Gewalt gegen Kinder fördert späteres Erkrankungsrisiko im Erwachsenenalter
25.03.2011
Zehntausende Kinder und Jugendliche werden jedes Jahr in Deutschland körperlich misshandelt oder sexuell missbraucht. Die meisten der zum Teil schwer traumatisierten Kinder leiden später nicht nur an psychischen Einschränkungen sondern sind insgesamt anfälliger gegenüber körperlichen Krankheiten oder Infektionen. Das berichtete Professor Johannes Kruse während einer Veranstaltung auf dem diesjährigen Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Essen. Der Mediziner bezieht sich dabei auf eine Reihe von wissenschaftlichen Studien, die zu diesem Thema veröffentlicht wurden.
10 Prozent aller Kinder sind Opfer von Gewalt
Über zehntausend Kinder und Jugendliche werden jedes Jahr körperlich, seelisch oder sexuell von ihren Eltern oder Verwandten missbraucht. Neuere Studien gehen davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der Kinder in Deutschland einen sexuellen Missbrauch bereits erlebt haben. Etwa 10 Prozent aller Kinder sind im Elterlichen Haushalt heftiger körperlicher Gewalt ausgesetzt. Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher liegen, da längst nicht alle Missbrauchsfälle tatsächlich zur Anzeige gebracht werden. Nach Erkenntnissen neuster wissenschaftlicher Studien sind die späteren Folgen von Traumatisierungen nicht nur psychischer Natur, sondern wirken sich auch zum Teil auf die körperliche Anfälligkeit gegenüber Erkrankungen aus. Wer während seiner Kindheit misshandelt wurde, sei im späteren Leben auch anfälliger gegenüber chronischen Schmerzen, bestimmten Herz-Kreislauf Erkrankungen oder Diabetes, sagte Prof. Kruse während einer Veranstaltung zur Psychosomatik in Essen.
Gründe für Anfälligkeit
Um Traumatisierungen zu kompensieren, flüchten sich viele Patienten in einen ungesunden Lebensstil. Betroffene trinken oftmals viel Alkohol, ernähren sich ungesund, rauchen oder konsumieren Drogen. Da viele Patienten durch sogenannte „Flashbacks“ und „Triggern“ unter einem permanenten Stress stehen, begünstigen Stresshormone die Entstehung von chronischen Entzündungsprozessen. „Viele traumatisierte Menschen rauchen, ernähren sich ungesund und bewegen sich weniger“, erklärte der Schmerzexperte.
Destruktive Bewältigungen bei Affekt-Zuständen
Gerade das Rauchen spielt als Bewältigungsstrategie bei affektiven Zuständen eine gewichtige Rolle. Wenn durch bestimmte Auslöser (Trigger) alte Erinnerungen emotional spürbar werden und Traumatisierte von Gefühlen überschüttet werden, dienen Zigaretten quasi als Selbstberuhigungsstrategie, erläuterte Kruse. Studien zeigten, dass Opfer von Gewalt nachfolgend auf Stresssituationen übermäßig reagieren und es zu einer vermehrten Ausschüttung von Hormonen kommt. „Bei diesen Menschen schüttet der Körper unter Belastung vermehrt und über längere Zeit Stresshormone aus.“ Wissenschaftler vermuten, dass die vermehrte Ausschüttung den Puls, den Atmen und den Blutdruck erhöhen. Das wiederum belastet das Herz und macht anfälliger gegenüber Infektionskrankheiten und Herz-Kreislauf-Beschwerden.
Therapeutische Hilfe für Alltagstauglichkeit
Mehr als die Hälfte aller Traumatisierten leidet im späteren Erwachsenenalter unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Wie hoch tatsächlich die Anfälligkeit gegenüber organischen Erkrankungen ist, kann nur vermutet werden. Tendenziell dürfte hier das Ergebnis ähnlich gelagert sein. Das bestätigt auch Gritli Bertram, Diplom Sozialarbeiterin einer therapeutischen Wohngruppe in Hannover. „Alkohol, Zigaretten und übermäßiges Essen gehören zu den allermeisten destruktiven Bewältigungsstrategien der Betroffenen. Wir beobachten ebenfalls ein höheres Erkrankungsrisiko. Viele leiden zusätzlich unter Krankheiten wie Asthma oder chronischen Hautkrankheiten. Für Traumatisierte bedeutet das eine deutliche Zusatzbelastung. Daher ist es wichtig, während einer Therapie eine Alltagstauglichkeit herzustellen, um z.B. konstruktive Bewältigungen aufzuzeigen und zu erlernen.“ (sb)
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Bild: Martin Schemm / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
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