Ordentliche Therapie abgebrochen und Sohn mit Aids zum Wunderheiler gebracht
Ein 50-jähriger Mann ist vom Amtsgericht Düsseldorf zu einer mehrjährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte die Therapie seines HIV-infizierten Kindes mehrfach abgebrochen und es zu einem Wunderheiler gebracht. Dieser hat den Jungen mit Zitronensaft „behandelt“.
Therapie von eigenem HIV-infizierten Kind abgebrochen
In den vergangenen Jahren wurde zwar bereits eine HIV-Selbstheilung beobachtet und britische Forscher hatten erst vor kurzem berichtet, dass sie eine HIV-Heilung erreicht haben, doch es handelte sich dabei um Sonderfälle unter ganz speziellen Bedingungen. Eine Heilung von Aids ist derzeit noch nicht möglich. Doch manche Menschen glauben offenbar stark daran. So auch ein Vater aus Nordrhein-Westfalen, der die Therapie seines HIV-infizierten Kindes abbrach und es zu einem „Wunderheiler“ brachte.
Mutter wird per Haftbefehl gesucht
Das Düsseldorfer Amtsgericht verurteilte den 50-jährigen Mann am Dienstag dafür zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, beließ es das Gericht trotz „schwerster Bedenken“ der Staatsanwältin bei der Bewährungsstrafe, weil der Alleinerziehende sich noch um zwei weitere Kinder kümmern muss. Die 37-jährige Mutter ist den Angaben zufolge flüchtig und wird nun mit Haftbefehl gesucht.
Schwerbehindertes Kind könnte gesund sein
Die Eltern des Jungen hatten die HIV-Infektion der Mutter zunächst verschwiegen, dann HIV-Tests beim Kind verweigert und schließlich eine Therapie nach Ausbruch von Aids trotz Warnungen der Ärzte mehrfach abgebrochen. Stattdessen hatten sie ihren Sohn laut dpa aus einer Klinik entführt und zu einem Wunderheiler gebracht.
Nun ist der Kleine ein Pflegefall. Der Sechsjährige kann nicht sprechen, nicht essen und sitzt in einem Spezial-Rollstuhl. Laut Zeugenaussage eines Kinderarztes der Düsseldorfer Uni-Klinik, wäre das Kind mit mehr als 99 Prozent Wahrscheinlichkeit ohne HIV-Infektion zur Welt gekommen, wenn man von der HIV-Infektion der Mutter gewusst hätte.
Die Richterin Susanne Goergens sagte daher zum Vater: „Sie haben ihn in Todesgefahr gebracht.“ Der 50-Jährige habe der Diagnose und der Therapie in der Uni-Klinik misstraut und den Hirnschaden des Kindes auf einen Narkosefehler der Ärzte zurückgeführt.
„Behandlung“ mit Zitronensaft und Zuckerlösung
Er brachte seinen Sohn daher zu einem Wunderheiler, der behauptete, das „Aids-Virus“ mit Kobra-Gegengift in 24 Stunden zerstören zu können. Den Angaben zufolge habe er das Kind allerdings mit Zitronensaft und Zuckerlösung „behandelt“.
„Wie kann man dem nur glauben, wenn man sich auch nur zehn Sekunden seine Webseite angeschaut hat?“, fragte Staatsanwältin Laura de Bruyn empört. „Diese Mischung aus Ignoranz und den fatalen Folgen für das Kind ist erschreckend.“
Verteidiger Markus Wittke meinte, die Ehefrau habe den Heiler wohl „als letzten Strohhalm“ betrachtet, nach dem sie in ihrer Verzweiflung gegriffen habe.
Vater scheint noch immer von Therapie überzeugt zu sein
Gegen den Heiler wird nicht weiter ermittelt, da er gerichtlich für verrückt und damit schuldunfähig erklärt wurde. Die Eltern des Jungen stammen aus Westafrika, wo noch immer sehr eigenartige Ansichten über Aids kursieren. Der Vater sei allerdings bereits seit 1993 in Deutschland, daher seien die kulturellen Unterschiede kein Entschuldigungsgrund.
Außerdem hätten ihn die Ärzte mehrfach aufgeklärt und eindringlich gewarnt, die Therapie abzubrechen. Trotzdem habe er seinen Sohn in Todesgefahr gebracht. „Er hat auf irgendwelchen Hokuspokus vertraut und das Kind sehenden Auges in die Behinderung laufen lassen“, so de Bruyn. Der Vater scheint jedoch nicht davon überzeugt zu sein, dass das Kobra-Gegengift keine wirksame HIV-Therapie ist. Er fragte die Staatsanwältin: „Können Sie das beweisen?“
Konstruktionen von Wirklichkeit
Die westlichen und afrikanischen Konstruktionen von Wirklichkeit und deren Auswirkungen auf das Verständnis von Gesundheit und Krankheit werden von Dr. Solange Nzimegne-Gölz aus Berlin in der Broschüre „HIV und Aids – Umgang mit Patienten aus Schwarzafrika“ sehr gut erklärt.
„Die traditionelle afrikanische Medizin sieht die Ursache von Krankheit in Handlungen und Gedanken, die gegen Regeln verstoßen, z. B. gegen ein Tabu, gegen die Forderungen der Ahnen oder gegen Stammesregeln“, schrieb die Deutsche Aids-Hilfe dazu in einer älteren Dokumentation. „In dieser Vorstellungswelt gibt es weder durch Viren übertragbare noch unheilbare Krankheiten.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.