Nach Jahrzehnte der Taubheit ermöglichen Innenohr-Implantate vielen eine erstes Hören
07.01.2015
Schwerhörigkeit ist mit erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag verbunden und mit herkömmlichen Hörgeräten, die auf einer Verstärkung der Schallimpulse basieren, lässt sich diese nur begrenzt beheben. Eine Alternative bilden sogenannte Cochlea-Implantaten (CI), welche die Neuronen der Hörschnecke (Cochlea) direkt stimulieren. Mit ihrer Hilfe können auch Taube wieder hören.
Manche Gehörlose haben dank der Innenohr-Implantate nach Jahrzehnten erstmals wieder Geräusche wahrgenommen. Zu ihnen zählt Roland Zeh, Chefarzt der Abteilung HTS (Hörstörungen, Tinnitus, Schwindel und Cochlea-Implantate) an der Median Kaiserberg-Klinik Bad Nauheim und Präsident der Deutschen Cochlear Implant Gesellschaft (DCIG). Im Alter von sieben Jahren erlitt der heutige Chefarzt 1967 einen vollständigen Verlust des Hörvermögens, so die Mitteilung des Nachrichtenportals „Welt Online“. Die damals verfügbaren Hörgeräte konnten ihm nicht helfen und der Mediziner lebte 30 Jahre in Taubheit, bevor ihm 1998 die erste Prothese im Innenohr implantiert wurde.
Elektroden stimulieren den Hörnerv
Das eingesetzte Cochlea-Implantat besteht aus einem Mikrofon und einem Sprachprozessor, die außen angebracht werden und aufgenommene Geräusche per Induktion als Impulse an einen implantierten Empfänger weiterleiten. Dieser sendet die Impulse an Elektroden in der Hörschnecke, die den Hörnerv stimulieren. So nehmen die Betroffenen Geräusche war, ohne das die sogenannten Haarzellen aktiviert werden. Der DCIG-Präsident wird von „Welt Online“ mit der Aussage zitiert, dass die erste Wahrnehmung nach der Operation, „ein sehr eindrucksvolles Erlebnis, fast schon eine Reizüberflutung, aber im positiven Sinne“ gewesen sei. Kaum verwunderlich, wenn jemand nach über 30 Jahren erstmals wieder Geräusche wahrnimmt, dass dies eine regelrechten Kulturschock gleichkommt.
Lernen die Geräusche z differenzieren
Wie die meisten Patienten brauchte auch der DCIG-Präsident nach der Operation einige Zeit, bevor er die Impulse des CI richtig einordnen konnte. „Ich musste erst wieder lernen, verschiedene Geräusche zu differenzieren“, zitiert „Welt Online“ den Chefarzt. Mit Hilfe eines speziellen Hörtrainings lernen die Betroffenen Sprache zu verstehen und sogar telefonieren ist ihnen nach einiger Zeit durchaus möglich. „Bei einigen geht das besser, bei anderen schlechter“, erklärt Prof. Claudia Becker, Leiterin Gebärdensprach- und Audiopädagogik am Institut für Rehabilitationswissenschaften der Humboldt-Universität Berlin in dem Beitrag von „Welt Online“. Bereits „nach einer kurzen Gewöhnungszeit hörte sich das CI sehr angenehm und natürlich an“, zitiert das Nachrichtenportal den Chefarzt Roland Zeh weiter. Im Jahr 2002 ließ Zeh sich angesichts des Erfolges auch im zweiten Ohr ein Implantat einsetzen.
Bis zu 40.000 Menschen in Deutschland mit Cochlea-Implantat
Heute leben in Deutschland nach Einschätzung des DCIG-Präsidenten zwischen 30.000 und 40.000 Menschen mit Cochlea-Implantat. Professor Dirk Eßer, Chefarzt des Fachbereichs Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Helios-Klinikum in Erfurt ergänzte gegenüber „Welt Online“, dass allein in Erfurt vergangenes Jahr 72 solcher Eingriffe vorgenommen worden seien. In einer rund zweistündigen Operation werde ein Zugang in die Hörschnecke geschaffen, um dort die Elektrodenträger zu platzieren. Unmittelbar unter der Haut setzen die Ärzte den Patienten die Empfängerspule ein, welche mit den Elektrodenträgern verbunden ist. Die Kosten werden von den Experten mit 20.000 Euro für das Implantat zuzüglich Operationskosten sowie Kosten für das anschließende Hörtraining und die Rehabilitation angegeben. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen erfolge, wenn herkömmliche Hörgeräte ein Verstehen der Lautsprache nicht mehr erreichen können.
