Das Denken in Analogien, Zuckerkügelchen mit einer „potenzierten“ Verdünnung und eine geistartige Kraft in der Materie – das sind die Grundlagen der Homöopathie. In populären Vorstellungen rangieren homöopathische Mittel irgendwo zwischen selbst gekochtem Salbeitee, Tageshoroskop und Aspirin.
Arzneimittel ja, aber irgendwie sanft und ohne Nebenwirkungen, weil es sich um gute Naturheilkunde handelt im Unterschied zur bösen Pharmaindustrie, und weil Homöopathie ganzheitlich ist statt nur Symptome zu behandeln. Solche Vorstellungen sind ebenso verbreitet wie falsch. Der folgende Beitrag klärt auf und setzt sich mit einigen der gängigsten Mythen über Homöopathie auseinander.
Inhaltsverzeichnis
Der Placebo-Effekt
„Ein Placebo-Effekt tut der homöopathischen Ehre weh und scheint dem praktischen Erfolg zu widersprechen. Es ist in der Tat eine narzisstische Kränkung, die Position des grandiosen Heilers zu verlassen und banale medizinische und wissenschaftliche Fakten stattdessen zuzulassen. Ja, der Placebo-Effekt kann Erstaunliches leisten, die Regression zur Mitte tut ein Übriges und Symptome verändern sich auch zufällig. Zumal in einem wohlwollenden Umfeld der “ganzheitlichen Betrachtung”. Dass nichts anderes verantwortlich ist für eine solche Veränderung, das ist schwer zu akzeptieren.“ Natalie Grams
Mythos 1: Homöopathie ist Naturheilkunde
Homöopathie assoziieren Verkäufer und Käufer homöopathischer Mittel mit Naturheilkunde. Naturheilkunde im engen Sinne bedeutet Heilen mit Mitteln, die nicht synthetisch produziert werden. Naturheilkunde umfasst zum einen Heilpflanzen oder Mineralien, zum anderen „Kräfte der Natur“ wie Wärme, Kälte, Wasser oder Luft. Heiße Bäder, Wechselduschen, Kneipp-Kuren, Salbeitee oder Saunen sind insofern alles Methoden der Naturheilkunde – Homöopathie nicht.
Samuel Hahnemann, der Erfinder der heutigen Homöopathie, vermutete nämlich eine „geistartige Kraft“ als Ursache von Krankheiten und richtete sich ausdrücklich gegen die „Kräuterheilkunde“ seiner Zeit.
Alles, was als „Urtinktur“ ein Symptom hervorruft, kann in der Homöopathie als Mittel dienen, nicht nur Pflanzen, sondern auch Hundekot, Schweineembryos oder Plutonium. Das fertige Mittel enthält durch Verdünnen aber faktisch nichts mehr von dem Ausgangsstoff.
Den Homöopathie-Kritiker Norbert Aust stört besonders der Begriff Heilkunde: „Jedwede Heilkunde ist damit verbunden, dass eine Wirkung auf den Patienten ausgeübt wird, die von etwas ausgeht, das wirksam ist. Das müssen nicht unbedingt Wirkstoffe sein, auch Wärme, körperliche Einflussnahme (Massagen), oder Gespräche sind als Träger einer positiven oder negativen Wirkung bekannt.
In der Homöopathie, die sich als Arzneimitteltherapie versteht, ist genau dies nicht der Fall. In mittleren Potenzen ist der Wirkstoff in kaum mehr messbaren Mengen enthalten, in Hochpotenzen gar nicht mehr, obwohl gerade diese Präparate angeblich eine gesteigerte Wirksamkeit aufweisen.“
Homöopathie ist ihm zufolge keine Heilkunde, sondern eine Heilslehre: „Die Homöopathie ist also eine Heilslehre, die davon ausgeht, dass Verdunstungsrückstände von geschütteltem Wasser auf Zucker eine spezifische Wirksamkeit aufweisen, die von der nicht vorhandenen Urtinktur ausgeht. Diese können so natürlich sein wie sie wollen: Es ist keine reale Heilkunde.“
Die Kritikerin Natalie Grams ergänzt: „Naturheilkunde kann spezifische Wirkungen entfalten und ist Basis vieler unserer normalen Medikamente (z.B. Penicillin, Digitalis), Homöopathie ist Humbug aus längst vergangenen Zeiten und hat mit Medizin und Natur im doppelten Sinne nichts zu tun.“
Grams schreibt: „Die Beliebtheit der Homöopathie fußt unter anderem auf dem gravierenden Missverständnis, dass sie zur Naturheilkunde gehört. Das ist falsch. Es wird zum Beispiel von pflanzlichen Inhaltsstoffen gesprochen und die Methode wird als natürlich beschrieben. Aber in den Präparaten sind diese pflanzlichen Inhaltsstoffe aufgrund der extremen Verdünnung überhaupt nicht mehr drin.“
Naturheilkunde kommt aus überlieferter Erfahrungsmedizin, und diese Überlieferung entstand, weil die Mittel bei den gleichen Erkrankungen immer wieder die gleiche Wirkung hatten. Viele synthetisch hergestellte Arzneimittel sind nichts anderes als Stoffe aus durch die evidenzbasierte Medizin geprüfte Pflanzenheilmitteln.
Naturheilkunde basiert also auf natürlichen Mitteln, und das sind Mittel aus der materiellen Umwelt des Menschen. Dazu gehören auch physikalische Wirkungen. Wissenschaftliche Methoden weisen die Heilwirkungen längst nach.
Naturheilkunde ist aber nicht ein Glaube an geistige Kräfte, die im Diesseits umherspuken, an Dämonen, Engel oder göttliche Wunder. Samuel Hahnemann lehnte die Behandlung des Körpers im physikalisch-materiellen Sinn ausdrücklich ab – ebenso die Verbindung zwischen Dosis und Wirkung einer Arznei, die eine Krankheit nicht durch eine stärkere ähnliche Krankheit überdecken, sondern die Krankheit bekämpfen sollte.
Auch ein Salbeitee bekämpft aber Halsschmerzen, statt größere Halsschmerzen auslösen zu wollen. Wenn Homöopathen sich als Naturheiler bezeichnen, widersprechen sie ihrem esoterischen Gründervater.
