Zu viele Patienten werden in der Notaufnahme behandelt
09.11.2013
Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Notaufnahme von Krankenhäusern offenbar von zu vielen Patienten genutzt werde. Rund jeder fünfte Patient sei in der Notaufnahme falsch.
Rund 20 Prozent in der Notaufnahme falsch
Laut einer Studie hätten rund 20 Prozent der Patienten, die in einer Notaufnahme eines Krankenhauses behandelt wurden, auch anderweitig versorgt werden können. Die Untersuchung mit fast 5.000 Patienten wurde gestern auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) in Hamburg vorgestellt. Zudem gebe es den Trend, dass allgemein mehr Patienten in die Notaufnahmen kommen. Rund ein Viertel der deutschen Bevölkerung suche nach Hochrechnungen der DGINA mindestens einmal im Jahr eine Notaufnahme auf.
Oft wären Hausärzte ausreichend
Die Mediziner werteten für die aktuelle Erhebung von Hamburger Kliniken Daten von 4.927 Patienten aus, die in einem Zeitraum von 16 Tagen behandelt wurden. Die Patienten kamen dabei sowohl per Rettungswagen als auch durch Einweisung von niedergelassenen Ärzten oder auf eigene Faust. Wie Michael Wünning, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Chefärzte interdisziplinärer Notaufnahmen Hamburg, meinte, hätten für sieben Prozent dieser Patienten eigentlich andere Mediziner wie Hausärzte oder Notdienste direkt zur Verfügung gestanden.
Patienten schätzen Beschwerden falsch ein
Diese Ärzte hätten zudem bei zehn Prozent der Fälle in einer angemessenen Frist erreicht werden können. „Wenn ich nachts um vier Uhr mit Husten aufwache, ist es in den meisten Fällen wahrscheinlich zumutbar, zu warten, bis ein niedergelassener Arzt geöffnet hat“, so DGINA-Tagungspräsident Wünning. Die Schwere der Beschwerden sei in drei Prozent der Fälle von Patienten falsch eingeschätzt worden oder es habe sich lediglich um Bedarf an pflegerischen Maßnahmen, wie beispielsweise einen Wundverband, gehandelt.
Keine Schuldzuweisungen
Bei den Untersuchungen gehe es nicht um Schuldzuweisungen, sondern sie sollen eine Bestandsaufnahme sein, um nicht nach einem Bauchgefühl handeln zu müssen. Bislang gibt es keine Vergleichszahlen aus den Vorjahren. „Es gibt Gründe, warum Patienten so handeln, sie haben offensichtlich Sorgen und einen nachvollziehbaren Leidensdruck. Selbstverständlich werden sie bei uns behandelt. Wir müssen uns jedoch mit unseren Strukturen auf sie einstellen“, so Wünning vom Katholischen Marienkrankenhaus.
Facharzt für Notfallmedizin gefordert
Aus Sicht der Notfallmediziner ist das Problem der Notaufnahmen eine Folge der jahrzehntelangen Vernachlässigung ihrer Fachrichtung. Sowohl in 16 EU-Mitgliedstaaten, als auch in den USA gebe es einen eigenen Facharzt für Notfallmedizin. In Deutschland jedoch fühlen sich traditionell mehrere Fachrichtungen zur schnellen Hilfe berufen. Ziel der DGINA sei es, dies schrittweise zu ändern. DGINA-Präsident Christoph Dodt vom Städtischen Klinikum München schwebt als Zwischenschritt zum eigenen Facharzt für Notfallmedizin vor, bis 2015 eine Zusatzbezeichnung für Fachärzte mit einer zweijährigen Zusatzausbildung schaffen zu können. Die Ausbildung zum Facharzt solle fünf Jahre betragen. Die Präsidentin der European Society for Emergency Medicine (Eusem), Barbara Hogan, ist sich sicher, dass der eigene Facharzt auch den Patienten nützen würde, denn die Notfallmediziner seien Experten für alle akuten Krankheiten und könnten entweder selbst handeln oder schnell den richtigen Spezialisten zu einem Patienten holen.
Notarzt in Frage gestellt
Die Notfallmediziner müssen vor allem die Ärzte in den Ärzteparlamenten der Länder, den Ärztetagen und der Ärztekammern überzeugen, wenn sie ihr Ziel vom eigenen Facharzt erreichen wollen. Daher sei ein möglicher Anreiz, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen, die für den Bereitschaftsdienst und die Notarztdienste zuständig sind, zunehmend Schwierigkeiten haben, diese Stellen zu besetzen. Ein Ausweg könnte eine zentralisierte Konzentration der Notfallversorgung an Kliniken sein, von der der DGINA-Präsident auf der Tagung sprach. Durch die Diskussion um einen Facharzt für Notfallmedizin werde aber auch eine weitere deutsche Besonderheit in Frage gestellt: der Notarzt, der zum Patienten kommt. Weltweit wird in zahlreichen Ländern der Patient von gut ausgebildetem Rettungspersonal zum Arzt transportiert und angesichts der ärztlichen Ressourcenprobleme liege die Frage nahe, wie lange es hierzulande noch die Regel ist, dass auch Ärzte zu den Patienten kommen.
Finanzielle Unterversorgung
Bei der Tagung beklagte die DGINA außerdem eine „krasse Unterfinanzierung.“ Mindestens 21 Millionen solcher Behandlungen bei Patienten würden laut Hochrechnungen jährlich vorgenommen, worin jedoch auch die Zahl der Patienten enthalten sei, die nach der Behandlung stationär aufgenommen werden. Klinken könnten für ambulante Behandlungen bei gesetzlich Versicherten Honorare von durchschnittlich 30 Euro erlösen. Die reellen durchschnittlichen Kosten dürften jedoch zwischen 120 und 150 Euro pro Behandlung betragen. Daher fordert die Gesellschaft eine Pauschale, die die tatsächlich entstehenden Kosten deckt. Die in den deutschen Notaufnahmen jährlich entstehende Deckungslücke bezifferte Timo Schöpke vom Vivantes Klinikum am Urban auf mindestens eine Milliarde Euro. (ad)
Bild: Dieter Schütz / pixelio.de
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