Ist es möglich durch Selfies Herzerkrankungen zu erkennen?
In Zukunft könnten Selfies auszureichen, um mit der Hilfe eines lernenden Computeralgorithmus eine koronare Herzkrankheit zu identifizieren. Dies könnte es ermöglichen, besonders gefährdete Personen frühzeitig zu identifizieren, um so passende Behandlungsmaßnahmen einzuleiten.
Bei einer Untersuchung unter der Beteiligung von Forschenden der Tsinghua University hat sich gezeigt, dass die Auswertung von Selfies durch einen Computeralgorithmus zur frühzeitigen Identifizierung von Herzerkrankungen beitragen könnte. Die Ergebnisse wurden in der englischsprachigen Fachzeitschrift „European Heart Journal“ veröffentlicht.
Über 5.700 Menschen wurden untersucht
Zwischen Juli 2017 und März 2019 wurden 5.796 Personen aus acht Krankenhäusern in China in die Studie aufgenommen. Diese Menschen unterzog man verschiedenen bildgebenden Verfahren zur Untersuchung ihrer Blutgefäße, wie beispielsweise einer Koronarangiographie.
Algorithmus benötigt lediglich vier Fotos einer Person
Der Computeralgorithmus bei der Studie benötigte vier Fotos des Gesichts einer Person, um eine Analyse durchzuführen und so die koronare Herzkrankheit identifizieren zu können. Obwohl der Algorithmus noch weiterentwickelt und in größeren Gruppen von Menschen mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund getestet werden muss, hat er nach Ansicht der Forschenden das Potenzial, als Screening-Instrument eingesetzt zu werden.
Selfies ermöglichen einfacheres Screening
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Analyse von Gesichtern, um Herzkrankheiten zu erkennen, ist ein wichtiger Schritt in Richtung der Entwicklung eines sogenannten Deep Learning Werkzeugs, dass zur Einschätzung des Risikos einer Herzerkrankung eingesetzt werden könnte. Solch ein Verfahren könnte in ambulanten Kliniken oder von Menschen verwendet werden, welche dann Selfies von sich machen, um ihr eigenes Screening durchzuführen. So können mögliche Herzkrankheiten bei Menschen in der Allgemeinbevölkerung oder in Hochrisikogruppen identifiziert werden, die weiterer klinischer Untersuchungen bedürfen.
Algorithmus muss weiter verfeinert werden
Das letztendliche Ziel ist eine Anwendung für Hochrisikogemeinschaften zu entwickeln, mit der das Risiko von Herzerkrankungen vor dem Besuch einer Klinik bewertet werden kann. Dies könnte ein kostengünstiges, einfaches und wirksames Mittel zur Identifizierung von Personen sein, die einer genaueren Untersuchung bedürfen. Der Algorithmus muss jedoch noch weiter verfeinert und extern in anderen Bevölkerungsgruppen und Ethnien validiert werden, berichten die Forschenden.
Gesichtszüge weisen auf Risiko für Herzkrankheiten hin
Es ist bereits bekannt, dass bestimmte Gesichtszüge mit einem erhöhten Risiko für Herzkrankheiten verbunden sind. Dazu gehören beispielsweise dünner werdendes oder graues Haar, Falten, Ohrläppchenfalten und sogenannte Xanthelasmen (kleine, gelbe Cholesterinablagerungen unter der Haut). Es ist jedoch schwierig für Menschen, diese Anzeichen erfolgreich zur Vorhersage und Quantifizierung des Herzkrankheitsrisikos einzusetzen.
Wie wurde der Deep Learning Algorithmus geschult?
Ausgebildetes Personal nahm während der Studie vier Gesichtsfotos von den Teilnehmenden mit Digitalkameras auf, darunter eine Frontalaufnahme, zwei Profilaufnahmen und eine Ansicht des oberen Kopfes. Außerdem wurden die Teilnehmenden zusätzlich befragt, um Daten über den sozioökonomischen Status, den Lebensstil und die medizinische Vorgeschichte zu sammeln. Die Radiologen überprüften die Angiogramme dieser Personen und beurteilten den Grad der Herzerkrankung in Abhängigkeit davon, wie viele Blutgefäße um 50 Prozent oder mehr verengt waren. Diese Informationen wurden zur Erstellung, Schulung und Validierung des Deep Learning Algorithmus verwendet.
Algorithmus wurden an weiteren Personen getestet
Der Algorithmus wurde dann an weiteren 1.013 Personen aus neun Krankenhäusern in China getestet, die zwischen April 2019 und Juli 2019 in die Studie aufgenommen wurden. Die Forschungsgruppe stellte fest, dass der Algorithmus bereits bestehende Methoden zur Vorhersage des Herzkrankheitsrisikos übertraf.
Wie zuverlässig war der Test?
In der Validierungsgruppe der Teilnehmenden erkannte der Algorithmus in 80 Prozent der Fälle eine Herzerkrankung korrekt (die wahre positive Rate oder Sensitivität), in 61 Prozent der Fälle war die erkannte Herzerkrankung nicht vorhanden (die wahre negative Rate oder Spezifität). In der Testgruppe lag die Sensitivität bei 80 Prozent und die Spezifität bei 54 Prozent.
Spezifizität muss verbessert werden
Der Algorithmus hatte eine mäßige Genauigkeit und zusätzliche klinische Informationen verbesserten seine Leistung nicht, berichten die Forschenden. Es sei daher wichtig die Spezifizität zu verbessern, da eine falsch-positive Rate von bis zu 46 Prozent zu Angst und Unannehmlichkeiten für die betroffenen Personen beiträgt. Außerdem könnten falsche Ergebnisse zur Überlastung von Kliniken beitragen, wenn Menschen dort wegen unnötigen Tests untersucht werden müssen, fügen die Forschenden hinzu. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Shen Lin, Zhigang Li, Bowen Fu, Sipeng Chen, Xi Li et al.: Feasibility of using deep learning to detect coronary artery disease based on facial photo, in European Heart Journal (veröffentlicht 20.08.2020), European Heart Journal
Wichtiger Hinweis:
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