Widrigkeiten und klinischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Erwachsenenalter vorliegen.
Dr. Marino erklärt weiter, dass diese Ergebnisse nicht völlig überraschend seien, wenn man bedenkt, was bereits über diese Risikofaktoren bekannt ist. Darüber hinaus werde allerdings die Notwendigkeit deutlich, Maßnahmen für Personen zu entwickeln, welche ein frühes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufweisen.
Lebensverlaufsmodelle für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Grundsätzlich gibt es laut Dr. Marino drei sogenannte Lebensverlaufsmodelle, die die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erklären und als Richtschnur für Interventionen dienen können.
Modell der Risikokette
Dieses Modell geht davon aus, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Erwachsenenalter größtenteils durch Expositionen und Verhaltensweisen von Erwachsenen verursacht werden. Hierbei wir angenommen, dass pädiatrische Belastungen das Risiko zwar erhöhen, aber nicht direkt mit negativen Folgen verbunden sind.
Aus praktischer Sicht sei dieses Modell besonders ermutigend. Es unterstütze Interventionen bei Erachsenen, die zu guten langfristigen Ergebnissen führen können, so der Mediziner der Cleveland Clinic.
Modell der Risikokumulation
Dieses Modell unterstreicht die Abfolge von Risiken über die gesamte Lebensspanne, beginnend mit dem fötalen Umfeld, der frühen Kindheit und den Risiken in der Jugend, die sich bis ins Erwachsenenalter kumulieren. Wenn dieses Modell richtig ist, dann sind auch die Ergebnisse von Untersuchungen in der Kindheit unglaublich wichtig, erläutert Dr. Marino.
Modell der kritischen/empfindlichen Periode
Das dritte Modell unterstreicht die Bedeutung eines kritischen Expositionszeitpunkts im Lebensverlauf und dessen unverhältnismäßige Auswirkungen im Vergleich zur gleichen Exposition zu einem anderen Zeitpunkt im Lebensverlauf.
„Dieses Modell geht davon aus, dass bestimmte Ereignisse in kritischen Expositionsfenstern – wie beispielsweise Adipositas in der Jugend oder Faktoren in der fötalen Umgebung – eine kritische Auswirkung haben können”, so der Kardiologe.
Forschungsergebnisse und klinische Schlussfolgerungen
Hier werde deutlich, wie wichtig es ist, künftige Untersuchungen auf Hochrisikopopulationen zu konzentrieren, die Repräsentativität und Vielfalt von Forschungskohorten zu berücksichtigen und über die traditionellen Bereiche für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Adipositas, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie hinauszugehen.
Nach Ansicht des Experten sind nun weitere Untersuchungen nötig, um auch die Qualität der Ernährung, die körperliche Aktivität, den Tabakkonsum und das psychosoziale Umfeld von Kindern genauer zu untersuchen.
„Es gibt noch viel zu klären, aber Studien wie diese bringen Klarheit in eine wichtige Diskussion darüber, wie maßgeschneiderte Präventionsprogramme und Interventionen in der Kindheit den Verlauf der kardiovaskulären Gesundheit eines Patienten möglicherweise verändern können“, fügt der Mediziner hinzu. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Cleveland Clinic: The Role of Childhood Cardiovascular Health on Adult Cardiovascular Disease (veröffentlicht 20.10.2021), Cleveland Clinic
- Childhood Risk Factors and Adulthood Cardiovascular Disease: A Systematic Review; in: Journal of Pediatrics (veröffentlicht Mai 2021), Journal of Pediatrics
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.