Mythos 2: Die Wissenschaft ist noch nicht weit genug, die Wirkung der Homöopathie zu erklären
Norbert Aust schreibt: „Bei aller Kritik an der Homöopathie sehen wir doch in Hahnemann eher jemanden, der die Methoden seiner Zeit angewendet hat, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Er hatte ja gar keine Möglichkeit, seine Irrtümer zu erkennen, denn die Falsifikation als wesentliches wissenschaftliches Prinzip wurde erst lange nach seinem Tod in die Wissenschaftstheorie eingeführt.“
Homöopathen behaupten, die „Information des Wirkstoffs“ übertrage sich durch Schütteln als „geistartige Kraft“ auf ein Lösungsmittel. Dieses speichere die Information und erinnere sich daran.
Ein Kritiker schreibt dazu: „In dem Präparat Belladonna D30 wird die Ausgangssubstanz durch ein Lösungsmittel wie Alkohol oder Milchzucker 30-mal hintereinander verdünnt. Schon ab der 24. Verdünnungsstufe ist jedoch gar kein Belladonna-Molekül mehr in der Lösung, aber es soll trotzdem wirken. Das ist so ähnlich, wie wenn man in Würzburg einen Autoschlüssel in den Main wirft und dann in Frankfurt versucht, mit dem Mainwasser das Fahrzeug zu starten.“
Wirkstoffe zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie unabhängig vom Glauben des Konsumenten wirken: Heroin ebenso wie Alkohol, Aspirin ebenso wie Salbeitee.
„Die Wissenschaft“ kann schon seit langem sehr gut erklären, warum es den von Hahnemann geglaubten Wirkmechanismus nicht geben kann. Würde ein Gedächtnis im Wasser und eine geistartige Kraft existieren, ließe sich daraus notwendig eine fünfte physikalische Grundkraft ableiten.
Alle physikalischen Theorien, zum Beispiel Elektrodynamik, Quantenmechanik oder die Relativitätstheorie basieren aber auf nur vier Grundkräften.
Vince Ebert schreibt: „Wenn es wirklich eine fünfte Grundkraft gäbe, sähe unsere Welt vollkommen anders aus. Sie würde nach komplett anderen Naturgesetzen funktionieren, die man dann auch in vielen anderen Bereichen beobachten würde. Und weil das eben nicht der Fall ist, existiert der postulierte Mechanismus der Homöopathie nicht.“
Natalie Grams fügt hinzu: „Das Ähnlichkeitsprinzip funktioniert nicht. Ähnlichkeit ist eine menschliche Denk- und Sichtweise. Ähnlichkeiten kennt die Natur nicht. Was für Menschen ähnlich ist, ist noch lange kein Heilprinzip. Auch Analogieschlüsse sind kein naturwissenschaftliches Kriterium.“
Es verhält sich also genau umgekehrt: Samuel Hahnemann war noch nicht weit genug, um systematische Methoden der modernen Wissenschaft anzuwenden – die Wissenschaft ist heute viel weiter.
Mythos 3: Homöopathie wirkt, das haben Studien bewiesen
„Studien“, die als Beleg für die Wirksamkeit von Homöopathie herhalten, sind entweder statistisch nicht signifikant, nicht reproduzierbar, methodisch schwach, weil ohne Verblindung und mit wenig Teilnehmern, oder sie testen überhaupt nicht die Wirkung, weil sie danach fragen, wie zufrieden Anwender mit einem bestimmten homöopathischen Mittel sind, was über eine reale Wirkung nichts aussagt.
Das englische Unterhaus kam 2009 zu folgenden Ergebnissen:
1. Homöopathie bietet keine Vorteile im Vergleich zu Placebos
2. Wenn Patienten über Erfolge berichten, stimmt 1 trotzdem
3. Der National Health Service soll keine Homöopathie bezahlen
Alle methodisch starken Studien mit doppelter Verblindung, vielen Teilnehmern und guter Randomisierung zeigen keine Wirkung, die den Placebo-Effekt übersteigt. Bereits frühe umfassende Untersuchungen fielen vernichtend aus. Die Untersuchungsreihen des Reichsgesundheitsamtes (1936-1939) sollten gerade einen Beleg finden, dass die Homöopathie als „germanische Medizin“, der evidenzbasierten „jüdischen Medizin“ überlegen war. Doch das Ergebnis war niederschmetternd. Das gleiche gilt für Martinis Arzneimittelprüfung von Homöopathika an Gesunden zwischen 1939 und 1955.
Dagny Lüdemann fasst zusammen: „Alle bisherigen Studien haben gezeigt: Die auf extremer Verdünnung basierenden Mittel – hergestellt nach den Theorien des deutschen Samuel Hahnemann aus dem 18. Jahrhundert – haben keinen Effekt auf die Gesundheit, der über den eines Scheinmedikamentes (Placebo) hinausginge. Die aktuellste Übersichtsstudie im Auftrag der australischen Gesundheitsbehörde NHMRC kam 2015 nach der Auswertung von mehr als 1.800 Homöopathie-Studien zu einem vernichtenden Ergebnis: Bei keinem denkbaren Leiden könne ein homöopathisches Mittel zur Therapie empfohlen werden (hier der NHMRC-Bericht als PDF). Wer zugunsten der Homöopathie auf klassische Mittel verzichte, bringe sich sogar in Gefahr.“
Der emeritierte Professor der University of Exeter, Edzard Ernst, ergänzt: „Wie immer wir es drehen und wenden, die derzeitige Studienlage belegt keineswegs die Wirksamkeit der Homöopathie. Und es sollte zu denken geben, dass dies auch in über 200 Jahren nicht eindeutig gelungen ist. Homöopathen verdienen ihren Lebensunterhalt damit, das Gegenteil zu behaupten – vielleicht hat jeder das Recht auf seine eigene Meinung, aber sicher nicht auf seine eigenen Fakten!“
Mythos 4: Homöopathie ist ganzheitlich
Die WHO definierte 1946 eine ganzheitliche Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“
Ganzheitliche Medizin sieht den Menschen als festes, aber nach außen hin offenes System. Die Teile dieses Systems stehen zueinander ebenso in Beziehung wie zum System als Ganzem und zur Außenwelt.
Zu Krankheit und Gesundheit tragen demnach die Faktoren eigene Person (Psyche und Körper), die soziale Umwelt (Beziehungen, Verwandte, Freunde, Kollegen, Arbeitswelt, Gemeinschaft und Gesellschaft) ebenso bei wie die natürliche Umwelt (Wasser, Luft, Erde, Klima, Wetter etc.), die künstliche Umwelt (Technik, Wissenschaft etc.) und die Weltanschauung (Philosophie, Ethik, Ideologie, Religion etc.). Alle diese Faktoren stehen zueinander in Beziehung und ganzheitliche Medizin bedeutet, ihre Wechselwirkungen zu berücksichtigen.
