Ehrliches Verhalten kann durch Hirnstimulation verstärkt werden
Ehrlich zu sein ist für die meisten Menschen eine der wichtigsten Charaktereigenschaften. Trotzdem lügt oder schwindelt wohl jeder Mensch in seinem Leben. Wissenschaftler haben nun in einem Experiment festgestellt, dass sich Ehrlichkeit verstärken lässt – mittels Hirnstimulation.
Der Ehrlichkeit auf die Sprünge helfen
„Ehrlich wehrt am längsten“: Dieser Spruch bringt wohl am besten zum Ausdruck, wie wichtig Ehrlichkeit den meisten Menschen ist. Oft fällt es aber gar nicht so leicht, immer die Wahrheit zu sagen und nie zu schwindeln. Schweizer Forscher haben nun mit Kollegen aus den USA in einem Experiment festgestellt, wie man der Ehrlichkeit auf die Sprünge helfen kann – mithilfe von leichten Stromschlägen.
Ehrliches Verhalten kann verstärkt werden
Ehrlichkeit spielt im sozialen und auch wirtschaftlichen Leben eine zentrale Rolle. Ohne sie werden Versprechen nicht eingehalten oder Verträge nicht erfüllt. Trotz dieser gesellschaftlichen Bedeutung sind die biologischen Grundlagen der Ehrlichkeit kaum bekannt.
In wissenschaftlichen Untersuchungen zeigte sich, dass es nicht alle Menschen in den verschiedenen Lebenslagen mit der Ehrlichkeit gleichermaßen ernst nehmen.
So berichteten Wissenschaftler der Universitäten Regensburg und Hamburg vor Jahren über ein Experiment, bei dem festgestellt wurde, dass Frauen in Gruppen ehrlicher sind, während sich bei Männern in Gruppen das Lügen verstärkt.
Laut US-amerikanischen Forschern schwankt die Moral von Menschen im Laufe des Tages. In ihrer Studie zeigte sich, dass die Ehrlichkeit am Morgen stärker ausgeprägt war als am Abend.
Forscher der Universität Zürich (UZH) haben nun gemeinsam mit Kollegen aus Chicago und Boston gezeigt, dass ehrliches Verhalten durch Hirnstimulation verstärkt werden kann. Sie haben den Prozess des Abwägens zwischen Ehrlichkeit und materiellem Eigeninteresse im rechten präfrontalen Kortex nachgewiesen.
Für das materielle Eigeninteresse lügen
Wie es in einer Mitteilung der Hochschule heißt, konnten die Teilnehmer in einem Würfelexperiment ihren Gewinn erhöhen, indem sie die Unwahrheit anstatt die Wahrheit sagten.
Die Wissenschaftler stellten dabei fest, dass die Teilnehmer tatsächlich häufig die Unwahrheit sagten, um ihren Gewinn zu erhöhen. Viele Teilnehmer blieben jedoch auch immer wieder bei der Wahrheit.
„Die meisten Menschen wägen Motive des Eigeninteresses gegenüber der Ehrlichkeit von Fall zu Fall ab. Sie schummeln ab und an, aber nicht bei jeder Gelegenheit“, erklärte Michel Maréchal, UZH-Professor für Experimentelle Wirtschaftsforschung.
Rund acht Prozent der Teilnehmer logen hingegen immer wenn dies möglich war, um ihren Gewinn zu maximieren.
Hirnzellen werden aktiver
Um den rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex – der Hirnbereich, wo dieser Abwägungsprozess stattfindet – zu stimulieren, wandten die Forscher transkranielle Gleichstromstimulation an. Diese nicht-invasive Methode der Hirnstimulation erhöht die Empfindlichkeit von Hirnzellen – die Zellen werden tendenziell aktiver.
Sobald die Forscher die Probanden stimulierten, logen diese weniger. Allerdings blieb die Anzahl derjenigen Personen unverändert, die konsequent für eine Gewinnmaximierung logen.
Christian Ruff, Professor für Neuroökonomie am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich, dazu: „Die Stimulation verstärkte ehrliches Verhalten vorwiegend bei Personen, für die Lügen einen moralischen Konflikt darstellte; sie beeinflusste aber nicht diejenigen, die einzig an der Maximierung ihres Vorteils interessiert waren“.
Die Ergebnisse der Untersuchung wurden in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht.
Abwägen zwischen materiellen und moralischen Motiven
Laut dem Forscherteam beeinflusste die Stimulation nur das Abwägen zwischen materiellen und moralischen Motiven. Die Wissenschaftler fanden keine Auswirkungen der Stimulation auf Konflikte ohne moralische Aspekte – wie etwa finanzielle Entscheide, die mit Risiken, Ambivalenz oder Belohnungsaufschub einhergingen.
Ein weiteres Experiment zeigte, dass die Hirnstimulation die Ehrlichkeit der Probanden nicht beeinflusste, wenn eine andere Person durch die Lüge bevorteilt wurde und somit ein Konflikt zwischen zwei rein moralischen Motiven bestand (Ehrlichkeit oder einer anderen Person helfen).
Der stimulierte neurobiologische Prozess betraf also insbesondere das Abwägen von persönlichen, materiellen Eigeninteressen und Ehrlichkeit.
Inwieweit ist Unehrlichkeit auf biologische Veranlagung zurückzuführen?
Die Forscher sehen ihre Resultate als wichtigen Schritt hin zur Identifizierung der Hirnprozesse, die es Menschen ermöglichen, sich ehrlich zu verhalten.
„Diese Hirnprozesse könnten grundlegend sein für individuelle Unterschiede in der Ehrlichkeit – auch in Bezug auf pathologische Ausprägungen“, so Ruff.
Die jüngsten Resultate werfen die Frage auf, inwieweit Ehrlichkeit auf eine biologische Veranlagung zurückzuführen ist. Laut den Studienautoren dürfte dies für die Rechtsprechung von zentraler Bedeutung sein.
„Sollte Unehrlichkeit tatsächlich auf biologische Voraussetzungen zurückzuführen sein, stellt unsere Studie infrage, in welchem Ausmass Menschen für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden können“, sagte Michel Maréchal. (ad)
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