BGH klärt Voraussetzungen für gemeinsame Sorge getrennter Eltern
(jur). Getrennt lebende, nicht verheiratete Eltern müssen grundsätzlich zusammen das gemeinsame Sorgerecht für ihr Kind ausüben. Nur wenn konkrete Tatsachen vorliegen, dass das Kindeswohl gefährdet ist, kann der alleinigen Sorge durch einen Elternteil der Vorzug gegeben werden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 16. Juni 2016 (Az.: XII ZB 419/15). Bei der Prüfung, ob das Kindeswohl gefährdet ist, könne in der Regel nicht auf die Anhörung auch von unter 14 Jahre alten Kindern verzichtet werden.
Im konkreten Fall hatte ein nicht verheirateter und getrennt lebender Vater das gemeinsame Sorgerecht für seine heute sechsjährige, bei der Mutter lebende Tochter beantragt. Eine Sorgeerklärung für das Kind lag nicht vor. Ein älterer, im Jahr 2000 geborener gemeinsamer Sohn lebt beim Vater. Hier besteht eine gemeinsame Sorgerechtserklärung.
Die gemeinsame Sorge für die Tochter lehnte die Mutter jedoch ab. Ihr Ex-Partner blockiere jegliche Kommunikation. Auch über das ältere Kind erhalte sie keine Informationen.
Das Jugendamt hielt beide Eltern zwar für sehr verständig und einsichtig. Eine gemeinsame Sorge könne allerdings nicht funktionieren, weil sich die Eltern wegen jeder Kleinigkeit vor Gericht streiten. Die Mutter habe Angst, dass der Vater ihr das Kind „wegnehmen“ will. Der Vater befürchte bei einer alleinigen Sorge der Mutter Umgangsprobleme mit dem Kind.
Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg sprach dem Vater die gemeinsame Sorge für seine Tochter zu. Es betonte in seinem Beschluss vom 3. August 2015, dass eine Mutter die Alleinsorge nicht mit dem Argument beanspruchen könne, dass sie mit ihrem Ex-Partner nicht reden könne (Az.: 13 UF 50/15; JurAgentur-Meldung vom 4. September 2015). Grundsätzlich müssten sich getrennt lebende Eltern auf die gemeinsame Sorge einlassen. Die Brandenburger Richter trafen ihre Entscheidung jedoch nur im schriftlichen Verfahren ohne persönliche Anhörung der Eltern oder des Kindes.
Der BGH hob die Entscheidung des OLG nun auf und verwies das Verfahren zur erneuten Prüfung zurück. Die Karlsruher Richter stellten jedoch klar, dass grundsätzlich der gemeinsamen Sorge für ein Kind der Vorzug zu geben ist. Entscheidend sei, wie das Wohl des Kindes am Besten sichergestellt wird. „Die Sorge ist den Eltern vom Familiengericht (…) auch dann gemeinsam zu übertragen, wenn sich nicht feststellen lässt, ob die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl besser entspricht als die Alleinsorge der Mutter“, heißt es weiter in dem Beschluss.
Gebe es konkrete Anhaltspunkte, dass das Kindeswohl bei einer gemeinsamen Sorge gefährdet sei, müsse das Gericht dem genau nachgehen, forderte der BGH. Dabei müssten die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Folgen der Sorgerechtsübertragung für die Förderung des Kindes und auch der Kindeswille geprüft werden.
Allein die Ablehnung der Mutter gegen die gemeinsame Sorge spreche aber noch nicht dagegen. Liege bei den Eltern jedoch eine „schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene“ vor, so dass „erhebliche Belastungen des Kindes“ zu befürchten seien, könne dies Grund für eine Alleinsorge durch nur einen Elternteil sein.
Dies müsse das OLG nun noch einmal prüfen und die Eltern anhören. Regelmäßig müssten auch Kinder unter 14 Jahren angehört werden, um Bindungen, Neigungen und Kindeswille feststellen zu können. Auch dies müsse nachgeholt werden. Nur bei besonders jungen Kindern oder bei Kindern, die ihren Willen nicht äußern können, könne auf die Anhörung verzichtet werden. fle/mwo
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