Ein „konventioneller“ Arzt prüft die Vorgeschichte einer Erkrankung. Er fragt dazu nach den Begleitumständen, bei Bluthochdruck sieht er zum Beispiel, ob der Patient sich ausreichend bewegt, unter Übergewicht leidet, raucht, Alkohol trinkt etc. Auch die soziale Umwelt spielt eine Rolle: Ist der Betroffene am Arbeitsplatz oder in der Familie hohem negativen Stress ausgesetzt etc.? Der Arzt erkundigt sich nach der allgemeinen Gesundheit, berücksichtigt genetische Belastungen etc.
Ein „Schulmediziner“ verschreibt eben nicht nur Medikamente. Einem Patienten mit Kopfschmerzen, deren Ursache verspannte Schultern sind, wird er auch zu Massagen oder Wärmekissen raten. Einem Patienten mit Bluthochdruck wird er eine ausgewogene Ernährung empfehlen oder bei stressbedingten Erkrankungen Entspannungsübungen.
Bei komplizierten Krankheiten, die eine psychosomatische Komponente beinhalten, insbesondere auch bei schweren Erkrankungen, die zusätzlich die Psyche belasten wie Krebs, arbeitet oft ein ganzes Team zusammen: Fachärzte, Psycho- und Physiotherapeuten bis hin zu Neurologen und Krankengymnasten. Sie alle berücksichtigen sehr unterschiedliche Faktoren und stimmen daraufhin eine Kombination von verschiedenen Therapien ab: Auf die Krebsoperation und die Chemotherapie folgt zum Beispiel eine Bewegungstherapie in der Reha-Klinik und eine wöchentliche Sitzung mit einem Gesprächstherapeuten.
Die Erklärung der Homöopathie ist hingegen nicht nur falsch, sondern monokausal: Jede Krankheit hat demzufolge den gleichen Ursprung und wird behandelt, indem der Arzt einen Symptomkomplex hervorruft. Ob und wie diese Symptome sich dann zeigen, „belegt“ die Heilung der Krankheit.
Ein Kritiker schreibt: „Kranke allein durch Beseitigen ihrer Symptome heilen zu wollen, ist absurd! Denn Krankheiten haben Ursachen, und genau dort setzt die Wissenschaftsmedizin an, um gezielt zu behandeln. “Erfahrungsheilkunde” und “Ganzheitlichkeit” sind kein Merkmal der Homöopathie. Die gesamte wissenschaftliche Medizin, die abwertend so gern “Schulmedizin” genannt wird, beruht darauf.“
Die „Schulmedizin“ ist also ganzheitlich, wenn Ganzheitlichkeit bedeutet, ein Wirkungsgefüge von unterschiedlichen Faktoren anzunehmen, die sowohl für die Entstehung der Krankheit wie für ihre Heilung, einbezogen werden müssen.
Ein Kritiker schreibt: „Die homöopathische Methode ist auf der Erfassung einer möglichst weitgehenden Symptombeschreibung aufgebaut, nicht auf der Diagnostik von Erkrankungen. Die Erkrankung an sich ist – nur – die Störung der “Lebenskraft”, die sich in Symptomen äußert und – das ist wichtig – im Hinblick auf ihre Entstehungsgründe, ihre tieferen Ursachen, überhaupt nicht hinterfragt wird. Von „Ganzheitlichkeit“ in dem Sinne, wie sie heute als Schlagwort gehandelt wird, kann dabei keine Rede sein.“
Homöopathie ist also das exakte Gegenteil einer ganzheitlichen Untersuchung und Behandlung von Krankheiten – ihre Erklärungen sind monokausal, und sie widmet sich ausschließlich Symptomen.
Was heißt ganzheitlich? Unterschiedliche Ursachen in Betracht ziehen, wenn Symptome sich abschwächen? Unbelegte Kausalzusammenhänge vermeiden? Wirkmechanismen mit redlichen Methoden und Metastudien untersuchen? Homöopathie ist in diesem Sinne nicht ganzheitlich, sondern ein religiöses Konzept, das psychische Symbole als Substanzen verkauft – so „ganzheitlich” wie das Blut Jesu beim Abendmahl in der katholischen Kirche.
Mythos 5: Homöopathie geht an die Ursache, Schulmedizin nur an Symptome
Samuel Hahnemann schrieb in seinem Hauptwerk Organon: „Da man nun an einer Krankheit, von welcher keine sie offenbar veranlassende oder unterhaltende Ursache (causa occasionalis) zu entfernen ist sonst nichts wahrnehmen kann, als die Krankheits-Zeichen, so müssen […] es auch einzig die Symptome sein, durch welche die Krankheit die, zu ihrer Hülfe geeignete Arznei fordert und auf dieselbe hinweisen kann…so muß, mit einem Worte, die Gesamtheit der Symptome für den Heilkünstler das Hauptsächlichste, ja Einzige sein, was er an jedem Krankheitsfalle zu erkennen und durch seine Kunst hinwegzunehmen hat, damit die Krankheit geheilt und in Gesundheit verwandelt werde.“
Unzählige Krankheiten heilt die evidenzbasierte Medizin deshalb, weil sie ihre Ursache kennt. Das gilt auch für die Vorbeugung von Krankheiten. Hahnemann hingegen leugnete die Ursache von Infektionen durch Viren und Bakterien – er hielt eine gestörte Lebensenergie für deren Auslöser.
Das Wissen und die Behandlung der Ursache führte zum Beispiel zu Impfprogrammen, durch die ehemalige Geißeln der Menschheit wie Pocken, Pest, Kinderlähmung, Diphtherie, Tetanus und sogar Tollwut heute in weiten Teilen der Welt keine Bedrohung mehr darstellen.
Auch Mangelerkrankungen lassen sich genau deshalb sehr gut behandeln, weil die Ursache bekannt ist: Rachitis, eine Folge von Vitamin-D-Mangel ist heute in Industrieländern kaum noch ein Thema.
Ohne die Ursache einer Krankheit zu kennen wie einen Tumor, eine Vergiftung durch Schimmelpilze, Parasiten oder Nervenstörung, ließe sich diese „schulmedizinisch“ gar nicht behandeln.
