Zunehmender Kostendruck: Hebammen kritisieren massenhafte Schließung von Kreißsälen
Immer mehr Krankenhäuser in Deutschland schließen ihre Geburtshilfe-Stationen. Begründet wird dies oft mit zunehmendem Kostendruck. Die verbliebenen Kliniken finden in vielen Fällen kein Personal mehr. Der Deutsche Hebammenverband schlägt Alarm.
Krankenhäuser verabschieden sich von ihren Geburtshilfe-Stationen
Erst vor kurzem war beichtet worden, dass 2015 in Deutschland die höchste Geburtenrate seit 33 Jahren erreicht wurde. „Ein ähnlich hoher Wert wurde nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zuletzt 1982 für das Gebiet des heutigen Deutschlands mit 1,51 Kindern je Frau nachgewiesen“, heißt es in einer Mitteilung. Doch Kinderkriegen könnte zunehmend zum Problem werden. Der Grund: Immer mehr Krankenhäuser verabschieden sich von ihren Geburtshilfe-Stationen.
Das Problem wird sich verschärfen
In den letzten 25 Jahren ging in rund 40 Prozent der Kreißsäle in Deutschland das Licht aus. „1991 gab es noch 1186 Kliniken, in denen Geburten möglich waren. 2014 waren es nur noch 725 Kliniken mit Geburtshilfe. Seitdem schließt fast jeden Monat ein Kreißsaal ganz oder vorübergehend die Türen“, schreibt der Deutsche Hebammenverband auf seiner Webseite.
Die Präsidentin des Verbandes, Martina Klenk, sagte laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa: „Es ist eine dramatische Entwicklung“. Sie warnte: „Wenn sich die Bedingungen zur Berufsausübung nicht verbessern, wird sich das Problem verschärfen.“
Krankenhäuser in ländlichen Regionen ohne Geburtshilfe
Schon jetzt gibt es in vielen ländlichen Regionen kein Krankenhaus mit Geburtshilfe mehr. Zum Beispiel im fast 2000 Quadratkilometer großen Landkreis Diepholz in Niedersachsen. Jutta Meyer-Kytzia, die lange als Hebamme im Kreißsaal gearbeitet hat, sagte laut dpa: „Bei Anfahrtswegen von bis zu 50 Kilometern haben Frauen große Sorgen, es rechtzeitig zur Klinik zu schaffen.“
Mittlerweile kümmert sie sich als Freiberuflerin um Geburtsvorbereitung und -nachsorge. „Ich muss mindestens die Hälfte der Anfragen von Schwangeren ablehnen“, so Meyer-Kytzia. Viele Kolleginnen seien nach der Schließung der ehemals vier Geburtshilfe-Stationen im Kreis abgewandert.
Kliniken finden kein Personal mehr
Schon seit längerem wird in vielen der bundesweit rund 700 verbliebenen Geburtskliniken über einen Hebammen-Mangel, beziehungsweise allgemeine Personalnot geklagt.
„Aufgrund der enormen Arbeitsverdichtung und des Zeitdrucks wollen viele Kolleginnen nicht mehr im Kreißsaal arbeiten“, erläuterte Klenk. In vielen Orten müssen Kliniken ihre Kreißsäle vorübergehend schließen. „Frauen, die mit Wehen vor der Tür stehen, werden abgewiesen. Wir kennen das aus München, Stuttgart oder Freiburg“, so die Verbandspräsidentin.
Als problematisch wird oft auch betrachtet, dass erst im letzten Jahr die Haftpflichtprämien für Hebammen wieder gestiegen sind. Für werdende Mütter wird es daher immer schwieriger, die richtige Hebamme zu finden.
Jedes dritte Krankenhaus macht Verluste
Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKGEV), Georg Baum, erklärte in der Agenturmeldung: „Ein Drittel der Krankenhäuser in Deutschland macht Verluste. Vielfach bleibt den Häusern nichts anderes übrig, als die personalintensive Geburtshilfe-Station zu schließen.“
Seiner Aussage nach entscheidet sich am Donnerstag, „ob das Sterben der Geburtshilfe weitergeht.“ Denn dann steht im Gemeinsamen Bundesausschuss der Sicherstellungszuschlag auf der Tagesordnung. Dieser soll gewährleisten, dass Krankenhäuser im ländlichen Raum, die für Notfälle wichtig sind, ergänzende finanzielle Mittel bekommen.
Auch Geburtshilfestationen sollten aus Sicht der DKGEV auf diese Weise unterstützt werden. „Die Krankenkassen lehnen dies ab. Das halten wir für nicht gerade familienfreundlich“, so Baum.
Lösungsversuch nicht optimal
Auf den zu Schleswig-Holstein gehörenden Inseln Föhr, Sylt und Fehmarn gibt es nach den Schließungen der Kreißsäle einen Lösungsversuch. Im Rahmen des „Boarding“-Konzepts können Bewohnerinnen bis zu zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin ein Zimmer auf dem Festland beziehen.
Hebammen halten diese Lösung jedoch nicht für optimal. „Kaum ein Kind wird am errechneten Termin geboren“, sagte Klenk. „Sie brauchen ein mindestens vierwöchiges Zeitfenster.“ Unter anderem auch deshalb, weil sie ihre Kinder nicht aus dem gewohnten Umfeld reißen wollen, harren viele Schwangere so lange wie möglich an ihrem Wohnort auf der Insel aus.
Erst im September hatte eine Frau aus Sylt, die ins Krankenhaus nach Husum wollte, ihre kleine Tochter im Rettungswagen auf dem Autozug in Richtung Festland zur Welt gebracht. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.