Hysterische Hygiene vermeiden
10.11.2013
Vor allem bei Erkältungen ist den meisten Menschen bewusst, dass sie vor Mitmenschen Abstand halten sollten, um nicht als Keimschleudern aufzutreten. Ein in Österreich erschienenes Buch gibt Ratschläge für angemessene Sauberkeit und warnt vor exzessiver Hygiene.
Hohe Konzentrationen an Keimen
Auf nur einem Quadratzentimeter Haut auf der Hand tummeln sich bis zu 6.000 Keime und bis zu 150 verschiedene Bakterienarten. Auf Stirn und in den Haaren können es sogar 20.000 Keime pro Zentimeter sein. Muss man sich deshalb vor anderen als potentielle menschliche Keimschleudern fürchten? „Nein, fürchten müssen wir uns nicht, wir sollten uns aber bewusst machen, dass es in Großstädten mit vielen Menschen auch hohe Konzentrationen an Keimen gibt“, so der Buchautor Manfred Berger.
Keine Panik verbreiten
Der Autor des Buches „Hysterie Hygiene“, Dr. Berger, will laut eigener Aussage keine Panik verbreiten, aber er „will schon darauf aufmerksam machen, dass wir mit Hygiene ein bisschen zu sorglos umgehen. Sie ist in der westlichen Welt eine Selbstverständlichkeit geworden und wenn man da die Gefahren der Globalisierung nicht erkennt, kann es kritisch werden.“ Er beschäftigt sich in dem Buch mit Fragen wie: Wie viel Sauberkeit ist aber noch gesund? Wie sollen wir uns im Alltag richtig verhalten, um unsere Gesundheit und insbesondere die unserer Kinder langfristig zu schützen? Wo sind Ängste angebracht und wo übertrieben? Der österreichischen Nachrichtenagentur APA gegenüber sagte Berger: „Übertriebene Hygiene ist genauso gefährlich wie gar keine Hygiene.“
Eine Zahnbürste für die ganze Familie
Andrea Grisold, Professorin am Grazer Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin, meint, dass der Österreicher nicht unbedingt einer sei, der bei der Hygiene übertreibt. Statistisch würde sich zeige, dass die Menschen in Österreich etwas nachlässig seien, wenn es etwa um das regelmäßige Wechseln von Zahnbürste oder Bettwäsche gehe. „Eine Zahnbürste für die ganze Familie ist definitiv zu wenig“, so Grisold, und: „Die Bettwäsche sollte öfter als alle sechs Monate gewechselt werden.“
Mangelnde Hygiene in Krankenhäusern
Ein weitaus größeres Problem mit falscher Hygiene ergibt sich jedoch in Krankenhäusern, denn die Verbreitung der Keime ist teils auch der mangelnden Hygiene des Personals anzulasten. So kritisierte etwa Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes: „Nur 30 bis 60 Prozent des Pflegepersonals führen die vorgeschriebene Händedesinfektion durch.“ Wegen Krankenhauskeimen würden jährlich rund 3,2 Millionen Menschen in Europa erkranken, davon 60.000 in Österreich. Und 37.000 Europäer, davon 1.500 Österreicher, stürben deshalb pro Jahr.
Infektionsprophylaxe Händehygiene
Viel dieser Erkrankungen hätten vermieden werden können, wenn die strengen Hygienerichtlinien der Krankenhäuser eingehalten worden wären. In seinem Buch zitiert Berger die Hygienebeauftragte des Wiener St. Anna Kinderspitals, Christina Peters: „Die wichtigste Infektionsprophylaxe ist eine ordentliche Händehygiene.“ Auch Elisabeth Presterl, Leiterin des Klinischen Instituts für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle an der Medizinischen Universität Wien betont: „Die Hände sind die häufigsten Überträger von Krankheitserregern.“
30 Sekunden Wasser und Seife
Häufiges Händewaschen ist also keine übertriebene, sonder vielmehr eine sinnvolle Angewohnheit. „Gerade in Grippezeiten – und die Grippesaison beginnt ja jetzt bald – sollte man sich noch häufiger als sonst die Hände waschen“, so Grisold. Forscher der Universität in Regensburg hätten herausgefunden, dass die Keimbesiedelung der Hände bereits nach 30 Sekunden Wasser und Seife um fast 100 Prozent zurück gehe.
Sozialer Aspekt des Händewaschens
Der Wiener Arzt Dr. Christoph Wenisch verwies auch auf den sozialen Aspekt der Hygienemaßnahmen: „Händewaschen ist aber auch ein Schutz für meine Mitmenschen.“ Er sieht den gesellschaftlichen Wert unter anderem darin, „dass ich das Meine dazu beitrage, keine Krankheit auf andere zu übertragen. Wer sich in die Hand niest und diese dann einem anderen gibt, ist unfair.“
Bakterien Hotspot Küche
Im eigenen Haushalt sind die meisten Bakterien in der Küche zu finden, sogar mehr als in der Toilette. Wischmopp, Schwammtücher und Putzschwämme wimmeln nur so von Keimen. Und wie Experten vor zwei Jahren feststellten, ist der Wasserhahn ein weiterer Bakterien-Hotspot. Auch im Kühlschrank lauert Gefahr, sofern er nicht regelmäßig gesäubert wird, denn dann könne darin eine höhere Keimbelastung als etwa auf einer Klobrille herrschen. Die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) hat darüber hinaus im Rahmen der Studie „Lebensmittelsicherheit und Hygiene im Privathaushalt“ feststellen müssen, dass man Österreichern nicht unbedingt eine Händewasch-Hysterie nachsagen könne. Die Befragungen hätten ergeben, dass sich zwar 80 Prozent vor oder während des Kochens die Hände wuschen, nach der Speisenzubereitung jedoch nur noch 52 Prozent von ihnen.
Gesunder Dreck
Autor Berger kommt in seinem Buch auch auf das Thema des Umgangs von Eltern mit ihrem Nachwuchs zu sprechen. Oft versuchen Eltern den Forschungsdrang der Kleinkinder aus hygienischen Gründen einzuschränken und untersagen ihnen, sich schmutzig zu machen. Doch der Wiener Chirurg Harald Rosen vertritt in Bergers Buch ganz andere Ansichten: „Wir haben alle als Kinder eine halbe Sandkiste aufgefressen und es hat uns nicht geschadet. Im Gegenteil.“ Der Autor selbst gibt an: „Alle von mir befragten Ärzte und Hygieniker waren der Überzeugung, dass ein Zuviel an hygienischen Maßnahmen für das Ansteigen von Allergien, speziell im städtischen Bereich, verantwortlich ist.“ Die Erklärung dafür liege darin, dass ein Immunsystem, welches vor allem und jedem geschützt werde, nicht trainiert werden kann, denn „es muss kleinere und größere Infektionen überwinden, um sich auszubilden.“ Daher gilt es, eine Balance zu halten zwischen klinischer Sauberkeit und „gesundem Dreck“. (ad)
Bild: josupewo / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
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