Während also die „Schulmedizin“ gerade nicht „nur Symptome“ behandelt, ist dies per definitionem die Grundlage der Homöopathie. Hahnemann beobachtete ausschließlich Symptome von Krankheiten und Mitteln, die vergleichbare Symptome künstlich hervorrufen sollen.
Er erklärte Krankheiten mit einer geistartigen Kraft und der „Lebensenergie“ also esoterischen Fantasien, die nicht in der Realität verankert sind. Diese Fiktionen setzt die Homöopathie als Ursache von Krankheiten voraus: Hahnemann und seine Nachfolger suchen also nicht systematisch nach Ursachen von Krankheiten.
Mythos 6: Die „Erstverschlimmerung“ zeigt, dass Globuli wirken
Samuel Hahnemann glaubte, dass das künstliche Auslösen einer „stärkeren Krankheit“ mit den gleichen Symptomen die ursprüngliche Krankheit überdecken würde. Diese auslösenden Globuli würden dann abgesetzt und die Krankheit geheilt. Deshalb setze bei homöopathischen Mitteln eine „Erstverschlimmerung“ ein, das heißt, die Symptome würden erst einmal schlimmer.
Diese Vorstellung erklärt vermeintliche Wirkungen homöopathischer Mittel. Infektionskrankheiten verlaufen nämlich in aller Regel mit einer Regression zur Mitte: Das Fieber beginnt, dann steigt es rapide und sinkt wieder ab.
Wenn jemand zum Beispiel bei einem grippalen Infekt anfangs Globuli einnimmt, verstärken sich natürlich die Symptome (wie auch ohne Globuli), um dann abzufallen. Nimmt jemand die Zuckerkügelchen ein, und die Symptome bessern sich (wie auch ohne Globuli), zeigt das für Homöopathie-Gläubige ebenfalls die Wirkung. Bleiben die Symptome gleich (wie auch ohne Globuli), sucht der Homöopath, laut Hahnemann, nach anderen Globuli, die wirken. Nehmen dann irgendwann die Symptome ab (wie auch ohne Globuli), spricht das wieder für die Wirkung der Mittel.
Mit anderen Worten: Da Krankheitssymptome sich generell nur verbessern, gleich bleiben oder verschlimmern können, ist in den Augen der User in jedem Fall die Wirkung der Globuli bewiesen. Es handelt sich also um klassische Selbsttäuschung.
Die Idee der „Erstverschlimmerung“ kann für Patienten schlimme Folgen haben, wenn es sich um ernste Krankheiten handelt.
Ein Betroffener berichtet: „Ich wurde von meiner Frau vor ein paar Jahren gebeten wegen meines allergischen Asthmas eine Ärztin für Homöopathie aufzusuchen, da es doch schön wäre, nicht mehr auf dieses schlechte Cortison angewiesen zu sein. Ich kam der Bitte nach. Die Ärztin machte eine Anamnese und verabreichte mir dann Globuli auf einem Plastiklöffel mit dem Hinweis, dass ich mir nun keine Sorgen mehr wegen meines Asthmas machen müsste.
Ich folgte den Anweisungen und nahm nach Vorschrift die Globuli. In der Nacht erstickte ich dann fast an einem Asthmaanfall. Nur durch die richtigen Medikamente, Notfallspray (Salbutamol) und Cortisonspray bin ich noch am Leben. Danach war und ist Homöopathie für mich gestorben. Als meine Frau die Ärztin irgendwann aufsuchte, erkundigte sich diese, warum ich denn nie wieder gekommen wäre. Sie berichtete von meinem Asthmaanfall. Daraufhin faselte die Ärztin etwas von Erstverschlimmerung. Hat sie mich aber nie drüber aufgeklärt, außerdem wäre ich jetzt aufgrund der Erstverschlimmerung tot.“
Mythos 7: Homöopathie ist eine moderne Therapie
Samuel Hahnemanns Homöopathie basiert auf dem Glauben an eine geistige Kraft in der Materie – daher auch die Fiktion einer „Information“ im Wasser. Die Idee, Ähnliches mit Ähnlichem zu behandeln übernahm er aus der Signaturlehre des Mittelalters: Demnach half die Mistel gegen Epilepsie, weil sie nicht vom Baum fiel, und die Tollkirsche sollte gegen die Tollwut helfen, weil beide „toll“ machten.
Hahnemann glaubte an Astrologie und Esoterik, an mystische Kräfte, die unsichtbar im Dasein herum schwirren. Sein Weltbild kam aus der Antike und dem Mittelalter und war religiös geprägt. Die Homöopathie basiert auf einem senkrechten Weltbild, in dem im Himmel wie auf Erden und natürlich im menschlichen Körper alles in Hierarchien und Analogien verbunden ist.
Dieses Denken lässt sich mit dem heutigen Wissen über die Organisation unseres Gehirns ausgezeichnet erklären: Unser schnelles assoziatives Denken bildet ständig Muster aus, anhand derer wir uns in der Umwelt orientieren. Diese vertrauten und als Erinnerung abgespeicherten Muster haben aber mit natürlichen Wirkmechanismen außerhalb des Menschen nichts zu tun.
Unser assoziatives Denken verbindet also Tollkirsche und Tollwut, Mistel und Epilepsie und webt daraus ein, im Wortsinn, Hirngespinst. Hahnemann und seine Jünger vertreten kein „alternatives“, sondern ein vorwissenschaftliches Weltbild einer Zeit, als die Menschen glaubten, die Erde sei eine Scheibe und das Einhorn existiere wirklich.
Homöopathie steht im Widerspruch zur Evolutionswissenschaft in der Biologie, der Thermodynamik in der Physik, in Widerspruch zur Chemie und insbesondere im Gegensatz zur wissenschaftlichen Medizin und dem modernen Wissen um den menschlichen Körper.
Mythos 8: Also ich habe die Erfahrung gemacht, dass Globuli wirken
Homöopathie-Anhänger verweisen in Diskussionen gerne auf die eigenen Erfahrungen – meistens sobald Studien keinen Hinweis finden, dass homöopathische Mittel über den Placebo-Effekt hinaus wirken, Medizinhistoriker die überkommenen Annahmen hinter Hahnemanns Konstrukten erörtern oder Naturwissenschaftler anmerken, dass der vermutete Wirkmechanismus der Homöopathie naturwissenschaftlich nicht existieren kann.
