Im Osten weniger Antibiotika als im Westen
09.07.2014
Wissenschaftler haben in einer Studie erstmals das Verordnungsverhalten von Ärzten bei häufigen Infektionskrankheiten untersucht. Dabei zeigte sich, dass im Osten mehrheitlich weniger Antibiotika als im Westen verschrieben wurden. Der leichtfertige Umgang mit Antibiotika wird seit Jahren international kritisiert.
Mehr Antibiotika in den alten Bundesländern
Wenn Patienten mit einer Blasenentzündung, Bronchitis oder Mandelentzündung zum Arzt gehen, hängt es offenbar auch von ihrem Wohnort ab, ob sie Antibiotika verschrieben bekommen oder nicht. Im Westen könnten sie solche Medikamente möglicherweise eher erhalten als im Osten, wie eine Untersuchung zeigt. Demnach haben Wissenschaftler des Versorgungsatlas – einem Informationsangebot des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) – bundesweite Abrechnungsdaten aus der kassenärztlichen Versorgung aus dem Jahr 2009 analysiert, um das Verordnungsverhalten der Ärzte bei unterschiedlichen Infektionen zu analysieren. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass "mit Ausnahme von Scharlach in den neuen Bundesländern bei den untersuchten Infektionskrankheiten weniger Antibiotika verordnet werden als in den alten Bundesländern".
Deutlichste Unterschiede bei Mittelohrentzündungen und Harnwegsinfektionen
Bei den analysierten Daten ging es um Erkrankungen wie Atemwegsinfektion, Rachenentzündung, Mandelentzündung, Scharlach, Lungenentzündung, Mittelohrentzündung und Harnwegsinfektion. Der Leiter des Versorgungsatlas, Dr. Jörg Bätzing-Feigenbaum erklärte: „Durch diese Analyse leisten die Kassenärztlichen Vereinigungen und die niedergelassenen Ärzte einen wichtigen Beitrag zur qualitativen und quantitativen Verbesserung der Antibiotikaverordnungen im ambulanten Sektor.“ Die Ost-West-Unterschiede fallen am deutlichsten bei Mittelohrentzündungen (28 Prozent vs. 38 Prozent) und Harnwegsinfektionen (49 Prozent vs. 59 Prozent) aus. Bei Atemwegsinfektionen erhält durchschnittlich jeder dritte Erkrankte in Deutschland (30,6 Prozent) Antibiotika. Im Osten sind es mit 29 Prozent etwas weniger als im Westen mit 31 Prozent. Bei Scharlach gab bei der Medikamentenverordnung keine Unterschiede.
Verordnungsrate bei Lungenentzündungen überrascht
Bei Lungenentzündungen sei der Nutzen von Antibiotika unumstritten. „Hohe Verordnungsraten wären dementsprechend zu erwarten“ folgerten die ZI-Forscher. Dennoch behandelten Ärzte im Bundesdurchschnitt lediglich 53,7 Prozent der ambulanten Patienten antibiotisch (Osten: 48 Prozent, Westen: 55 Prozent). „Die tatsächliche Verordnungsrate liegt vermutlich wesentlich höher“, wie die Forscher schreiben. Vermutlich sei ein Teil der Betroffenen stationär in einem Krankenhaus behandelt worden, was in dem Bericht nicht erfasst wird.
Verordnungsraten allgemein zu hoch
Wie es in der Untersuchung außerdem heißt, zeigte sich bei Rachen- und Mandelentzündungen allgemein eine zu hohe Verordnungsrate, während die Ärzte bei den zumeist von Viren verursachten Atemwegsinfektionen Antibiotika entsprechend der Empfehlungen der Leitlinien zurückhaltend einsetzten. Bei diesen Erkrankungen sei die Antibiotikatherapie entsprechend europäischer Qualitätsindikatoren in bis zu 20 Prozent der Fälle gerechtfertigt. Doch in Deutschland würden bis zu 59,5 Prozent der Fälle mit Antibiotika behandelt und auch bei Mittelohrentzündungen würden die Verordnungsraten höher liegen als die Qualitätsindikatoren ausweisen.
Verbrauch von Antibiotika ist weltweit zu hoch
Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge ist der Verbrauch von Antibiotika weltweit generell zu hoch. Das gelte auch für Deutschland. Allerdings gehört die Bundesrepublik im europäischen Vergleich zusammen mit den Niederlanden und Estland zu der Gruppe mit dem geringsten Antibiotikaeinsatz: Während hierzulande weniger als 15 definierte Tagesdosen pro 1.000 Einwohner verordnet werden, liegen die Raten bei den Spitzenreitern zwischen 37 und 43 Tagesdosen. Experten raten immer wieder zu einem sparsamen Gebrauch von Antibiotika. Zum einen sollen Patienten Nebenwirkungen möglichst erspart bleiben und zudem drohen vermehrte Antibiotika-Resistenzen, wenn die Medikamente nicht verantwortungsvoll eingesetzt werden.
Tausende Tote wegen Antibiotika-Resistenzen
Laut Schätzungen der WHO sterben "allein in Europa jedes Jahr 25.000 Menschen an den Folgen einer Antibiotika-Resistenz". Über das globale Ausmaß lägen keine Daten vor, weil "viele Länder die Gesundheitsbedrohung durch resistente Keime nicht ernst nehmen und dementsprechend keine Daten erheben". Wenn Medikamente nicht mehr wirksam sind, droht die Gefahr, dass Blutvergiftungen, Lungenentzündungen, Geschlechtskrankheiten wie Tripper oder Durchfallerkrankungen wieder so lebensbedrohlich werden wie vor der Erfindung des Penicillins. (ad)
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