Forschende haben molekulare Ursachen von Hirnvenenthrombosen entdeckt
Vor einigen Monaten wurden in seltenen Fällen nach Corona-Impfungen Hirnvenenthrombosen festgestellt. Dabei handelt es sich um Blutgerinnsel in den Blutgefäßen, die das Blut aus dem Gehirn in Richtung Herz transportieren. Forschende haben nun molekulare Ursachen für diese Erkrankung entdeckt.
Hirnvenenthrombosen sind eine seltene, häufig schwer verlaufende Erkrankung, die durch die COVID-19-Pandemie stark in den öffentlichen Fokus gerückt ist. Einer Forschungsgruppe aus Würzburg gelang es nun erstmals, molekulare Ursachen dieser Erkrankung zu entschlüsseln und daraus neue Therapieansätze abzuleiten.
Häufiger auch Jüngere betroffen
Wie in einer aktuellen Mitteilung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) erklärt wird, sind Hirnvenenthrombosen eine seltene Form von Hirndurchblutungsstörungen, die im Gegensatz zum klassischen Schlaganfall, häufiger auch jüngere Menschen betreffen.
Aus bislang weitgehend ungeklärter Ursache entstehen Blutgerinnsel (Thromben) in Hirnvenen, behindern den Blutabfluss und führen so zur Schädigung des Hirngewebes.
Im Frühjahr 2021 gelangten Hirnvenenthrombosen als sehr seltene Nebenwirkung einer Corona-Impfung mit Vektor-basierten Impfstoffen in das öffentliche Bewusstsein. Mittlerweile belegen verschiedene epidemiologische Studien für Patienten und Patientinnen die an COVID-19 erkranken, ein vielfach erhöhtes Risiko für diese gravierende Komplikation.
Aktivierung zweier spezifischer Rezeptoren
Forschende des Rudolf-Virchow-Zentrums – Center for Integrative and Translational Bioimaging der JMU und des Universitätsklinikums Würzburg, die gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen aus Tübingen und Greifswald im Sonderforschungsbereich Transregio (SFB TR) 240 forschen, konnten nun erstmals zeigen, dass die Aktivierung zweier spezifischer Rezeptoren auf der Oberfläche von Blutplättchen (Thrombozyten) zu Hirnvenenthrombosen führt.
„Diese überraschende Erkenntnis könnte Grundlage für eine neue, hochwirksame Therapie dieser seltenen, aber gravierenden Erkrankung sein“, erläutert der Leiter der Studie, Prof. Dr. Bernhard Nieswandt (Lehrstuhl für Experimentelle Biomedizin I), der auch Sprecher des SFB TR 240 ist.
Die molekularen Prozesse bei der Entstehung einer Hirnvenenthrombose waren bislang weitestgehend unverstanden und es gab auch keine geeigneten Modelle zu ihrer Erforschung. Bekannt waren als Risikofaktoren das Wochenbett nach Entbindung, die orale Schwangerschaftsverhütung sowie Infektionen.
„Eigentlich wollten wir untersuchen, ob ein Antikörper gegen den Rezeptor CLEC-2 auf Thrombozyten bei Verabreichung in die Blutbahn die Blutungsneigung erhöht“, sagt Prof. Dr. David Stegner, Leiter der Arbeitsgruppe Vaskuläre Bildgebung am RVZ und einer der beiden Erstautoren der Studie, die in der Fachzeitschrift „Nature Cardiovascular Research“ veröffentlicht wurde.
Antikörper löste Krampfanfälle aus
„Völlig unerwartet löste der Antikörper dann aber, neben einem Abfall der Thrombozytenzahl, Krampfanfälle und weitere neurologische Ausfälle bei den behandelten Tieren aus. Symptome, die denen von Patienten mit akuter Hirnvenenthrombose sehr ähnelten“, erklärt der Wissenschaftler.
„Tatsächlich zeigten weitergehende Untersuchungen, dass die Tiere binnen weniger Minuten ausgeprägte Hirnvenenthrombosen entwickelt hatten, ohne das es in anderen Organen zur Gerinnselbildung kam“, so Stegner.