Eine individuelle „Erfahrung“ ist ein Totschlagargument, genauer gesagt, überhaupt kein Argument. Ebenso kann jemand von seiner Gotteserfahrung berichten, die ihm gezeigt hat, dass Gott existiert – und niemand anders kann ihm diese Erfahrung streitig machen, weil er sie selbst nicht hatte.
Zum einen ist der Verweis auf die eigene Erfahrung innerhalb von Diskussionen also unredlich, denn niemand anders kann sie prüfen. Unredlich bedeutet auch, dass solche Behauptungen keine wissenschaftliche Bedeutung haben.
Zum anderen ist die eigene Erfahrung spätestens dann trügerisch, wenn sie als Beleg für die Wirkung von irgend etwas dient. Wenn Erfahrung bedeutet, ich war krank, dann wurde ich gesund, sagt dies nichts über die Wirkung von Globuli aus – es sei denn, Faktoren, die ebenfalls Erklärungen bieten, sind hinreichend in Betracht gezogen.
Hier deckt sich postmoderne Beliebigkeit mit Hahnemanns vormodernem Denken. Die Grundlage von Hahnemanns Homöopathie ist geradezu ein Paradebeispiel von einem Fehlschluss aus eigenen Erfahrungen. Er wurde krank, nachdem er Chinarinde zu sich nahm, die seinerzeit wie heute ein Mittel gegen Malaria war. Dann glaubte er, seine Symptome seien deckungsgleich mit Malaria und schloss daraus, dass Mittel, die ähnliche Symptome auslösen gegen eine Krankheit heilen.
Heute wissen wir, dass die Symptome, die er entwickelte, erstens nicht von der Chinarinde kamen und zweitens nicht mit denen der Malaria übereinstimmten. Er hatte zum Beispiel keine Fieberschübe. Selbst wenn sich die Symptome jedoch geglichen hätten, gibt es unzählige Ursachen, die ähnliche Symptome auslösen können, weil der menschliche Körper nur über ein begrenztes Repertoire von solchen Ausdrücken verfügt.
Michael Hohner schreibt auf ratioblog.de: „In der Regel beginnen neue Entdeckungen damit, dass jemand stutzig wird. Aber Wissenschaft beginnt eben an dieser Stelle, sie hört nicht mit einem “bei mir funktionierts” auf. Wenn Sie herausfinden wollen, ob es wirklich Ihre homöopathische Mixtur war, die die Besserung bewirkt hat, dann müssen sie eben eine systematische Überprüfung durchführen, wie gerade beschrieben. Man macht das eben gerade deswegen, weil man sich sehr leicht täuschen kann, auch Menschen „die sich keine Märchen erzählen lassen” (weil sie es eben doch tun). Die klinische Prüfung ist letztlich ein Schutz gegen die menschliche Fehlbarkeit.“
Mythos 9: Homöopathie chemisch erklären zu wollen, ist, wie den Satz „ich liebe dich“ wissenschaftlich zu prüfen
Das schrieb ein Homöopathie-Anhänger gegen Kritiker, die auf randomisierte Studien verwiesen, welche zeigten, dass homöopathische Mittel keine Wirkung haben, die über den Placebo-Effekt hinaus geht.
Ohne es zu wollen bestätigte er die Position der Kritiker, indem er selbst behauptete, dass Homöopathie wirkt wie ein Placebo. Der Satz „Ich liebe dich“, einem Kind auf eine Wunde zu pusten und generell einem Kranken zu suggerieren „wir kümmern uns um dich“ sind nämlich glasklare Placebo-Effekte.
Placeboeffekte bezeichnen positive psychische und körperliche Reaktionen, die nicht auf die chemische Wirksamkeit eines Medikaments zurück gehen, sondern auf das psychosoziale Setting der Therapie.
Nun behaupten aber Homöopathen einen gänzlich anderen Wirkmechanismus. Ihnen zufolge dienen die Globuli nämlich nicht als Placebos, also als Scheinmedikamente mit symbolischer Bedeutung, sondern wirken wegen ihrer angeblichen Potenzierung.
Die Wirkung der Homöopathie lässt sich tatsächlich ähnlich erklären wie der Satz „Ich liebe dich“. Vor allem das kranke Kind verinnerlicht, dass Mama sich kümmert und ihm ein Globuli gibt, wenn es dem Kind schlecht geht.
Placebos, mit anderen Worten Selbstsuggestion, wirken direkt auf die Neurotransmitter und Hormone ein und verändern die Arbeit des Gehirns, während die von Hahnemann geglaubten Wirkmechanismen nicht existieren und auch keine ungelösten Rätsel darstellen, sondern auf einem widerlegten Medizinverständnis basieren.
Mythos 10: Globuli wirken auch bei Kindern und Tieren, also sind es keine Placebos
Placebos wirken durch die psychosoziale Zuwendung bei Hunden und Kindern sogar stärker als bei Erwachsenen. Die „Betroffenen“ erfahren vor allem, dass sich Eltern bzw. Herrchen und Frauchen um sie sorgen.
Die intuitive Verbindung zwischen Kleinkindern und ihren Müttern ist extrem stark. Der Säugling erkennt subtile Signale und reagiert darauf – das ist lebensnotwendig. Mutter und Kind fühlen, das Richtige getan zu haben, und beiden geht es gut.
Natalie Grams schreibt: „Die Homöopathie ist nun besonders geschickt darin, diese beiden Mechanismen zu benutzen. Sie verabreicht einerseits wirkstofflose Tablettchen und sie verbindet dies oft mit einem Ritual an Zuwendung, Empathie und der Kraft guter Erfahrungen. Die Globuli tragen somit die Bedeutung „ich lasse Dir Hilfe zuteil werden, liebes Kind“ und zwar ohne, dass dies unbedingt in Worte gefasst wird.“
Homöopathie ist ausdrücklich medizinisch ausgerichtet, und die Globuli verstärken insofern den Effekt „ich helfe dir“. Mutter und Kind erwarten, dass die Globuli wirken und der Placebo-Effekt läuft.
Hunde und Katzen haben ebenfalls sehr feine Antennen für die Gefühle ihrer Halter – Hunde könnten zum Beispiel „Herrchens“ epileptischen Anfall spüren, bevor er selbst etwas merkt. Hunde riechen Ängste und andere Stimmungen und reagieren intensiv, wenn jemand sich ihnen zuwendet. „Leidende“ Katzen lassen sich durch Streicheln beruhigen, und ihnen sind Rituale sehr wichtig.
