COVID-Impfungen treiben die Krebsforschung voran
Die mRNA-Impfstoffe wurden gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 erstmals großflächig an Menschen angewendet. Tatsächlich wurde aber schon lange vor der Corona-Pandemie an solchen Impfstoffen geforscht. Die weltweite Fokussierung auf dieses Thema hat der Technologie auf diesem Gebiet einen gewaltigen Schub verpasst. Daraus könnten in absehbarer Zeit auch neue Impfstoffe gegen Krebs hervorgehen. Experte Dr. Guido Wollmann erklärt die Einzelheiten.
Dr. Guido Wollmann ist Leiter des Christian-Doppler-Labors für Virale Immuntherapie an der Medizinischen Universität Innsbruck. Sein Fachgebiet sind sogenannte onkolytische Viren. Diese spezielle Art von Viren wirkt direkt oder indirekt gegen Tumorzellen. Seit über einem Jahrzehnt versuchen Forschende solche Viren zur Behandlung oder Prävention von Krebs einzusetzen. Die Erkenntnisse, die an den Corona-Impfstoffen gewonnen wurden, könnten nun den entscheidenden Durchbruch bringen.
Experteninterview mit Krebsforscher Guido Wollmann
Obwohl der große Durchbruch bislang ausblieb, haben die Ergebnisse aus jahrzehntelanger Forschung an Impfstoffen gegen Krebs mit dafür gesorgt, dass die mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 so schnell auf den Weg gebracht werden konnten. Krebsforscher Wollmann erläutert, warum die Krebsforschung nun von den Erkenntnissen aus den Corona-Massenimpfungen profitiert.
Auf welchem Stand sind mRNA-Impfstoffen gegen Krebs?
„Die drei bekannten mRNA-Impfstoffhersteller haben einen sehr starken, über Jahre gewachsenen Hintergrund in der Krebsimpfung“, berichtet Wollmann. Ein Grund, weshalb die Corona-Impfstoffentwicklung so extrem schnell ging, liege zum großen Teil darin, dass diese Vakzin-Technologien in der Krebstherapie schon weit fortgeschritten seien. Diese RNA-Plattformen, die dann individuell mit RNA-Schnipseln des Coronavirus oder eben auch von Tumormutationen ausgestattet werden können, waren laut Wollmann schon über viele Jahre hinweg bei Tausenden Krebspatientinnen und Krebspatienten in klinischen Studien sehr gut charakterisiert.
Wie unterscheiden sich die Wirkprinzipien bei Krebs und Corona?
„In einen mRNA-Impfstoff gibt man eine sehr kurzlebige genetische Information und die eigene Körperzelle produziert damit ein Protein“, erklärt der Experte. Das könne beispielsweise die Information eines viralen Proteins sein, aber auch jene eines veränderten Bestandteils eines körpereigenen Proteins, nämlich die einer Tumormutation. Ein mRNA-Impfstoff könne also gezielt die Bereiche einer Mutation gegen Krebs codieren. „Das sind Tumorbestandteile, die nur vom Immunsystem wahrgenommen werden, selbst aber keine Funktion mehr haben“, betont der Laborleiter.
Onkolytische Viren in den Tumor injizieren
Neben den mRNA-Impfstoffen gibt es gegen SARS-CoV-2 auch sogenannte Vektorimpfstoffe, deren Wirkprinzip sich unterscheidet. „Für die Anwendung in der COVID-Impfung werden bestimmte Viren fast komplett entkernt, mit einem kleinen Bestandteil der genetischen Information des COVID-Virus befüllt – hier als DNA Stück anstatt RNA – und als Fähre benutzt“, verdeutlicht Wollmann. Der Körper erkenne das entkernte Virus trotzdem noch als Virus und generiere eine Immunantwort.
„Bei den onkolytischen, also den krebsabtötenden Viren, ist das anders“, so der Krebsforscher. Sie könnten nicht entkernt werden, weil sie sich ausschließlich im Tumor vermehren sollen. In der Krebsforschung werden derzeit Therpien entwickelt, bei denen onkolytische Viren direkt in den Tumor injiziert werden. Dort greifen sie die Krebszellen gezielt an und lösen darüber hinaus eine Entzündung aus, die das Immunsystem auf den Tumor aufmerksam macht.
Bringen die COVID-Impstoffe die Krebsforschung voran?
„Ja, sehr wohl“, unterstreicht Wollmann. All die sehr wichtigen, aber auch strengen, regulatorischen Prozesse stellen dem Experten zufolge für die großen Firmen im Prozess der klinischen Testphasen und der Zulassung eine Hauptlast dar. Da helfe es, wenn man auf die Erfahrungen von millionenfacher Anwendung dieser neuartigen biologischen Therapie-Plattformen zurückgreifen kann.
„Jetzt hat man zusätzliche Argumente bezüglich der Sicherheitsprofile“, schildert Wollmann. Diese Massenimpfung nehme sehr viele der Bedenken gegen diese neuartigen Therapien. Auch im Upscaling-Prozess, also bei der Aufrüstung der Betriebsanlagen zur Herstellung großer Mengen Impfstoff, habe die Corona-Pandemie einen großen Vorlauf geschaffen. Das sei ein wichtiger Zukunftsbonus für die Krebsvakzin-Entwicklung.
Wie profitiert die Krebsforschung auf fachlicher Ebene?
