Jedes zehnte Kind leidet in Deutschland unter psychischen Störungen
03.03.2011
Rund jeder zehnte Heranwachsende leidet in Deutschland unter psychischen Störungen, berichtet die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie zum Auftakt ihres diesjährigen Jahreskongresses in Essen.
Etwa zehn Prozent der Kinder weisen hierzulande eindeutig erkennbare psychische Störungen auf und jedes fünfte Kind sei psychisch auffällig, erläuterten die Experten auf dem Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Prof. Johannes Hebebrand erklärte, dass die psychischen Störungen zum Beispiel auch durch Schulverweigerung zum Ausdruck kommen können. Langfristig bestehe für die betroffenen Kinder ein deutlich erhöhtes Risiko einer psychischen Erkrankungen, so die Aussage der Experten.
Jahreskongress zum Thema Psychische Störungen bei Kinder und Jugendlichen
Mehr als 1.300 Kinder- und Jugendpsychiater, Neurologen, Kinderärzte und andere Fachleute befassen sich beim diesjährigen Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit den psychischen Problemen der Heranwachsenden. Dabei stellten die Experten gleich zu Beginn des Kongresses klar, wie groß die Anzahl der Kinder mit psychischen Leiden ist. Das jeder zehnte psychische Störungen aufweist und sogar jeder fünfte ein psychisch auffälliges Verhalten an den Tag legt, verdeutliche unter welchen psychischen Belastungen die Heranwachsenden heutzutage stehen. Dabei sei „Schule schwänzen“ oftmals ein Anzeichen für mögliche psychische Störungen. „Schulverweigerung muss als Warnsignal möglicher psychischer Probleme angesehen werden und kann für die Kinder und Jugendlichen erhebliche Entwicklungs- und Integrationsprobleme nach sich ziehen“, betonte Martin Knollmann von der „Kinder- und Jugendpsychiatrischen Spezialambulanz für schulvermeidendes Verhalten“ in Essen.
Demnach sollte Schulverweigerung als Anzeichen einer möglichen psychischen Störung ernst genommen werden, denn eine adäquate Therape kann erst einsetzen, wenn eine entsprechende Diagnose durch einen Facharzt vorliegt. Ohne Diagnose und Therapie bestehe hingegen die Gefahr, dass sich die psychischen Störungen zu schwerwiegenden psychischen Erkrankungen manifestieren und die Betroffenen in ihrer weiteren Entwicklung massiv beeinträchtigen. „Bleiben (…) Schulängste oder -phobien unbehandelt, bestehen die psychischen Probleme meist weiter und können in der Folge zusätzliche Störungen nach sich ziehen,“ betonte Martin Knollmann. Dadurch entsteht ein schwerwiegender Kreislauf, der später nur schwer therapeutisch durchbrochen werden kann.
Schulverweigerung ein seelisches Problem
Die Ursachen des Schul- verweigernden Verhaltens können laut Aussage der Experten auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie je nach Altersstufe stark variieren. In der frühen Kindheit überwiege die Angst-bedingte Schulverweigerung, verursacht z.B. durch die Trennung der Eltern oder durch Überforderungen im Schulalltag. Oftmals seien dabei die psychischen Probleme begleitet von Bauch- und Kopfschmerzen. Sollten die Symptome nicht erkannt und behandelt werden, könne dies weitere Entwicklungsprobleme bis zum Jugendalter mit sich bringen. Als Jugendliche weisen die Betroffenen anschließend häufig Störungen des Sozialverhaltens, Regelverletzungen oder Depressionen auf, so die Darstellung auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Verschiedene Studien hätten in der Vergangenheit außerdem belegt, dass sich die Folgen der psychischen Störungen bis ins Erwachsenenalter ausdehnen können. So seien Personen, die bereits als Kinder und Jugendliche unter psychische Probleme litten, im späteren Lebensverlauf zum Beispiel häufiger arbeitslos. Auch tendieren die Betroffenen eher zur Kriminalität und litten öfter an weiteren psychischen Erkrankungen wie Depressionen, erklärten die Fachleute der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Probleme der Kinder ernst nehmen
Der Kongresspräsident Prof. Frank Hässler von der Universität Rostock erklärte außerdem, dass psychische Auffälligkeiten heute weniger starke Unterschiede bezüglich der Geschlechter aufweisen als noch vor wenigen Jahren. Zum Beispiel seien auch Jungen zunehmend von Essstörungen wie Magersucht betroffen, berichtete Prof. Hässler. Dem Fachmann zufolge ist vor allem ein starkes Selbstbewusstsein hilfreich, um das Auftreten psychischer Störungen zu vermeiden oder diese zu beheben. Hier können nach Aussage des Experten auch die Eltern dazu beitragen, dass ihr Kind an Selbstbewusstsein gewinnt. So sollten Eltern ihren Kindern auch etwas schwierigere Dinge zutrauen und ihnen ehrliche Komplimente machen. Den Kindern sollte außerdem vermittelt werden, dass keiner perfekt ist, um ihnen den oft kaum tragbaren Leistungsdruck zu nehmen. Den Eltern ist darüber hinaus davon abzuraten, unüberlegt den Leistungsdruck weiter zu erhöhen, denn dies kann insbesondere im Hinblick auf die schulischen Leistungen durchaus kontraproduktiv sein. Wichtig ist, die Probleme der Kinder ernstzunehmen und das Gefühl zu vermitteln, unterstützend zur Seite zu stehen. Wie weitreichend das Problem ist, zeigte eine unlängst veröffentliche Forsa-Studie, nach der jedes zweite Schulkind in Deutschland unter Stresssymptomen aufgrund von erhöhtem Leistungsdruck leidet. Oftmals, so auch Experten der Lehrergewerkschaft GEW, verbergen sich hinter körperlichen Symptomen wie Rückenschmerzen oder Bauchschmerzen ernsthafte seelische Probleme.
Um den Kindern helfen zu können, sei auf lange Sicht eine intensivere Grundlagenforschung notwendig. Erst bei einer Entdeckung erster Tendenzen sowie weiterer empirischer Forschung könne die Diagnostik und Therapie ansetzen und mögliche Konsequenzen frühzeitig vermeiden. (fp)
GEW-Expertin warnt vor zu hohem Leistungsdruck
Jeder zweite Schüler leidet unter Stress
Viele Kinder gehen ohne Frühstück zur Schule
Immer mehr Kinder haben Rückenschmerzen
Bild: Jens Weber / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
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