Zudem können Tiere nicht reden, und da primär Homöopathie-Anhänger ihren Lieblingen Globuli verabreichen, sind sie von den positiven Auswirkungen überzeugt und interpretieren das Verhalten des Tieres dementsprechend. Ob Fiffi wirklich traurig oder fröhlich ist, sei dahin gestellt. Dazu verfügen Tiere über ausgezeichnete Selbstheilungskräfte, und der Halter sieht so in Wirklichkeit nur einen ganz natürlichen Ablauf, wenn die Beschwerden abklingen.
Mythos 11: Globuli wirken vielleicht als Placebo, sie schaden aber auch nicht
Norbert Aust schreibt: „Kinder haben offenbar wie Uhrwerke zu funktionieren und dem entsprechend wird der Tagesablauf mit der Einnahme von Globuli strukturiert. Sie sehen zur Freude der Homöopathieindustrie „Krankheiten“ und „Störungen“, die kein verantwortungsbewusster konventioneller Mediziner als behandlungswürdige Krankheit ansehen würde.“
Laut Grams geben die Globuli-gläubigen Eltern andere Globuli, wenn die ersten nicht „wirken“. Heile dann die Krankheit von alleine aus, vergingen die Beschwerden von selbst, und Mutter wie Kind sind von der Wirkung der Globuli überzeugt. Und beim nächsten Schnupfen wiederholt sich das Spiel.
Die Kinder würden, so Aust, von einem magischen Ritual abhängig: „Sie lernen, dass es nichts gibt, was einfach wieder vergeht und keiner besonderen Beachtung und Behandlung bedarf.“
Das schränkt das Selbstvertrauen ein und kann bei ernsten Krankheiten gefährlich werden. Statt nach wirksamen Methoden zu suchen, um die Ursache zu bekämpfen, zum Beispiel eine Infektion, probieren die Gläubigen ein Globuli nach dem anderen aus und versäumen so kostbare Zeit, in der die Krankheit fortschreitet.
Grams schreibt: „Es gibt Homöopathen, die meinen, sie können chronische Krankheiten wie Diabetes, Asthma oder gar Krebs damit heilen. Das ist nicht harmlos, sondern gefährdet die Gesundheit der Patienten, wenn eine wirksame Behandlung verzögert wird.“ Denn Rituale, Glauben und Placebos machen schwere Erkrankungen zwar erträglicher, heilen sie aber in der Regel nicht.
Ein Kritiker schreibt: „Scheintherapien können sehr wirkungsvoll sein und es spricht nichts dagegen diese gezielt anzuwenden. Ich mache das bei kleinen Wehwehchen von meinen Kindern gern (Blessur pusten, angewärmte Zwiebel bei Ohrenschmerzen etc.). Mit dem festen Glauben an bessere Wirksamkeit von Homöopathika geht aber leider oft auch das Misstrauen gegen andere Pharmazeutika einher, wodurch es dann zu einem stärkeren Nocebo-Effekt kommen kann. Solange der bessere Therapieerfolg von Homöopathie nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden kann, gibt es für mich kein überzeugendes Argument dafür, dass Globuli nehmen besser sein sollte als beten.“
Mythos 12: Wer heilt, hat recht
Diese Aussage trifft zwar vordergründig zu. Ein Arzt, aber auch ein Schamane oder Medizinmann, der erfolgreich Krankheiten heilt, ist glaubwürdiger als ein „Heiler“, dessen Patienten dahin siechen.
Das entbindet aber nicht von einer systematischen Untersuchung, warum Heilungen wirken. Es schmälert zum Beispiel Heilerfolge eines Schamanen überhaupt nicht, wenn die Neurowissenschaften feststellen, dass seine Methoden die Selbstheilungskräfte des Körpers aktivieren und eine psychotherapeutische Funktion haben, aber nicht auf das Wirken von Geistern oder Dämonen zurück gehen.
Wenn also in einer homöopathischen Behandlung das besondere Verhältnis zwischen Arzt und Patient, die psychosoziale Beziehung und der Glaube an die Wirkung der Globuli Heilungsprozesse verstärken, hat der homöopathische Heiler trotzdem nicht recht, wenn er behauptet, dass der Grund für die Heilung eine geistartige Kraft ist.
Um überhaupt die Aussage zu treffen „wer heilt, der hat recht“, müssen alternative Gründe für die Heilung ausgeschlossen sein. Da hapert es bei der Homöopathie gewaltig. Spontanheilungen, die Regression zur Mitte oder Krankheiten, die von selbst heilen, werden so der Wirkung der Globuli zugeschrieben; die normale Kurve zwischen Aufstieg und Abfall von Symptomen liegt im homöopathischen Denken an den homöopathischen Mitteln.
Die ehemalige Homöopathin und heutige Homöopathie-Kritikerin Natalie Grams zum Beispiel war bei der Behandlung von Patienten erfolgreich, sieht aber heute klar, dass für diesen Erfolg nicht die Homöopathie verantwortlich war.
Auch Ärzte der Antike und des Mittelalters nutzten oft richtige Methoden, hatten dafür aber falsche Erklärungen. Heute haben wir Möglichkeiten, zu erkennen, warum ihre Methoden wirkten, die die Menschen in ihrer Zeit nicht hatten. Wer recht hat, erklären heute Studien.
Mehr als 100 wissenschaftliche Studien brachten keinen belastbaren Nachweis für eine Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel, die über den Placebo-Effekt hinausgeht.
Mythos 13: Wissenschaft kann nicht alles erklären – Medizin ist nicht nur Naturwissenschaft
Das ist sicherlich ein Argument, weil ein guter Arzt auch immer ein „Künstler“ ist. Es heißt aber nicht im Umkehrschluss, alles behaupten zu können und sich jeder Prüfung zu entziehen. Dann wäre es nämlich keine Medizin, sondern Religion.
Auch in antiken Kulturen und in Gesellschaften außerhalb Europas basiert Medizin auf überliefertem Wissen. Traditionelle Kulturen hatten zwar nicht die Instrumente der modernen Naturwissenschaft zur Verfügung, sie kannten sich aber mit Heilmitteln aus überlieferter Erfahrung hervorragend aus.
Ob, warum und welche Mittel traditioneller Kulturen wirken, zum Beispiel Chinarinde oder Salbei, den Indigene Amerikas als heilenden Rauch nutzen, lässt sich wissenschaftlich nachweisen.
