Expertenstreit geht weiter: Verbraucher zunehmend verunsichert
„Kokosöl ist einer der schlimmsten Sachen, die man überhaupt essen kann!“ sagte Professorin Dr. Dr. Karin Michels in ihrem Vortag. Es sei sogar pures Gift, sagte Michels. Wie man in dem (bereits gelöschtem) Video sehen kann, ging ein Raunen durch die Zuschauermenge. Auch raunte die Leserschaft, die diesen Satz nicht hinnehmen will. In der Tat sind die Wirkungsweisen von Kokosöl heftig umstritten.
Schlimmer als Schweineschmalz?
Professorin Dr. Dr. Karin Michels, Direktorin des Instituts für Prävention und Tumorepidemiologie am Universitätsklinikums Freiburg sagte in einer öffentlichen Vortragsreihe zum Thema „Prävention – für ein gesundes Leben“, dass kein einziger positiver Aspekt des Kokosöls durch eine Studie an Menschen belegt sei. Es sei sogar schlimmer als Schweineschmalz! Kokosfett gehöre zu den gesättigten Fetten und teile sich dort den Platz mit Butter, Schmalz und Palmfett. Diese Fette seien maßgeblich daran beteiligt, dass die Herzkranzgefäße verstopfen und so das Risiko steigt, eine Herzkrankheit zu entwickeln und einen verfrühten Herztod zu erleiden.
“Kokosöl ist natürlich nicht giftig”
“Kokosöl ist natürlich nicht giftig”, beschwört hingegen ebenfalls ein anerkannter Ernährungsforscher, Dr. Wolfgang Feil. Vielmehr sei Kokosöl laut zahlreicher Studien ein überaus gesundes Lebensmittel, dass gar vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen würde. Und so sei beispielsweise bewiesen, dass Kokosöl auch Symptome von Alzheimer-Erkrankungen verbessern würde. Dieses Potenzial von Kokosöl würde bei Alzheimer-Erkrankungen einerseits durch den Anteil mittelkettiger Fettsäuren ausgelöst, da diese Ketonkörper bilden, was in anderen Studien mit mittelkettigen Fettsäuren bereits zu Verbesserungen von Alzheimer-Symptomen geführt hat (Cunnane 2016, Reger 2004). Andererseits enthält Kokosöl auch Polyphenole, die die Bildung von Amyloid-Plaques verhindern. Mehr noch: Kokosöl soll Zahnfleischentzündungen und Plaquebildung verhindern, die Progression von Parkinson verhindern, Nebenwirkungen einer Chemotherapie vermindern, und im Gegensatz zu der Meinung von Ernährungsforscherin Michels gut für Herz und Blutgefäße sein.
Sogar gut fürs Herz?
So habe schon Prior et al (1981) nachgewiesen, dass Menschen auf der südpazifischen Insel Tokelau keine Herz-Kreislauf-Erkrankungen kennen, obwohl dort die Gesamtenergieaufnahme zu 63 % aus Kokosöl besteht. Zum gleichen Ergebnis kamen Lindeberg und Lundh (1993): Auf Papua-Neuguinea, wo Kokosöl ebenfalls eine Hauptenergiequelle ist, kennt die Bevölkerung keinen Herzinfarkt. Weiter Studien zum Thema würden zeigen wie gut Kokosöl für Herz und Blutgefäße sei, z. B. die Studie von Assuncao et al (2009). Hier wurden einer Studiengruppe täglich 30 ml Sojaöl gegeben, die andere Gruppe bekam täglich 30 ml Kokosöl. Das Ergebnis: Im Vergleich zur Sojaölgruppe gingen bei der Kokosölgruppe sowohl der Gesamtcholesteringehalt als auch das LDL-Cholesterin zurück – auch das schützende HDL-Cholesterin verbesserte sich in der Kokosölgruppe. Die Humanstudie von Cardoso et al (2015) zeigte ebenso einen durch Kokosöl verbesserten HDL-C Wert, der ein geringeres Risiko für Herzinfarkt darstellt. In einer weiteren Humanstudie mit Frauen zeigte Kokosöl sogar gegenüber einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren eine größere Verringerung von Entzündungen und reduzierte darüberhinaus den Risikofaktor Lp(a) für Herzinfarkt stärker. Müller et al (2003).
