Anreicherung von Nahrungsmitteln keine angemessene Strategie gegen Mangelernährung
23.07.2014
Hunger und dessen tödliche Folgen sind noch immer eine der maßgeblichen globalen Herausforderungen. So betrifft „Mikronährstoffmangel, auch versteckter Hungergenannt, etwa zwei Milliarden Menschen weltweit“, berichtet die Hilfsorganisation terre des hommes. Die Anreicherung der Nahrung mit Nahrungsergänzungsmitteln ist nach Auffassung von "terre des hommes" jedoch keine Lösung.
„Angereicherte Nahrung sollte nur als temporäre Maßnahme in besonderen Situationen und für besonders verletzliche Zielgruppen bei Bedarf“ verwendet werden, so die Mitteilung von terre des hommes. Denn die angereicherten Nahrungsmittel können die Strukturen nachhaltiger Ernährungssicherung nicht ersetzen. Erstrebenswert sei hier „eine ausgewogene Ernährung auf Basis vor Ort verfügbarer Ressourcen“.
Nicht an den Symptomen des Hungers herumdoktern
Der Mikronährstoffmangel (Defizit an Vitaminen und Mineralstoffen) bildet einen maßgeblichen Bestandteil der globalen „Ernährungsprobleme, die die Lebenschancen von Menschen und Gesellschaften auf eine nachhaltige Entwicklung beeinträchtigen“, berichtet terre des hommes. Nahrungsergänzungsmittel sind nach Auffassung der Hilfsorganisation allerdings nicht dazu geeignet, dem Mangel an Mikronährstoffen nachhaltig entgegenzuwirken. „Durch die Nahrungsmittelanreicherung wird nur an den Symptomen des Hungers und der Mangelernährung herumgedoktert, aber es kommt zu keiner Berücksichtigung der Ursachen“, zitiert die „taz“ die Vorstandvorsitzende von terre des hommes, Danuta Sacher.
Langzeitwirkung angereicherter Nahrung unklar
Kritisch ist den Experten von terre des hommes zufolge auch das Fehlen unabhängiger wissenschaftlicher Studien, „die die Langzeitwirkung des Einsatzes angereicherter Nahrungsmittel hinreichend analysieren.“ So würden „alle Aussagen zu den positiven Effekten des Einsatzes angereicherter Nahrungsmittel auf vergleichsweise kurzfristigen Wirkungsmessungen“ basieren. Auch Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Welthungerhilfe, betont in dem Artikel der „taz“, dass die Wirksamkeit und die gesundheitlichen Folgen der Nahrungsergänzungsmittel noch nicht ausreichend untersucht seien.
Schaffung von Abhängigkeiten
Ein weiterer Kritikpunkt an den angereicherten Nahrungsergänzungsmittel ist terre des hommes zufolge deren Ressourcenintensität. So würden Abhängigkeiten geschaffen und finanzielle Ressourcen und Arbeitskräfte gebunden, „die für lokale und nationale Anstrengungen zum Aufbau von nachhaltigen Systemen der Ernährungssicherung mit vorhandenen lokalen Ressourcen und Selbstversorgung fehlen.“ Daher sollten die finanziellen Mittel der Entwicklungszusammenarbeit nicht in industrielle Produkte zur Anreicherung von Nahrungsmitteln fließen, „sondern Selbstversorgungsysteme in Ländern mit chronischer Mangelernährung auf der Grundlage ihrer eigenen Ressourcen und Kenntnisse stärken“, erläutert terre des hommes. Die Verwendung von Steuermitteln zur Erschließung von Märkten für angereicherte Nahrungsmittel (beispielsweise BMZ-Programm Global Food Partnership in Zusammenarbeit mit BASF, Bayer CropScience oder Syngenta) sei ebenso zu hinterfragen, wie die unzureichende Transparenz dieser Maßnahmen.
Bäuerliche Strukturen vor Ort stärken
Laut terre des hommes gibt es „aus entwicklungspolitischer Sicht keine Alternative zur Konzentration der Entwicklungszusammenarbeit auf die Entfaltung der Potenziale der lokalen Ressourcen für die Überwindung von Mangelernährung.“ Als positives Beispiel nennt die Hilfsorganisation das am indischen „Child-in-Need-Institut“ in Kalkutta entwickelte Rezept „Nutrimix“, bestehend aus Reis, Weizen und Gemüse. Die habe unter Verwendung lokal angebauter Lebensmittel „bei Kindern eine Gewichtszunahme von neun Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag bewirkt.“ Das Gegenbeispiel ist dem Generalsekretär der Welthungerhilfe zufolge der sogenannten „Goldenen Reis“, der durch gentechnische Veränderungen mit einem erhöhten Betacarotin-Anteil auftrumpft. Dies werde vom Körper in Vitamin A umgewandelt, jedoch bleibe offen, ob der Reis auch in den betreffenden Ländern genug Ertrag abwerfe und ob ein Körper im Zustand der Mangelernährung das Betacarotin überhaupt wie vorgesehen umwandeln könne. Anstatt auf technische Lösungen zu setzten, die in erster Linie dem Profit multinationaler Konzerne dienen, sollten nach Ansicht von terre des hommes die bäuerlichen Strukturen vor Ort so unterstützt und gestärkt werden, dass hier eine nachhaltige Sicherung der Lebensmittelversorgung möglich wird. (fp)
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