Er ergänzt: „Wir vermuten, dass die Bindung des Antikörpers die Eigenschaften des Rezeptors CLEC-2 so verändert, dass er Signale in die Zelle weiterleitet. Dies aktiviert die Thrombozyten, sie verklumpen im venösen Gehirnkreislauf und lösen dadurch die Hirnvenenthrombosen aus. Ein Rätsel ist, warum nur die Hirnvenen betroffen sind.“
Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass neben CLEC-2 auch noch ein zweiter Thrombozytenrezeptor, nämlich GPIIb/IIIa, an der Entstehung von Hirnvenenthrombosen beteiligt ist und nur das Zusammenwirken beider Rezeptoren zur Thrombenbildung im Gehirn führt.
Gezielte Suche nach Wirkstoffen
Diese Erkenntnisse ermöglichten es, sehr gezielt nach Wirkstoffen zur Blockade so entstehender Hirnvenenthrombosen zu suchen. Ein Blutgerinnsel entsteht durch das Zusammenspiel zweier Prozesse: der plasmatischen Gerinnung sowie der Thrombozytenaktivierung.
Bei der Behandlung venöser Thrombosen wird im Allgemeinen auf Heparin (ein „Blutverdünner“), als Hemmstoff der plasmatischen Gerinnung, gesetzt. Bei den hier untersuchten Hirnvenenthrombosen im Tierexperiment hatte Heparin jedoch nur einen vergleichsweise geringen schützenden Effekt.
Heparin ist aber das Standardmedikament bei der Akutbehandlung von Patientinnen und Patienten mit Hirnvenenthrombosen, außer wenn diese als Komplikation im Zusammenhang mit einer Corona-Impfung auftreten.
Daraufhin konzentrierten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Thrombozytenrezeptoren. Wenn diese vorab blockiert wurden, bildete sich keine Hirnvenenthrombose.
„Das interessanteste Ergebnis war allerdings, dass eine Hemmung der Thrombozyten durch die Blockade des GPIIb/IIIa-Rezeptors, auch nach dem Einsetzen der neurologischen Symptome, also im akuten Krankheitsverlauf äußerst wirksam war“, so Vanessa Göb, ebenfalls Erstautorin der Studie.
Wachstum der Blutgerinnsel gestoppt
Die Forschenden zeigten, dass die Rezeptorblockade das Wachstum der Blutgerinnsel in den Hirnvenen unmittelbar stoppte, die behandelten Tiere sich vollständig erholten und keine Blutungskomplikationen auftraten. Das ist für eine mögliche Übertragung dieses Therapieansatzes auf Patientinnen und Patienten von erheblicher Bedeutung.
„Diese Ergebnisse waren überraschend und könnten den Weg weisen für den Einsatz von GPIIb/IIIa-Blockern bei den Patienten, bei denen die Hirnvenenthrombosen trotz Heparinbehandlung fortschreiten, was häufig zum Tode führt. GPIIb/IIIa-Blocker sind für andere kardiovaskuläre Erkrankungen bereits zugelassen“, ergänzt Prof. Dr. Guido Stoll von der Neurologischen Klinik. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Julius-Maximilians-Universität Würzburg: Molekulare Ursache von Hirnvenenthrombosen entdeckt, (Abruf: 13.02.2022), Julius-Maximilians-Universität Würzburg
- David Stegner, Vanessa Göb, Viola Krenzlin, Sarah Beck, Katherina Hemmen, Michael K. Schuhmann, Barbara F. Schörg, Christian Hackenbroch, Frauke May, Philipp Burkard, Jürgen Pinnecker, Alma Zernecke, Peter Rosenberger, Andreas Greinacher, Bernd J. Pichler, Katrin G. Heinze, Guido Stoll & Bernhard Nieswandt: Foudroyant cerebral venous (sinus) thrombosis triggered through CLEC-2 and GPIIb/IIIa dependent platelet activation; in: Nature Cardiovascular Research, (veröffentlicht: 10.02.2022), Nature Cardiovascular Research
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.