„Die Forschung an Vektor-basierten Krebstherapien – also sowohl Krebsvakzinen, als auch onkolytischen Viren – kann insbesondere von den immunologischen Wechselwirkungen zwischen der Immunreaktion gegen das Ziel-Antigen, also das Corona- oder Tumorprotein, und der Anti-Vektor-Immunantwort lernen“, so Wollmann.
„Ein verwandtes und sehr aktuelles weiteres Thema wäre auch die nun intensiv untersuchte Anwendung von COVID-Mischimpfungen“, berichtet der Experte weiter. Dieses Prinzip werde bereits seit über zehn Jahren in der experimentellen Krebstherapie verfolgt und die weltweit laufenden Studien zu diesem Ansatz würden sicherlich auch die gemischte Anwendung von Krebsvakzinen befördern. Man bekomme klinische Daten zur Reaktion des Körpers auf die Impfstoff-Kombinationen und man könne Parallelen ziehen.
Wie reagiert das Immunsystem auf Adenoviren?
Für COVID-19-Vektorimpfstoffe werden Adenoviren verwendet, die ebenso bei onkolytischen Viren zum Einsatz kommen. „Jeder Mensch ist ständig Adenoviren ausgesetzt – das sind die klassischen, milden Erkältungsviren“, erklärt der Wissenschaftler. Das Adenovirus generiere eine sehr starke, aber keine langfristige Immunität. Es gebe jedoch sehr viele Adenovirus-Unterarten. Die derzeit vier in verschiedenen Teilen der Welt zugelassenen Adenovirus-basierten COVID-Vektorimpfstoffen, basieren zum Teil auf unterschiedlichen Adenoviren-Subtypen, die eher sehr selten oder gar nicht beim Menschen vorkommen. Auf diese Weise werde eine bereits bestehende Immunität umgangen.
„In der Tumortherapie hat sich gezeigt, dass die intravenöse Gabe von onkolytischen Adenoviren nur sehr selten zu den gewünschten Reaktionen im Tumorgewebe führt, was zu einem großen Teil dieser gewissen Vorimmunität gegen bestimmte Adenoviren geschuldet ist“, erläutert der Experte. Aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit einer bestehenden Immunität werden laut Wollmann onkolytische Adenoviren sowie andere onkolytische humane Viren direkt in den Tumor gespritzt.
Welche Nebenwirkungen hat eine Krebs-Impfung?
„Grundsätzlich gilt im Vergleich zur Chemotherapie, dass das Nebenwirkungsprofil von Krebsvakzinen oder onkolytischen Viren wesentlich geringer ist“, betont Wollmann. Man habe Behandlungsreaktionen, die Teil der Immunantwort sind, die im Körper getriggert werde. Dabei handele es sich überwiegend um grippeähnliche Symptome.
„Bei den RNA-Anwendungen ist es so, dass sie generell als sehr sicher gelten“, so Wollmann. Die extrem selten beschriebenen, starken allergischen Reaktionen seien der Nanopartikelhülle zuzuschreiben, der Schutzblase in der sich die RNA befindet. Nach genauerer Untersuchung dieser Fälle habe sich herausgestellt, dass diese besondere allergische Reaktion nur jene Leute betrifft, bei denen es eine allergische Vorgeschichte gegen einen Bestandteil dieser Nanopartikel, nämlich den Stabilisator Polyethylenglykol (PEG), gab. „Die Betroffenen zeigten bereits Antikörper gegen diesen Bestandteil“, verdeutlicht Wollmann. Wenn es mit der Impfung zu einer Injektion von PEG kommt, könne dies zu einer allergischen Reaktion führen.
Gibt es zugelassene virale Tumor-Therapien?
„Im Jahr 2015 wurde ein Meilenstein erreicht, als das erste onkolytische Virus zur Behandlung des schwarzen Hautkrebses in den USA und in Europa zugelassen wurde“, sagt Wollmann. Das auf einem modifizierten Herpesvirus basierende „T-Vec“ bringe bei einem gewissen Teil der Betroffenen sehr gute Behandlungserfolge. Die Ansprechrate liege in etwa in dem Bereich, in dem auch die so genannten Checkpoint-Inhibitoren (Immuntherapie-Form, Anm.) die Krebstherapie revolutioniert haben.
„Ansprechen heißt in vielen Fällen nicht nur eine Verlängerung des Überlebens, sondern oftmals auch eine langfristige Kontrolle des Tumors bis hin zur Heilung“, betont der Krebsforscher. Denn zum einen infizieren die Viren hochspezifisch die Krebszellen in den behandelten Tumoren und zerstören diese. Zum anderen lösen die Viren auch eine sehr starke Immunantwort gegen den Tumor aus und verhindern so die Wiederkehr an anderen Stellen des Körpers, also die Metastasenbildung.
„Das ist das große Versprechen dieser onkolytischen Viren“, resümiert der Leiter des Christian-Doppler-Labors für Virale Immuntherapie. Mittlerweile seien fast alle klinischen Studien zu onkolytischen Viren kombiniert mit der Immuntherapie. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Medizinische Universität Innsbruck: "Die COVID-Impfung bringt die Krebsforschung voran" (veröffentlicht: 16.06.2021), i-med.ac.at
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Alle wichtigen Informationen zu mRNA-Impfstoffen (Stand: 28.05.2021), infektionsschutz.de
- Christian Doppler Forschungsgesellschaft (CDG): CD-Labor für Virale Immuntherapie von Krebs (Abruf: 18.06.2021), cdg.ac.at
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.