Kombination herkömmlicher Hörgeräte mit den CI
Auch eine Kombination der CI mit Hörgeräten ist laut Aussage der Experten möglich, beispielsweise wenn Schwerhörige nur noch die tiefen Töne wahrnehmen können. Durch das Hörgerät werden die tiefen Töne verstärkt und „das CI macht dann die hohen Töne, die für das Sprachverstehen wichtig sind, hörbar“, berichtet Roland Zeh gegenüber „Welt Online“. Bei vollständiger Taubheit kann das herkömmliche Hörgerät jedoch keinen zusätzlichen Nutzen entfalten.
Einsatz der CI bei Kindern
Inwiefern die Innenohr-Implantate auch für taub geborene Kinder empfehlenswert sind, war laut „Welt Online“ lange Zeit umstritten. Prof. Claudia Becker kommt in dem Beitrag zu dem Schluss, dass die CI „eine gute Alternative“ sind, jedoch keine Sicherheit bieten. Bisherige Studien hätten gezeigt, dass rund die Hälfte der Kinder dank der CI einen natürlichen Lautspracherwerb entwickelt. Die andere´Hälfte zeige trotz der CI erhebliche Entwicklungsverzögerungen oder Beeinträchtigungen des Lautspracherwerbs. Daher sei es wichtig, den gehörlosen Kindern trotzdem Gebärdensprache beizubringen, erläutert Becker. So können die Kinder auf diese zurückgreifen, falls das Implantat nicht die gewünschte Wirkung entfaltet.
Paralleles Erlernen der Gebärdensprache
Chefarzt Roland Zeh erklärt in dem Beitrag von „Welt Online“, dass „Kindern die Möglichkeit zum Hören nicht vorenthalten werden“ sollte. Mit Hilfe des Innenohr-Implantats sei vielen von ihnen der Besuch einer normalen Schule möglich und sie hätten später auch bei der Berufswahl mehr Optionen, so der DCIG-Präsident weiter. Ein paralleles Erlernen der Gebärdensprache ist seiner Ansicht nach dennoch geboten. Weiter stellt sich bei gehörlosen Kindern die Fragen, ab welchem Alter frühsten ein CI zum Einsatz kommen sollte. In der Fachwelt bleibe dies bis heute umstritten, so Prof. Claudia Becker. Ob schon vor dem zweiten Lebensjahr eine entsprechende Operation erfolgen sollte, sei demnach unklar.
CI nicht vergleichbar mit einem gesunden Ohr
Professor Dirk Eßer kommt indes zu dem Schluss, dass – abhängig vom Zeitpunkt der Diagnose – auch schon vor dem ersten Lebensjahr ein CI eingesetzt werden sollte. Er ist der Auffassung, dass der Eingriff, wenn möglich, in jedem Fall vor dem Spracherwerbsalter erfolgen sollte. Zwar ermöglichen die Innenohr-Implantate einen gewissen Höreindruck, doch mit einem gesunden Ohr ist dies keinesfalls vergleichbar, berichtet Roland Zeh. „Davon sind wir noch meilenweit entfernt“, wird der Chefarzt weiter von „Welt Online“ zitiert. Beispielsweise würden Störgeräusche wie Verkehrslärm oder andere Gespräche im selben Raum den CI-Trägern das Hören deutlich erschweren, da das Implantat „im Gegensatz zum Ohr nur schlecht steuern kann, welche Geräusche es hören will", zitiert das Nachrichtenportal Prof. Claudia Becker. Auch können die CI nicht allen Menschen helfen, da zumindest der Hörnerv hierfür noch in Takt sein muss. Wurde dieser beispielsweise im Mutterleib nicht richtig ausgebildet, sind CI nicht einsetzbar. (fp)
Bild: Uschi Dreiucker / pixelio.de
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