Leistungsdruck macht krank: Belastung für Kinder steigt immer mehr
Neue Untersuchungen weisen darauf hin, dass Kinder heute psychisch kränker sind als früher. Der Leistungsdruck, dem die Kids ausgesetzt sind, beginnt immer früher. Außerdem müssen die Kleinen heutzutage häufiger Trennungen der Eltern verkraften. Und sie werden öfter zu Mobbing-Opfern.
Leistungsdruck kommt immer früher
Matheprüfung, Schule bis 15 Uhr, danach direkt nach Hause und wieder an den Schreibtisch, um einen Berg an Hausaufgaben zu erledigen. Für viele Schüler ein normales und alltägliches Szenario. Mittlerweile leidet etwa jeder 5. Jugendliche in Deutschland unter Stress. Der Leistungsdruck kommt Experten zufolge immer öfter und immer früher bei den Kindern an. Die Folgen sind unter anderem Bauchweh und Angst. Außerdem müssen die Kleinen heutzutage häufiger Trennungen der Eltern verkraften. Oder auch Mobbing: Haben sich Schüler in der Vergangenheit auf dem Pausenhof gehänselt, sind die Gemeinheiten heute oft in den sozialen Netzwerken dauerhaft manifestiert.
Bericht zur psychischen Gesundheit von Kindern
Ein besonders dramatischer Fall war der Selbstmord der Amanda Todd. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, entblößte das Mädchen als Zwölfjährige arglos in einem Chat per Webcam vor einem Fremden ihren Oberkörper. Nach der Veröffentlichung der Fotos durch den Mann brachte sich Amanda im Alter von 15 Jahren um. Ihr Tod sorgte weltweit für Schlagzeilen. Haben es Kinder aber heute wirklich schwerer? Und sind sie tatsächlich psychisch kränker? Es gibt Studien, die in diese Richtung weisen. So hat Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) vor wenigen Tagen einen Bericht zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen vorgestellt, demzufolge jedes vierte Kind in Bayern mit psychischen Problemen oder Entwicklungsstörungen aufwächst. Dies zeigen Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und von Krankenkassen. In einer Mitteilung des Ministeriums meinte Huml: „Wir haben jetzt eine umfassende Informationsgrundlage zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Bayern.“
„Solche Dinge werden heute ernster genommen“
Die Zahlen bedeuteten aber nicht, dass jedes vierte Kind krank sei, erklärte Berthold Koletzko vom Haunerschen Kinderspital der Universität München. Es handele sich um Auffälligkeiten. „Solche Dinge werden heute ernster genommen“, so Koletzko laut dpa. Daher würden sie auch öfter festgestellt. „Es ist aber auch so, dass Kinder mehr Belastungen haben.“ In der Agenturmeldung berichten Kinder über ihren Stress: „Manchmal, wenn wir so viele Hausaufgaben aufhaben und viel lernen müssen, dann fühle ich mich unter Druck“, sagte der elfjährige Kilian. Der achtjährige Noah fürchtet sich „vor Alpträumen und wenn ich abends alleine ins Bett muss“. Der sieben Jahre alte Jonathan erklärte: „Ich habe Angst vor einem Krieg. Weil da ganz viele Menschen sterben. Weil sie mit Pistolen und Gewehren schießen. Ich denke oft über die Toten nach.“ Sie alle seien am liebsten zu Hause oder bei Freunden. „Am wichtigsten ist, dass ich Zeit habe“, so Kilian.
Weniger Stress für Heranwachsende
Gesundheitsexperten raten dazu, mit den Kindern Entspannung zu üben, um Stress vorzubeugen. Neben der progressiven Muskelentspannung (progressive Muskelrelaxation) bieten sich hier unter anderem autogenes Training oder Yoga an, das in verschiedenen Städten auch explizit für Kinder angeboten wird. „Man muss mehr tun in der Prävention – Kinder, Jugendliche und Familien unterstützen und stärken, und die Belastung in der Schule mindern“, sagte Koletzko. Die Auswirkungen können vielfältig sein: Schulangst, Angst vor Prüfungen, Schlaf- und Lernprobleme, Essstörungen, Hyperaktivität, Antriebsschwäche oder zu „erwachsene“ Kinder, die nicht mit ihresgleichen spielen mögen oder aber auch Kinder, die allzu bereitwillig für andere da sind. Wie es in der dpa-Meldung heißt, beschreiben Wissenschaftler eine „neue Morbidität“, mit einer Verschiebung von körperlichen Krankheiten hin zu Problemen bei psychischer Entwicklung, Emotionalität und Sozialverhalten.
ADHS macht die Hälfte der Diagnosen aus
Der bayerischen Studie zufolge sind bei Klein- und Vorschulkindern Entwicklungsstörungen die häufigste Diagnose. Im Alter zwischen sieben und 14 Jahren gewinnen Verhaltens- und emotionale Störungen an Bedeutung. Gut die Hälfte der Diagnosen macht das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS aus. Bei Jugendlichen kommen Depressionen dazu. Allerdings warnte Koletzko vor allem bei ADHS vor voreiligen Schlüssen. „Diese Diagnose ist sehr schwer zu stellen. Die Abgrenzung zwischen einer Überlastung und einer echten Krankheit ist nicht immer einfach.“
Erfolge bei der Alkohol- und Tabakprävention
Der Münchner Therapeut Klaus Neumann meinte ebenfalls: „Man sollte vorsichtig sein, was man misst.“ Wenn beispielsweise die Grenzwerte für Cholesterin verändert würden, „weist die Statistik prompt nach, dass die Cholesteringefährdung enorm zugenommen hat“. Aus Sicht Erwachsener resultiere manches daraus, dass Heranwachsende es heute schwerer haben – weil sie selbst es heute schwerer hätten, zum Beispiel beim Zurechtfinden in einer digitalisierten Welt. Auch Neumann, Beauftragter im Berufsverband Deutscher Psychologen für Kindesrechte, sieht eine zunehmende Belastung. „Dazugehören verläuft immer mehr über Äußerlichkeiten“, so der Experte. „Wir haben im Moment mit der Gesellschaft einen Kampf auszustehen, was wirklich zählt. Und da sind die Kids allein gelassen. Alte Rollenbilder sind ins Wanken gekommen. Aber es hat sich noch nichts Neues etabliert.“ Seine „Diagnose“ lautet: „Die Pathologisierungsgrenze ist nach unten gesenkt. Die Besorgnisintensität von Eltern ist nach oben gestiegen.“ Der Mediziner Koletzko wies auf Verbesserungen beim Rauchen und beim Alkohol hin. Laut der aktuellen Studie gingen Einweisungen infolge von Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen in Bayern zurück. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) berichtete über einen rückläufigen Alkohol- und Zigarettenkonsum bei Teenagern. Den Angaben zufolge sank der Anteil der Raucher von zwölf bis 17 Jahren um fast zehn Prozent. „Das sind Erfolge der Prävention“, so Koletzko. (ad)
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