Kombination zweier Impfstoffe soll Kinderlähmung ausrotten
22.08.2014
Neue Hoffnung bei der Bekämpfung der Kinderlähmung: Wie ein Forscherteam vom India National Polio Surveillance Project der WHO aktuell im Journal „Science“ berichtet, könnte die gleichzeitige Verabreichung zweier unterschiedlicher Impfstoffe dazu beitragen, die Poliviren endlich vollständig zu besiegen. Zu den neuen Erkenntnissen waren die Wissenschaftler durch eine Studie mit knapp 1000 Kindern gekommen.
WHO-Ziel der globalen Bekämpfung noch nicht erreicht
Mit dem Begriff „Kinderlähmung“ wird umgangssprachlich die Virus-Erkrankung Poliomyelitis (kurz: „Polio“) bezeichnet, die zwar in erster Linie Kinder, in selteneren Fällen aber auch Erwachsene betrifft. Durch jahrelange konsequente Impfprogramme gilt die Polio in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent derzeit als besiegt. Doch das Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Krankheit global auszurotten, gelang bisher noch nicht, sodass nach wie vor vor allem Länder in Afrika (Nigeria) und Asien (Indien, Pakistan und Afghanistan) betroffen sind. Dennoch konnte die Anzahl der Länder, in denen Polio dauerhaft vorkommt, seit Beginn des Ausrottungsprogramms der WHO im Jahr 1988 von damals 125 Ländern auf lediglich drei Länder (Afghanistan, Pakistan und Nigeria) begrenzt werden.
Nur in seltenen Fällen kommt es zu Lähmungen
Hervorgerufen wird die Infektionskrankheit von Poliviren, die meist über eine oral-fäkale Schmutz- und Schmierinfektionen von Mensch zu Mensch übertragen werden. Der Verlauf der Erkrankung kann ganz unterschiedlich sein. In den meisten Fällen läuft die Infektion mit dem Erreger ohne Symptome ab, zum Teil treten aber auch z.B. Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Schluckbeschwerden auf. Nur in sehr seltenen Fällen kommt es zu massiven Rücken-, Nacken- und Muskelschmerzen sowie den typischen Lähmungen, die meist die Muskeln der Beine, aber auch die von Armen, Bauch, Brust oder Augen betreffen und im schlimmsten Fall (Lähmung der Atemmuskulatur) sogar zum Tod führen können.
Zwei grundlegend verschiedene Impfstoffe zur Bekämpfung der Krankheit
Einen sicheren Schutz vor Polio bietet nur die Impfung, wofür derzeit zwei gängige Impfstoffe zur Verfügung stehen. Während hierzulande ausschließlich der Impfstoff „Salk“ gespritzt wird, ist weltweit die so genannte „Schluckimpfung“ mit dem Lebendimpfstoff „Sabin“ häufiger, welcher abgeschwächte, aber noch funktionsfähige Viren enthält. Damit stehen zwei grundlegend verschiedene Impfstoffe zur Bekämpfung der Krankheit zur Verfügung, wobei die Frage nach der besseren Wirksamkeit bereits seit Jahren von Experten kontrovers diskutiert wird. Der Vorteil der Schluckimpfung nach „Sabin“ wird vor allem in seiner Wirksamkeit, den geringen Kosten und der einfachen Anwendung gesehen. Zudem aktiviert der Stoff auch das Abwehrsystem der Darmschleimhaut, wodurch eine sogenannte „Schleimhautimmunität“ und damit ein noch besserer Schutz gegen die Kinderlähmung erreicht wird.
Risiko bei Impfung nach Sabin: „Impf-Poliomyelitis“
Nach der Verabreichung des oralen Impfstoffs wird das abgeschwächte Virus mit dem Stuhl ausgeschieden, was einen weiteren Vorteil bietet, denn durch die Übertragung von Impfviren durch Schmierinfektion können weitere Teile der Bevölkerung ebenfalls immun werden. Andererseits kann genau dies aber auch zu einem Problem werden, denn gerade in Ländern, in denen ein unzureichender Polio-Impfschutz besteht, kann ein zu lange kursierendes Virus auch zu einer gefährlichen Form mutieren. Der größte Nachteil der oralen Impfung nach Sabin ist jedoch, dass der Stoff – wenn auch in sehr seltenen Fällen – eine „Impf-Poliomyelitis“ hervorrufen kann, die im Prinzip ähnlich wie die natürliche Erkrankung verlaufen kann. Dementsprechend wird die Anwendung des oralen Polioimpfstoffs in Europa seit 1998 nicht mehr empfohlen.
Höhere Schleimhautimmunität durch Kombination der Impfstoffe
Salk oder Sabin? Ein Forscherteam um Hamid Jafari vom India National Polio Surveillance Project der WHO hat nun untersucht, ob nicht möglicherweise die Kombination beider Stoffe der beste Weg sein könnte. In einer Studie hatten die Wissenschaftler fast 1000 Kindern aus dem nordindischen Staat Uttar Pradesh im ersten Schritt entweder den einen oder den anderen bzw. einem Teil der Kinder gar keinen Impfstoff (Vakzin) verabreicht, anschließend bekamen alle Teilnehmer der Studie nach vier Wochen die Schluckimpfung. Die Forscher kamen zu einem interessanten Ergebnis: Waren die Kinder zuerst intramuskulär und dann oral geimpft worden, zeigte sich im Vergleich zu den anderen einerseits eine höhere Schleimhautimmunität, zudem war in diesen Fällen auch die Menge der ausgeschiedenen Erreger geringer. „Die neuen Studien zeigen, dass bei Kindern, die bereits mehrere Dosen des oralen Polio-Impfstoffs (OPV) sowie anschließend eine Spritze mit einem Totimpfstoff erhalten haben, ein stärkerer Effekt auf die Förderung der Immunabwehr einsetzt als bei OPV allein“, so die Forscher in „Science“.
Stärkerer Einsatz von IPV vor allem in Ländern mit schlechtem Impfschutz
Dementsprechend sollte die Spritzimpfung laut Jafari zukünftig gerade in Ländern mit schlechtem Impfschutz stärker zum Einsatz kommen: „Die Ergebnisse deuten auf eine erweiterte Rolle für den inaktivierten Poliomyelitis-Impfstoff (IPV) im globalen Polio-Programm hin, nicht nur für Routineimpfungen, sondern auch um über Massenimpfungen die Ausrottung des Virus zu beschleunigen. IPV ist immer noch teuer und schwierig in der Anwendung und OPV bleibt der Impfstoff der Wahl im Ausrottungs-Programm. Aber in einigen der anspruchsvollsten Umfelder, in denen das Virus stark etabliert und Konflikte den Zugang zu Kindern begrenzen, deutet die neue Studie darauf hin, dass die Kombination aus IPV und OPV genau das ist, was benötigt wird, um die Aufgabe zu beenden“, resümiertJafari. (nr)
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