Studien geben erste Entwarnung für HPV-Impfung
03.02.2015
Kurz nach Zulassung des Impfstoffs gegen das menschliche Papilloma-Virus HPV tauchten die ersten Fälle von Multiples Sklerose (MS) in kurzem Abstand auf. Der Verdacht lag nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen der Impfung und der Nervenkrankheit geben könnte. Immer wieder wurde in Medienberichten auf eine mögliche Kausalität verwiesen, was teilweise dazu führte, dass Eltern ihre Kinder nicht gegen das Gebärmutterhalskrebs auslösende Virus HPV impfen ließen. Nach jahrelanger Unsicherheit geben nun zwei Studien Entwarnung: Die HPV-Impfung erhöht nicht das Risiko für Multiple Sklerose.
HPV-Impfung stößt häufig auf Skepsis
„Wir Neurologen können Mädchen und jungen Frauen eine Impfung gegen das menschliche Papilloma-Virus HPV guten Gewissens empfehlen, denn der Schutz wird nicht durch Erkrankungsrisiken des Nervensystems erkauft", erläutert Heinz Wiendl von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Lediglich ein früheres Auftreten von Symptomen bei bestehender MS konnte infolge der Impfung beobachtet werden.
Als der Verdacht kurz nach Zulassung des HPV-Impfstoffs aufkam, dass dieser MS begünstigen könnte, waren viele Eltern verunsichert. Folglich erreichte die Impfung, die vor Gebärmutterhalskrebs schützen soll und als Reihenimpfung gedacht war, nie die Impfrate, die zu Beginn erwartet wurde. Derzeit nehmen etwa 45 Prozent der Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren die HPV-Impfung in Anspruch, die von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird.
Multiple Sklerose wird nicht durch HPV-Impfung begünstigt
MS ist eine schwere Nervenkrankheit, die zu den chronischen Autoimmunerkrankungen zählt. Mit fortschreitendem Verlauf werden die Hüllen der Nervenzellen angegriffen. Die Symptome können sämtliche neurologische Bereiche betreffen. So können Sehstörungen, Lähmungserscheinungen sowie Demenz auftreten. Der Verlauf der Erkrankung ist individuell sehr unterschiedlich, das gilt auch für die Schwere und Ausprägung der Symptome. MS geht immer mit einer starken körperlichen Einschränkung einher, die mit einer fortschreitenden Verschlechterung des Gesundheitszustands zum Tod des Patienten führen kann. Sie zählt weltweit zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Rund zwei Millionen Menschen sind davon betroffen.
Die Angst vor dieser heimtückischen Erkrankung ist groß. Da ist es nicht verwunderlich, dass Fallberichte über einen möglichen Zusammenhang zwischen der HPV-Impfung und MS große Skepsis in der Bevölkerung ausgelöst haben. „Ob es sich dabei schlicht um Zufälle handelte, war damals unklar. Zahlreiche Medienberichte führten aber zu großer Verunsicherung", erläutert Wiendl, Direktor der Klinik für Allgemeine Neurologie der Universität Münster. „Das ist ein Dauerbrenner.“
Multiple Sklerose entsteht unabhängig von der HPV-Impfung
Epidemiologen vom Statens Serum Institut in Kopenhagen analysierten die Krankendaten von fast vier Millionen Däninnen und Schwedinnen, um herauszufinden, ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen der HPV-Impfung und MS besteht. 800.000 dieser Frauen hatten innerhalb des Zeitraums von 2006 bis 2013 eine Impfung mit dem Impfstoff Gardasil erhalten. Die Forscher um Nikolai Madrid Scheller konnten damit die Häufigkeit von MS vor und nach der Impfung auswerten und vergleichen. Wie sich herausstellte waren nur 163 MS-Neuerkrankungen von insgesamt 7.622 Fällen in den ersten zwei Jahren nach der HPV-Impfung aufgetreten. Vor der Impfung wurden 22 MS-Erkrankungen pro 100.000 Personenjahre registriert, nach der Impfung nur noch sechs pro 100.000 Personenjahre. Ein ähnliches Ergebnis lieferte die Untersuchung im Hinblick auf andere Nervenerkrankungen.
Wie die Wissenschaftler betonen, bedeuten diese Ergebnisse jedoch nicht, dass die HPV-Impfung vor MS schützen kann. Das Ungleichgewicht ist vielmehr auf das altersbedingte Auftreten der Erkrankungen zurückzuführen, die sich bei Frauen meist erst im zweiten Lebensjahrzehnt bemerkbar machen. Das Alter, in dem die Impfung durchgeführt wird, liegt aber zwischen zehn und 15 Jahren. Die Forscher führten deshalb eine Korrekturrechnung durch, in der das Alter berücksichtigt werden konnte. Danach war die Wahrscheinlichkeit, an MS zu erkranken, vor und nach der Impfung gleich hoch.
Zweite Studie bestätigt den fehlenden Zusammenhang zwischen HPV-Impfung und Multiple Sklerose
Auch die zweite Studie bestätigt, dass kein Zusammenhang zwischen der HPV-Impfung und der Entstehung von MS besteht. „Annette Langer-Gould, die Leiterin dieser Studie, ist eine sehr gute Epidemiologin und diese Untersuchung ist sehr wichtig“, erläutert Professor Ralf Gold, Direktor der Neurologischen Klinik der Universität Bochum und Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Langer-Gould und ihre Kollegen ließen sämtliche Krankenakten des Versicherungsunternehmens „Kaiser Permanente Southern California“ für die Jahre 2008 bis 2011 hinsichtlich neurologischer Auffälligkeiten von einem MS-Spezialisten auswerten. Anschließend verglichen sie die Daten von Impfungen vor allem gegen HPV und Hepatitis B. Bei der Auswertung wurden 780 Fälle von MS oder anderen demyelinisierenden Krankheiten festgestellt. Diesen stellten die Forscher eine fünffache Zahl von Kontrollen gegenüber – Versicherte, die den Patienten hinsichtlich Alter, Geschlecht und Wohnort möglichst ähnlich waren.
„Auch dieser Vergleich fand keinen Zusammenhang zwischen einer Impfung gegen HPV oder Impfungen allgemein mit dem Risiko, binnen drei Jahren danach eine demyelinisierende Krankheit zu erleiden“, berichtet Professor Bernhard Hemmer, Direktor der Neurologischen Klinik der Technischen Universität München.
HPV-Impfung senkt Risiko für Krebserkrankung
Es stellte sich aber auch heraus, dass die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 30 Tagen nach der Impfung eine Diagnose für MS oder eine ähnliche Erkrankung zu erhalten, bei Geimpften unter 50 Jahren mehr als doppelt so hoch war wie für Nichtgeimpfte. „Diese Daten sprechen gegen einen ursächlichen Zusammenhang“, so Hemmer. Es sei dagegen wahrscheinlicher, dass sich bei Menschen mit einer bereits vorhandenen Erkrankung, die sich aber noch nicht bemerkbar gemacht habe, durch die Impfung schneller sichtbare Symptome entwickeln könnten. „Solch ein Übergang kann auch durch jede natürliche Infektion – etwa mit Schnupfenviren – eingeleitet werden“, erläutert der Experte weiter. „In der Gesamtbilanz senken die Impfungen gegen HPV das Risiko einer Krebserkrankung, und diese Studien sprechen klar gegen ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer MS und ähnlicher Leiden“, so Hemmers Fazit. (ag)
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