Video vom Vortrag abgeschaltet
Zum Redaktionszeitpunkt war das viel angeschaute Video des Vortrags von Prof. Karin Michels nicht mehr auf der YouTube-Plattform erreichbar. In einem Interview entschuldigte sich überraschend die Wissenschaftlerin für eines ihrer Statements in dem Vortrag. “Der Satz ‘ Kokosöl ist das reine Gift’ ist pointiert und zugespitzt. Er fiel im Rahmen eines öffentlichen Vortrags für die allgemeine Bevölkerung. Er hat zu einer großen Diskussion geführt. Frau Professor Michels’ Absicht war nicht, Menschen zu verunsichern, sondern zu informieren. Für die unglückliche Wortwahl möchte sie sich an dieser Stelle entschuldigen”, heißt es in einer Erklärung.
Doch Rückstärkung bekommt Michels durch die Wissenschaftlerinnen Dr. Stacey Lockyer und Sara Stanner von der „British Nutrition Foundation“. Kokosöl sei nicht gesünder als andere Öle. Die Autoren der Studie, die in der von der „American Heart Association“ herausgegebenen Fachzeitschrift „Circulation“ veröffentlicht wurde, weisen darauf hin, dass der Konsum von Fetten und Ölen eine wichtige Rolle bei der Entstehung und auch Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen spiele.
Den Experten zufolge führe ein geringerer Konsum gesättigter Fettsäuren zu einem geringeren Risiko, Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems zu entwickeln. Doch Kokosöl enthalte sehr viel, nämlich 82 Prozent gesättigte Fettsäuren.
Schweineschmalz hingegen habe nur einen Anteil von 39 Prozent, Rindertalg 50 Prozent und Butter 63 Prozent. Stattdessen sollten mehr ungesättigte Fettsäuren auf dem Speiseplan stehen. Die stecken unter anderem in fettigem Fisch, Nüssen, Hülsenfrüchten und Avocados.
Überholte Argumente?
Die Wissenschaftsjournalistin Dipl. oec. troph. Ulrike Gonder äußerte unlängst Kritik an der Kritik am Kokosöl. Laut der Expertin beruft sich die Arbeit der Wissenschaftlerinnen von der „British Nutrition Foundation“ auf teilweise „überholte Argumente“. Dass Kokosöl reich an gesättigten Fettsäuren und deswegen gesundheitlich bedenklich ist, sei Gonder zufolge eines „der ältesten Argumente, die gegen Kokosöl angeführt werden, was es jedoch nicht wahrer macht“. Kokosfett bestehe zwar ihrer Aussage nach tatsächlich zu rund 92 Prozent aus gesättigten Fettsäuren – doch aus diesem Umstand auf seine gesundheitliche Bedeutung zu schließen, sei wissenschaftlich nicht haltbar.
Die Expertin verwies auf mehrere Studien und Meta-Analysen, die zu dem Schluss kommen, dass gesättigte Fettsäuren per se keine ursächliche Beziehung zum Auftreten von Herzinfarkten oder anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) bestätigt hingegen die Aussage der Direktorin des Instituts für Prävention und Tumorepidemiologie am Uniklinikum Freiburg, wonach das als Superfood geltende Öl „das reine Gift“ sei. Verbraucher sollten hingegen zu anderen Ölen wie Raps- und Olivenöl greifen.
Und so geht der Streit munter weiter, dessen Ende noch nicht absehbar ist. Zum Nachteil der Verbraucher, die sich nur wundern können, dass der Expertenstreit solche Züge annimmt. (sb)
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