Neue Zahlen: Ärzte verschreiben Kindern immer mehr Psychopharmaka
Einer neuen Studie zufolge steigt die Zahl der Kinder, die Psychopharmaka einnehmen. Warum immer mehr Heranwachsende solche Mittel nehmen, haben die Forscher jedoch nicht geklärt. Laut Gesundheitsexperten sind solche Medikamente in vielen Fällen überflüssig.
Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten nicht gestiegen
Weltweit leiden schätzungsweise zehn bis 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter Beeinträchtigungen ihrer psychischen Gesundheit. Auch in Deutschland haben Gesundheitsexperten in den vergangenen Jahren ihre Sorge um psychisch auffällige Kinder zum Ausdruck gebracht. Allerdings geben jüngste Daten der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KiGGS) des Robert Koch-Instituts (RKI) keinen Hinweis darauf, dass die Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten zwischen 2003–2006 und 2009–2012 angestiegen ist. Dennoch hat sich die Zahl der Heranwachsenden, die Psychopharmaka nehmen, in den letzten Jahren weiter erhöht. Das geht aus einer neuen Studie hervor, die im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde.
Mehr Kinder bekommen Psychopharmaka
Um zu ihren Ergebnissen zu kommen, analysierten die Kölner Forscher – basierend auf den bundesweiten Daten der gesetzlichen Krankenkassen – die Verordnungs- und Neuverordnungsraten sowie die erstverschreibenden Arztgruppen für alle Psychopharmaka bei über vier Millionen Kindern und Jugendlichen im Alter von Null bis 17 Jahren. Pflanzliche oder homöopathische Mittel wurden in der Studie nicht berücksichtigt. Laut den Wissenschaftlern gebe es bei rund 20 Prozent aller Heranwachsenden in Deutschland Hinweise auf psychische Auffälligkeiten. Den Angaben zufolge bekamen 2012 etwa 27 von 1.000 Kindern Medikamente wie Antidepressiva oder das ADHS-Medikament Ritalin verschrieben. 2004 waren es 20 von 1.000. Vor allem Ritalin steht immer wieder in der Kritik. Der Schweizer UNO-Berater Pascal Rudin meinte sogar, das Mittel ist fast immer überflüssig.
Grund für den Anstieg nicht geklärt
Schon 2014 waren Ergebnisse einer Untersuchung veröffentlicht worden, denen zufolge immer mehr Psychopharmaka für Kinder verordnet werden. Die Daten damals stammten von Versicherten der Barmer GEK. Warum der Anteil der Heranwachsenden, die mindestens ein Psychopharmaka-Rezept ausgestellt bekamen, derart angestiegen ist, geht aus der aktuellen Studie nicht eindeutig hervor. Laut den Forschern können die Gründe „vielfältig sein“. „Die Analyse der Daten zeigt, dass die Zunahme der Psychopharmakaverschreibungen nicht auf einer Zunahme von neu therapierten Kindern und Jugendlichen beruht, sondern, dass mehr Patienten, die bereits einmal eine Therapie bekommen hatten, in den folgenden Jahren erneut eine Psychopharmakatherapie erhielten“, heißt es im Deutschen Ärzteblatt.
Kindern mit sozialen und pädagogischen Maßnahmen helfen
Ingrid Schubert von der Universität Köln, die an der Studie mitgearbeitet hat, meinte, man könne aus den Daten nicht ableiten, dass die Heilungschancen der therapierten Kinder und Jugendlichen schlechter geworden seien: „Soweit würde ich nicht gehen. Man könnte auch sagen, sie werden vielleicht vernünftiger, weil konsequenter, behandelt“, erklärte die Wissenschaftlerin laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa. Den Angaben zufolge gehen die Neuverordnungen von Methylphenidat (Ritalin) bei ADHS in Deutschland seit 2008 leicht zurück. Die Forscherin findet es jedoch besorgniserregend, dass bei Kindern die Zahl der Behandlungen mit Antipsychotika zugenommen hat. „Das sind zum Teil sehr stark wirkende Medikamente, die bei Schizophrenie eingesetzt werden.“ Die Studienautoren fordern gerade bei Antipsychotika zusätzliche Leitlinien für Ärzte. Außerdem müsse ein kritisches Bewusstsein geschaffen werden. Es gelte, psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen frühzeitig zu erkennen und ihnen mit sozialen oder pädagogischen Maßnahmen zu helfen, bevor Medikamente nötig werden. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.