Hyperakusis – sich vor Lärm zu schützen, verstärkt Problem
Vogelzwitschern, Wasserrauschen oder Stimmengewirr empfinden Betroffene mit Geräuschempfindlichkeit, der sogenannten Hyperakusis, als unangenehm oder gar als bedrohlich. Mehr als eine Millionen Menschen leiden daran und fürchten sich oft vor Schädigungen am Gehör. Deshalb versuchen die meisten von ihnen sich durch das Zuhalten der Ohren, Ohrstöpsel oder auch Kopfhörer vor Geräuschen zu schützen. Zudem meiden viele bewusst Situationen, in denen unangenehme Geräusche auftreten könnten. Hierdurch verstärkt sich das Problem jedoch, die Geräuschüberempfindlichkeit nimmt immer weiter zu. Darauf weist das HNOnet-NRW, ein Zusammenschluss niedergelassener HNO-Ärzte, hin.
Die Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen kann auf einem oder auch beiden Ohren auftreten. Die Grenze zur Geräuschempfindlichkeit ist überschritten, wenn selbst alltägliche Geräusche unangenehm werden und Stressreaktionen im Körper auslösen. „Das Gehör weist bei den meisten Patienten mit Hyperakusis jedoch keine Schäden auf“, betont Dr. Uso Walter, Vorsitzender des HNOnet-NRW. „Der Fehler liegt vielmehr bei der neurologischen Verarbeitung der Geräusche im Gehirn.“ Wie bei einem Verstärker, der falsch eingestellt ist, werden bei der zentralen akustischen Verarbeitung unwichtige Störgeräusche nicht mehr unterdrückt, sondern ungefiltert weitergeleitet oder sogar verstärkt. Zwar sind Ursachen noch nicht vollständig geklärt, das Phänomen tritt jedoch häufig bei einer akustischen Überlastung oder bei Stress auf. Daher kann Hyperakusis auch in Verbindung mit seelischen Gesundheitsproblemen wie Angststörungen, Depressionen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung vorkommen. Bei etwa 40 Prozent der Patienten treten zusätzlich Ohrgeräusche, also ein Tinnitus, auf. „Dabei ist der Tinnitus weder Ursache für die Geräuschüberempfindlichkeit noch umgekehrt die Geräuschüberempfindlichkeit Ursache für den Tinnitus“, erläutert Dr. Walter. „Beide Symptome können sich unabhängig voneinander im Hörsystem entwickeln und dann einzeln oder gemeinsam auftreten.“
Bei audiometrischen Untersuchungen durch den HNO-Arzt oder Hörgeräteakustiker stellt sich eine Hyperakusis durch eine deutlich erniedrigte Unbehaglichkeitsschwelle (UBS) dar. So werden die Testtöne bereits mit 50 oder 60 dB – dies entspricht normaler Gesprächslautstärke, oder einem leisen Radio – als unangenehm erlebt. Die Therapie der Geräuschüberempfindlichkeit besteht aus einem Hörtraining, bei dem der Betroffene mit angenehmen Geräuschen zunehmender Lautstärke konfrontiert wird. Hierdurch werden die Unterdrückungsmechanismen im Bereich der zentralen Hörverarbeitung aktiviert und im Laufe der Zeit werden auch unangenehme Geräusche erträglich. Umgekehrt verstärkt eine bewusste Abschottung von akustischen Reizen die Geräuschüberempfindlichkeit immer mehr. Jegliche Stille gilt es daher zu vermeiden. „Ein Hörtraining führt praktisch immer zu einer schnellen Besserung der Symptomatik“, unterstreicht Dr. Walter. „Nach zwei Monaten sind 90 Prozent der Betroffenen wieder beschwerdefrei.“ Unterschieden werden muss die Hyperakusis von der so genannten Phonophobie, bei der nur bestimmte Geräusche als unangenehm empfunden werden. Hier ist eine Verhaltenstherapie erfolgversprechend. (pm)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.