„Geistige Heilungen“ von Schamanen lassen sich wissenschaftlich ebenfalls ausgezeichnet erklären. Wir können heute nämlich messen, welche Hormone und Botenstoffe der Körper aussendet, oder Zauberrituale als mentales Training würdigen, bei dem sich Bewegungen und geplante Handlungen in den Synapsen verankern, um in der entsprechenden Situation abrufbar zu sein.
Die Behauptung, Homöopathie stehe außerhalb der Grenzen (natur-)wissenschaftlicher Erklärungen ist eine bewusste oder unbewusste Ausflucht, weil sich „homöopathische“ Wirkungen inzwischen hervorragend erklären lassen, nämlich als Selbstsuggestion.
Mythos 14: Homöopathie ist keine Religion, sondern alternative Medizin
Religion ist ein Sammelbegriff für Weltanschauungen auf der Basis des Glaubens an Transzendenz, also an überirdische, übernatürliche und übersinnliche Kräfte. Diese Kräfte lassen sich nicht wissenschaftlich beweisen, sondern nur intuitiv und individuell erfahren.
Samuel Hahnemann setzte als Wirkmechanismus eine geistige Kraft in der Materie voraus. Damit zitierte er die mittelalterliche Vorstellung, dass Gott das Universum harmonisch geordnet hätte und in der gesamten Schöpfung sein Geist lebe.
Diese Vorstellung ist gänzlich religiös. Wer an Vorstellungen festhält, die wissenschaftlich widerlegt sind wie an die Grundannahme der Homöopathie, dass diese Vitalkraft als Lebensenergie im Körper steckt, glaubt. Wer glaubt, obwohl wissenschaftliche Erkenntnisse zu gänzlich anderen Ergebnissen kommen, hängt einer Religion an.
Mythos 15: Homöopathische Medikamente lassen sich nicht mit den gleichen Verfahren prüfen wie herkömmliche Medizin
Warum nicht? Wenn Globuli eine Wirkung haben, dann lässt sich diese Wirkung in randomisierten Verfahren testen. Es geht dabei nicht einmal darum, wie etwas wirkt, sondern darum, dass es wirkt. Die Wirksamkeit von Paracetamol zum Beispiel ist durch Studien hinreichend belegt, auch wenn wir bis heute nicht genau wissen, wie es wirkt.
Ein Kritiker gibt zu bedenken: „Homöopathie ist wie Onkel Doktor Spiele für Erwachsene – man bekommt „echte“ Arzneimittel aus „echten“ Apotheken mit „echt“ klingenden Namen (auch wenn es wie im Spiel am Ende immer die gleichen Zuckerpillen sind) und um mitzuspielen braucht man nicht mühsam erst einmal Medizin zu studieren und Unmengen an Spielregeln auswendig zu lernen – nein jeder der an das Spiel glaubt darf auch mitspielen – und wenn er will auch seine eigenen Spielregeln erfinden. Irgendwelche Belege für den Sinn der ausgedachten Spielregeln werden i.A. von den Mitspielern nicht verlangt – erlaubt ist was gefällt.“
Natalie Grams schreibt: „Wasser kann keine Informationen speichern. In Wasser kann man nicht schreiben. Wenn man es trotzdem tut, kann man das Geschriebene nicht lesen. Die Idee von „Molekülclustern” hilft nicht weiter: Die entscheidenden Wasserstoffbrückenbindungen ändern sich in jeder Sekunde 1 Billion mal. Auch die Quantenphysik hilft nicht weiter. Wo nichts ist, kann nichts wirken.“
Mythos 16: Homöopathie ist eine nichtkommerzielle Alternative zur Profitgier der Pharmakonzerne
Natalie Grams erörtert: „Es wird gern der Eindruck vermittelt, Globuli wachsen an Biobäumchen und werden der Allgemeinheit geschenkt. Das stimmt nicht! Sie werden von Pharmaunternehmen produziert, die damit Geld verdienen. Diese Firmen profitieren, wenn positiv über eigentlich wirkungslose Zuckerkügelchen geschrieben wird. Dass Journalisten solche Artikel verfassen, finde ich höchst fragwürdig.“
Ein Kritiker schreibt: „Glauben Sie denn allen Ernstes homöopathische Globuli würden ehrenamtlich durch freiwillige Homöopathiegläubige hergestellt? All die großen Hersteller von Globuli und ähnlicher Pseudomedizin (ob DHU, Weleda, Heel und wie sie alle heißen) sind Mitglied im Bundesverband der pharmazeutischen Industrie. Von den Gewinnspannen der Globulihersteller können andere Hersteller nur träumen. Entwicklungskosten = 0; Kosten für die Zulassung: kleiner 10.000 Euro; Risiko einer Nichtzulassung: praktisch gleich 0; Materialkosten: praktisch vernachlässigbar da nur Zucker. Herstellungkosten: Verschütteln und Verdünnen erfordert weder aufwendige Maschinen noch qualifizierte Mitarbeiter. Der einzige Haken an dieser „Gelddruckmaschine“: Weltweit gesehen spielt Homöopathie nur eine winzige Randrolle – die Zahl der Gläubigen und damit der Gesamtumsatz ist arg begrenzt.“
2014 lag der Gesamtumsatz für homöopathische Mittel in Apotheken bei 528 Millionen Euro. Die Deutsche-Homöopathie-Union macht mit 500 Mitarbeitern einen Umsatz von 100 Millionen Euro pro Jahr. Es handelt sich also ebenso um einen großen Markt wie in der „konventionellen“ Pharmaindustrie, der zudem den großen Vorteil hat, dass die Produkte den Prüfverfahren für Arzneien entzogen sind – Homöopathie ist Pharmaindustrie pur.
