Darmmikrobiom: Einfluss auf die Entstehung von Herz-Kreislauf-Leiden
Der menschliche Darm ist nicht nur ein Verdauungsorgan, sondern auch ein Lebensraum für Billionen Mikroorganismen. Ein gesundes Mikrobiom des Darms (Darmflora) leistet einen wichtigen Beitrag zu unserer Gesundheit und kann vor Infektionen, Allergien und anderen Krankheiten schützen. Doch Veränderungen in der Darmflora können auch zu Erkrankungen führen, etwa zu Herz-Kreislauf-Leiden.
Veränderungen im Mikrobiom des Darms können langfristig zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Wie ein Team um die Forscherin Sofia Forslund vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC) in Schweden in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ berichtet, normalisieren sich einige der Abweichungen bei chronischen Zuständen aber anscheinend wieder.
Erheblicher Einfluss auf die Gesundheit
Wie in einer aktuellen Mitteilung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) erklärt wird, beeinflussen die Keime des menschlichen Darms die Gesundheit erheblich. Allerdings sind die komplizierten Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und der Entstehung von Krankheiten bisher allenfalls in Ansätzen verstanden.
Der schwedischen Bioinformatikerin Dr. Sofia Forslund, die am ECRC die Arbeitsgruppe „Wirt-Mikrobiom Faktoren in Herz-Kreislauferkrankungen“ leitet, ist es einmal mehr gelungen, Veränderungen im komplexen Zusammenspiel der Darmkeime aufzuspüren, die offenbar entscheidend zur Entwicklung der großen Volkskrankheiten beitragen.
Das ECRC ist eine gemeinsame Einrichtung des MDC sowie der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Forslund hatte bereits im Dezember als Erstautorin eine Studie in dem Fachjournal „Nature“ publiziert, in der sie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen untersucht hatte, wie sich das Mikrobiom und kardiometabolische Erkrankungen gegenseitig beeinflussen und welche Rolle die verordneten Medikamente dabei spielen.
Wichtige Abweichungen im Mikrobiom des Darms
In ihrer aktuellen Veröffentlichung beschreibt Forslund gemeinsam mit einem internationalen Team aus 62 weiteren Forschenden mehrere wichtige Abweichungen im Mikrobiom des Darms, die an der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beteiligt sind. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Koronaren Herzkrankheit (KHK).
Bei dieser Erkrankung sind die Gefäße, die den Herzmuskel mit Sauerstoff versorgen, verengt. Sie gilt als die häufigste Todesursache in den westlichen Ländern.
Für die Studie rekrutierten die Forschenden 1.241 Personen mittleren Alters, darunter gesunde Menschen und KHK-Betroffene in drei Krankheitsstadien – einem akuten Koronarsyndrom, einer chronischen KHK oder KHK mit begleitender Herzinsuffizienz.
Außerdem waren auch Patientinnen und Patienten ohne KHK, aber mit metabolischen Erkrankungen wie Adipositas oder Typ-2-Diabetes dabei.
Veränderungen lange vor Beginn eines Herz-Kreislauf-Leidens
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysierten bei allen Teilnehmenden das Metagenom des Darms sowie das Metabolom des Bluts und des Urins. Wie in der Mitteilung erklärt wird, enthält das Metagenom die genomischen Informationen aller Mikroorganismen, die den Darm besiedeln; das Metabolom umfasst alle am Stoffwechsel beteiligten Moleküle.
„Wir haben festgestellt, dass – wenn wir den Lebensstil und die Auswirkungen von Medikamenten berücksichtigen – etwa drei Viertel der Mikrobiom- und Metabolom-Merkmale, die Menschen mit KHK von gesunden Personen unterscheiden, auch bei Menschen mit Stoffwechselerkrankungen vorhanden sind“, erläutert Forslund.
„Das deutet darauf hin, dass sich das Mikrobiom und das Metabolom schon lange vor dem offensichtlichen Beginn eines Herz-Kreislauf-Leidens verändern, nämlich bereits in den Vorstufen einer Stoffwechselerkrankung.“ Dies wiederum spreche stark dafür, dass das Mikrobiom schon zu einem frühen Zeitpunkt an der Entstehung von Herzkrankheiten beteiligt sei.
Auffälligkeiten können sich wieder normalisieren
In einem weiteren Schritt analysierte das Forschungsteam Mikrobiom- und Metabolom-Merkmale, die spezifisch für die KHK und die drei untersuchten Krankheitsstadien sind – um exakte Diagnosen künftig zu erleichtern.
