Truvada: Mediziner kritisieren HIV-Medikament
14.05.2012
Ein unabhängiger Expertenrat hat der US-Arznei- und Lebensmittelbehörde FDA am vergangenen Donnerstag empfohlen, das präventive Anti-Aids-Arzneimittel „Truvada“ zum Schutz vor einer HIV-Infektion, eine Marktzulassung zu erteilen. Bis auf die letzte Instanz, die Zulassung der FDA, hat die Anti-Aids-Pille im US-Amerikanischen Sektor alle Hürden bestanden. Doch zahlreiche Mediziner zeigen sich skeptisch und kritisieren die zu hohen Erwartungen, die wohl möglich mit Medikament verbunden seien. Zudem weise das Mittel zum Teil erhebliche Nebenwirkungen auf.
Schützendes Mittel vor Aids
An einem Mittel das vor Aids schützt, arbeiten viele internationale Pharmaunterkonzerne seit langem. In den USA hat nun erstmals ein Pharmaunterunternehmen fast alle Hürden erklommen, um ein Präventiv-Mittel gegen die Ausbreitung der HIV-Infektionen zu erreichen. „Eine Pille gegen Aids?“, mitnichten sagen viele Experten. Denn das Mittel könnte viele Menschen dazu verleiten, das Risiko der tödlichen Infektionskrankheit zu unterschätzen. Zudem muss das Mittel exakt nach den Verordnungsweisungen eingenommen werden, um seine Wirkkraft vollends zu entfalten.
Expertenausschuss stimmt Marktreichung zu
Nach einer elf-stündigen Sitzung und zahlreichen weiteren Anhörungen, haben fast alle der 22 unabhängigen Experten für die Marktzulassung des vom Pharmazeutischen Herstellers Gilead Sciences entwickelten Medikaments „Truvada“ zugestimmt. In den meisten Fällen ist somit einer Kommerzialisierung von Arzneimitteln Tür und Tor geöffnet, weil sich die FDA-Behörde ausnahmslos an die Empfehlungen der Kommission hält, obwohl Pflicht hierzu besteht. Eine abschließende Entscheidung wird bis Mitte Juni 2012 erwartet. Bei der Entscheidung handelt es sich um die Zulassung eines Mittels zur Vorbeugung. Truvada wird bereits heute in Kombination mit weiteren Medikamenten zur Behandlung von HIV- und AIDS Patienten erfolgreich eingesetzt.
Im Verlauf einer klinischen Studie konnte das Infektionsrisiko bei heterosexuellen Lebenspartnern, von denen ein Partner „sero-positiv“ war, um maximal 75 Prozent gesenkt werden. Eine weitere Studie kam zu dem Ergebnis, dass auch das Risiko einer HIV-Ansteckung unter homosexuellen Nicht-Infizierten um bis zu 73 Prozent gesenkt werden konnte.
Präventive Anti-Aids-Pille kein Wundermittel
Viele Experten sehen die Marktreichung aufgrund zahlreicher Kritikpunkte mindestens skeptisch. Zum einen verursacht eine Arzneimitteltherapie bis zu 14.000 US-Dollar (rund 10.800 Euro) pro Jahr. Zum anderen sei Truvada „kein Wundermittel“, wie der Vorsitzende der der Anti-Aids-Gruppe AVAC, Mitchell Warren nach der Ausschussberatung sagte. Allerdings sieht auch Warren in dem Mittel einen „wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Aids.“ Viele Millionen Frauen und Männer, die über ein potenzielles HIV-Risiko verfügen, biete „jede neue Möglichkeit einer HIV-Prävention zusätzliche Hoffnung.“ Gemeint sind hier vor allem Ehe- oder Lebenspartner von HIV-Infizierten.
Mediziner und Pflegebedienstete, die in Kliniken täglich HIV-Infizierte und Aidskranke therapieren und pflegen, äußerten sich skeptisch. Dr. med. Roxanne Cox-Iyamu vom Elizabeth Taylor Medical Center in Washington warnte davor, der virale Erreger könnte eine Resistenz gegenüber "Truvada" entwickeln. Ferner sei angesichts der Daten erkennbar, dass die Wirkungsweisen bei Frauen nur unzureichend seien. Die Datenerfassung habe laut der Medizinerin ergeben, dass der Wirkstoff im weiblichen Organismus insgesamt weniger Effekte zeige. Ihre Kollegin und Krankenschwester Karen Haughey mahnte, die Anti-HIV-Pillen seien nicht völlig ungefährlich. Schließlich können unerwünschte und schwere Nebenwirkungen wie „Leberversagen und schwerer Durchfall“ auftreten, sagte Haughey. Zudem müsse das Mittel regelmäßig und genau nach Verordnung eingenommen werden. Das „verlange von den Patienten eine hohe Selbstdisziplin ab“, sagte sie. Ansonsten seien Wirkungsweisen nicht so, wie erwünscht.
Groß angelegte Studie zeigte schützende Effekte
Die Studiendaten des Mittels entstammen vordergründig aus der „iPrEx HIV Präventionsstudie“, die im Jahre 2010 im medizinischen Fachblatt „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurde. Wissenschaftler testeten die Anti-Aids-Pille in den Jahren 2007 bis Ende 2009 an knapp 2500 homosexuell orientieren Männern in Brasilien, Ecuador, Peru, Thailand, Südafrika und den USA. Alle Teilnehmer waren bei Beginn der Forschungsarbeit nicht an HIV infiziert und wurden zudem kontinuierlich untersucht. Vor Beginn der Studie wurden alle Probanden per Zufallsprinzip in zwei gleich große Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe bekam das neue Mittel verabreicht und ein anderer Teil eine Pille ohne Wirkstoff (Placebo). Die Studienteilnehmer wurden über die Übertragungsgefahren aufgeklärt und wussten selbst nicht, welches Präparat sie auf Dauer einnahmen. Am Ende zeigte sich, dass bis zu 73 Prozent weniger HIV-Ansteckungen bei den Wirkstoff-Arzneien erfolgten, wenn die Pillen regelmäßig eingenommen wurden.
Diejenigen, die die Verordnungen nicht ganz so genau nahmen und Truvada nur unregelmäßig einnahmen, zeigten im Ergebnis einen wesentlich geringen Schutzeffekt. Hier lag die Quote bei 44 Prozent weniger Infektionen im Vergleich zum Placebo. Die damaligen Resultate wurden in der Fachwelt „als Durchbruch“ in der Verhinderung von AIDS betrachtet.
Die Studie wurde schon damals heftig kritisiert. So sagte der Aids-Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Essen, Dr. Stefan Esser, die Studie sei "ethisch fragwürdig", weil Gesunde statt Infizierte behandelt würden. Besser sei Aidskranke zu therapieren. Das minimiere ebenfalls das Infektionsrisiko und helfe gleichzeitig den Patienten, so Esser. (sb)
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Bild: segovax / pixelio.de
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