Für die Patienten günstiger ist eine homöopathische Behandlung keinesfalls. Grams zeigt: „Ein homöopathisches Arzneimittel in Apotheken kostet durchschnittlich 10,86 Euro. Der Durchschnittspreis von echter Medizin beläuft sich auf 7,75 EUR. Nebenbei erwähnt: Für Homöopathika-Hersteller fallen natürlich keine Kosten für Forschung und Entwicklung an, was die Gewinnspannen im Vergleich zur oft gescholtenen „Pharmaindustrie“ in ungeahnte Höhen treiben dürfte.“
Insgesamt zahlen die homöopathisch behandelten Patienten mehr als in der „Schulmedizin“: „Eine Untersuchung, bei der Daten von 44.550 Patienten ausgewertet wurden, zeigt: „Die Gesamtkosten lagen in der Homöopathiegruppe nach 18 Monaten höher als in der Vergleichsgruppe. Das galt für alle Diagnosen.“ Dabei zieht die homöopathische Behandlung jede Menge Folgebehandlungen nach sich, sowohl was physische als auch psychische Belange angeht: „In den Monaten 1-3 hatten die homöopathischen Patienten 126,2 Prozent mehr Diagnosen als die Kontrollen. Der größte Unterschied zwischen den Gruppen fand sich bei den psychischen Störungen (38.9 Prozent).“
Mythos 17: Es gibt eine Kontroverse zwischen der „Schulmedizin“ und der Homöopathie
Kontroverse hört sich wissenschaftlich an, und tatsächlich gibt es immer wieder solche gegensätzlichen Standpunkte in der Wissenschaft. Da stehen dann verschiedene Hypothesen gegeneinander und die eine Seite findet Belege für ihre Hypothese, die andere für die andere.
Eine Kontroverse ist eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Eine typische Kontroverse fand zum Beispiel um 1860 zwischen dem Anatomen Richard Owen und Charles Darwins Anhänger Thomas Henry Huxley statt. Owen behauptete, der Mensch unterscheide sich durch einen Hippocampus minor von anderen Primaten, Huxley behauptete, das Gehirn von Mensch und Affe gleiche sich im Aufbau. Die Untersuchungen zeigten: Huxley hatte Recht. Damit war die Kontroverse beendet.
Wie sieht das bei der Homöopathie aus? Natalie Grams weist auf folgendes hin: „Die der Homöopathie zugrunde liegenden Krankheitsmodelle sind vor dem wissenschaftlichen Zeitalter entstanden. Postulierte Kräfte wie “Lebenskraft”, “Lebensenergie”, “Miasmen”, “Nosoden” sind nicht-existente Phantasiegebilde. Die tatsächlichen Krankheitsursachen wie Bakterien, Viren, Pilze, krebserregende Stoffe, Gifte oder Mangelerscheinungen (Hormonmangel, Vitaminmangel, Mangel an Mineralstoffen) werden hingegen nicht als Krankheitsursache akzeptiert.“
Über Hahnemanns Glaubensgerüst gab es bereits schon im 19. Jahrhundert keine Kontroverse mehr innerhalb der Wissenschaft. Zellularpathologie und Ätiologie führten Hahnemanns „geistartige Kraft“ und seinen vermuteten Wirkmechanismus ad absurdum – die Kenntnis über Viren, Bakterien und Pilze erklärte, dass Krankheiten wie Malaria, Tollwut oder Grippe durch Erreger von außen entstehen, was Hahnemann kategorisch abgelehnt hatte.
Natalie Grams schreibt: „Trennung von Wirkung und Nebenwirkungen ist nicht möglich. Es ist nicht erklärbar, dass von einem Substanzgemisch nur die wirksame Substanz potenziert wird, alle anderen unwirksamen Störsubstanzen aber nicht. Es ist auch nicht erklärbar, dass von der wirksamen Substanz nur die von Menschen erwünschte Wirkung potenziert wird, die von Menschen unerwünschte Nebenwirkung aber nicht. Wie sollen Substanzen wissen, was wir wollen?“
Es gibt also keine Kontroverse zwischen der esoterischen Idee einer Vitalkraft und des Simile-Prinzips einerseits und der Ätiologie, die Körpererkrankungen aus Fehlfunktionen des Zellsystems erklärt, andererseits.
Im Gegenteil: Die Ätiologie konnte solche Krankheiten klassifizieren, identifizieren, und die moderne Medizin entwickelte auf dieser Basis wirksame Gegenmittel.
Es gibt auch keine Kontroverse zwischen Hahnemanns Vorstellung, Potenzen aus verdünnten Substanzen „heraus zu schütteln“ und der modernen Pharmakologie. Die Pharmakologen können nämlich im Gegensatz zu Hahnemann exakt berechnen, welche Gehalt einer Substanz in einem Medikament ist und genau nachweisen, wie sie wirken. So lassen sich Schmerzmittel heute in genauester Dosis verabreichen.
Es gibt auch keine Kontroverse zwischen der magischen Signaturlehre und moderner Forschung ebenso wie es keine Kontroverse gibt zwischen Astrologen, die Tageshoroskope erstellen und der unbemannten Weltraumforschung oder eine Kontroverse zwischen Kreationisten, die glauben, dass Gott die Welt in sieben Tagen schuf, und der Evolutionswissenschaft.
Ebenso gibt es keine Kontroverse zwischen „homöopathischer Grundlagenforschung“ und „der“ Naturwissenschaft. Zwar führen diverse homöopathische Schulen immer neue Parameter ein, um die Homöopathie den Naturgesetzen scheinbar anzunähern, doch damit entfernen sie sich gerade immer weiter von belastbaren Hypothesen – ein wissenschaftlicher Kardinalfehler.
Udo Endruscheit schreibt: „Es wäre sehr hilfreich, wenn vor allem der Journalismus einmal zur Kenntnis nehmen würde, dass eine „ausgewogene Berichterstattung“ mit „Schulmedizin“ rechts und „Homöopathie“ links der Sache nicht gerecht wird. Parität und Pluralität kann es sinnvollerweise nur zwischen faktenbasierten Standpunkten geben, ansonsten wären beide schlicht Einfallstore für Unsinn.“
Was bleibt?
Natalie Grams schließt: „Nein, liebe Homöopathen. Die Erde war schon immer eine Kugel. Und die Homöopathie schon immer falsch in allen wesentlichen theoretischen Grundannahmen. Sie für wirksam zu erklären, bedeutet, die Erde zur Scheibe zu machen und nicht umgekehrt. Ich hätte mir gewünscht, dass mehr Homöopathen die Offenheit in sich aufbringen können, die Fakten mal wirklich einschlagen zu lassen. Kritik an der Homöopathie ist nicht nur erlaubt, sie ist nötig, um über die Methode wirklich urteilen zu können.“ (Dr. Utz Anhalt)
Anmerkung:
Dieser Artikel ist als Fachbeitrag zu der laufenden Debatte rund um das Thema Homöopathie gedacht, in der wir sowohl Kritikern als auch Befürworten Platz für eine Darstellung ihrer Positionen einräumen. Weitere Beiträge zu dem Thema finden Sie hier:
Homöopathie – Bei Anwendern beliebt, durch Studien belegt!
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.