Wenn Blicke von anderen Furcht auslösen
Menschen sind sehr unterschiedlich darin, wie offen sie mit ihren Mitmenschen umgehen. Während manche Personen gleich mit ihrer Lebensgeschichte hausieren gehen, muss man anderen jedes Wort aus der Nase ziehen. Wo liegt der Unterschied zwischen Schüchternheit und Introvertiertheit und wann liegt eine soziale Phobie vor? Psychiater klären auf.
Es ist mehr als nur Schüchternheit oder Introvertiertheit. Wer Sozialphobiker ist, hat Angst vor alltäglichsten Situationen. Die Erkrankung sollte man ernstnehmen – wie wird sie behandelt?
Sozialphobiker sind oft mit Vorurteilen konfrontiert
„Reiß dich zusammen! Das ist doch nichts!“ Solche und ähnliche Sprüche hören viele Patienten von Prof. Peter Zwanzger – bevor sie sich bei ihm psychotherapeutischen Rat wegen ihrer Sozialphobie einholen. „Deswegen mache ich meinen Patienten im Erstgespräch immer Mut“, erklärt der Chefarzt der Allgemeinpsychiatrie und Psychosomatik am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg am Inn.
Starke Furcht vor negativer Bewertung
Das andere das Problem des Betroffenen nicht ernstnehmen oder herunterspielen, liegt womöglich auch daran, dass sie das Verhalten mit Schüchternheit oder Introvertiertheit verwechseln. Doch die Sozialphobie grenzt sich davon klar ab. „Denn die soziale Phobie ist durch die starke Furcht geprägt, von anderen Menschen negativ bewertet oder kritisiert zu werden“, sagt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer.
Introvertiertheit ist eine Charaktereigenschaft – Schüchternheit wird erlernt
Solche Menschen sind meist in sich gekehrt und gegenüber anderen zurückhaltend – aber nicht, weil sie Angst haben. „Schüchterne Menschen haben dagegen auch eine Angst vor zwischenmenschlichen, insbesondere nicht vertrauten Kontakten“, erläutert Munz. „Dieses Verhalten wird erlernt und kann durch Training wieder verlernt werden.“
Schüchternheit kann in eine soziale Phobie übergehen. „Bei der sozialen Phobie ist die Angst so stark, dass gesellige Treffen wie das Essen mit Freunden immense Angst verursachen und deshalb manchmal sogar vermieden werden“, erklärt Munz weiter.
Wenn sich die Angst ausdehnt
Es gibt zwei Formen der sozialen Phobie: die generalisierte und die isolierte. Eine Ausprägung der letzteren ist zum Beispiel die isolierte Sprechangst. „Hier unterscheiden wir, ob ein Mensch «nur» Schwierigkeiten hat, vor anderen zu sprechen oder ob sich die Angst sukzessive auf mehrere Lebensbereiche ausdehnt“, sagt Peter Zwanzger, der auch der Gesellschaft für Angstforschung vorsitzt. Dann könnten Betroffene etwa Angst davor haben, in einem Restaurant ein Glas umzustoßen. Oder dass der Chef ihnen eine Frage stellt, die sie nicht beantworten können.
Wenn man Angst vor der Angst bekommt
Dabei kann es auch zu einem selbstverstärkenden Effekt kommen. „Dann ist es den Patienten extrem peinlich und unangenehm, wieder zu zittern oder zu erröten. Allein der Gedanke daran kann eine Panikattacke auslösen, und eine Angst vor der Angst entsteht. Ein regelrechter Teufelskreis beginnt“, erklärt Dietrich Munz.
Weil sich soziale Phobien nur selten alleine bewältigen lassen und sie Depressionen und Suchterkrankungen nach sich ziehen können, sei es wichtig, rechtzeitig einen Psychotherapeuten oder Arzt aufzusuchen, betont Munz: „Wie bei anderen psychischen Erkrankungen ist eine Behandlung dann ratsam, wenn die Angst so groß wird und so häufig auftritt, dass ein normales alltägliches Leben nicht mehr möglich ist.“
Verschiedene Ansätze der Therapie
Die kognitive Verhaltenstherapie zeigt aus Sicht von Peter Zwanzger bei Angststörungen die besten Erfolgschancen. Dazu gehört auch die Konfrontationstherapie: „Schrittweise wird der Patient gedanklich und dann real an die gefürchteten oder von ihm vermiedenen Situationen herangeführt“, sagt Zwanzger. Oft wird auch etwas nachgespielt, so dass nach fünf bis 20 Sitzungen die Ängste weniger werden und irgendwann versiegen, wie er erklärt.
Dietrich Munz empfiehlt dagegen bei sozialen Phobien, sich mit therapeutischer Unterstützung unmittelbar in die angstauslösenden Situationen zu begeben: „So wird den Erkrankten geholfen, zunächst die Angst besser zu verstehen und sich dann Schritt für Schritt den angstauslösenden Situationen zu stellen“, erläutert er. „Dabei können sie die Erfahrung machen, dass schlimme Befürchtungen wie «Alle werden merken, dass ich knallrot werde.» oder «Ich werde bei meinem Vortrag ausgelacht werden.» meist unbegründet sind.“
In der psychodynamischen Psychotherapie werde dann versucht, die Konflikte zu erkennen und aufzulösen, die den Ängsten zugrunde liegen, erläutert Munz. „Beispielsweise kann sich ein lange zurückliegendes Gefühl, überhöhten Ansprüchen der Eltern nicht gerecht zu werden, auf andere Situationen übertragen haben.“ (vb; Quelle: dpa/tmn)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.