„Zudem wollten wir herausfinden, inwieweit diese Signaturen mit einer Änderung der Medikation in Zusammenhang stehen“, so Forslund. „Was uns bei all unseren Analysen besonders überrascht hat, war die Beobachtung, dass sich einige Auffälligkeiten, die wir im akuten Krankheitsfall finden, anscheinend bei chronischen Zuständen wieder normalisieren“, berichtet die Wissenschaftlerin.
Diese Abweichungen wolle sich die Expertin noch genauer ansehen: „Sie zu beseitigen, könnte helfen, eine akut erkrankte Person zu stabilisieren.“
Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse ihrer Ansicht nach, dass bei künftigen klinischen Studien Vorsicht geboten sei. „Viele der Signaturen, die wir gefunden haben, sind nicht spezifisch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ Das müsse man bei weiteren Untersuchungen berücksichtigen.
Forslund sieht auch die Grenzen ihrer aktuellen Studie: „Da es sich um eine Querschnittsstudie handelt, können wir keine Kausalität nachweisen, sondern nur Assoziationen aufzeigen.“
Auf Ergebnisse weiterer Untersuchungen gespannt
Jetzt bleibe abzuwarten, ob Längsschnittdaten die Ergebnisse bestätigen. „Liefern soll solche Daten zum Beispiel die Berliner BeLOVE-Studie“, so Forslund. Erste Resultate der Studie erwartet die Forscherin in einigen Jahren.
Zudem ist die Forscherin auf die Daten einer weiteren Untersuchung gespannt. Dafür analysiert sie derzeit gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen das Mikrobiom von Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz, bei denen die Pumpleistung des Herzens eingeschränkt ist.
Forslund war noch an einer weiteren zeitgleich in „Nature Medicine“ veröffentlichten Arbeit beteiligt. In dieser Publikation haben die Autorinnen und Autoren das Mikrobiom und das Metabolom im Blut von 199 Patientinnen und Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom nach Auffälligkeiten durchforstet.
Sie haben dabei unter anderem festgestellt, dass die Betroffenen, die in zwei israelischen Krankenhäusern behandelt wurden, im Vergleich zu Menschen ohne die lebensbedrohliche Durchblutungsstörung des Herzens deutlich geringere Mengen einer bisher unbekannten Bakterienart aus der Familie der Clostridiaceae aufweisen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft: Was der Darm über das Herz verrät, (Abruf: 23.02.2022), Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
- Sebastien Fromentin, Sofia K. Forslund, Kanta Chechi, Judith Aron-Wisnewsky, Rima Chakaroun, Trine Nielsen, Valentina Tremaroli, Boyang Ji, Edi Prifti, Antonis Myridakis, Julien Chilloux, Petros Andrikopoulos, Yong Fan, Michael T. Olanipekun, Renato Alves, Solia Adiouch, Noam Bar, Yeela Talmor-Barkan, Eugeni Belda, Robert Caesar, Luis Pedro Coelho, Gwen Falony, Soraya Fellahi, Pilar Galan, Nathalie Galleron, Gerard Helft, Lesley Hoyles, Richard Isnard, Emmanuelle Le Chatelier, Hanna Julienne, Lisa Olsson, Helle Krogh Pedersen, Nicolas Pons, Benoit Quinquis, Christine Rouault, Hugo Roume, Joe-Elie Salem, Thomas S. B. Schmidt, Sara Vieira-Silva, Peishun Li, Maria Zimmermann-Kogadeeva, Christian Lewinter, Nadja B. Søndertoft, Tue H. Hansen, Dominique Gauguier, Jens Peter Gøtze, Lars Køber, Ran Kornowski, Henrik Vestergaard, Torben Hansen, Jean-Daniel Zucker, Serge Hercberg, Ivica Letunic, Fredrik Bäckhed, Jean-Michel Oppert, Jens Nielsen, Jeroen Raes, Peer Bork, Michael Stumvoll, Eran Segal, Karine Clément, Marc-Emmanuel Dumas, S. Dusko Ehrlich & Oluf Pedersen: Microbiome and metabolome features of the cardiometabolic disease spectrum; in: Nature Medicine, (veröffentlicht: 17.02.2022), Nature Medicine
- Yeela Talmor-Barkan, Noam Bar, Aviv A. Shaul, Nir Shahaf, Anastasia Godneva, Yuval Bussi, Maya Lotan-Pompan, Adina Weinberger, Alon Shechter, Chava Chezar-Azerrad, Ziad Arow, Yoav Hammer, Kanta Chechi, Sofia K. Forslund, Sebastien Fromentin, Marc-Emmanuel Dumas, S. Dusko Ehrlich, Oluf Pedersen, Ran Kornowski & Eran Segal: Metabolomic and microbiome profiling reveals personalized risk factors for coronary artery disease; in: Nature Medicine, (veröffentlicht: 17.02.2022), Nature Medicine
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