Ärzte bevorzugen häufig teure „Me-too-Präparate“
27.05.2014
Haben zwei Medikamente die gleiche Wirkung, muss der Arzt entscheiden, welches er verordnet. Doch diese Entscheidung fällt vielen Medizinern offenbar nicht leicht. Wie der aktuelle Arzneimittelreport der Barmer GEK zeigt, werden nicht immer die günstigeren, bewährten Mittel bevorzugt, sondern häufig neue Arzneien gewählt, die jedoch deutlich teurer sind und dem Patienten keinen Mehrwert liefern. Hier könnten der Kasse nach Millionen Euro eingespart werden.
Entscheidung zwischen bewährten und scheinbar innovativen Mitteln
Soll der Patient das scheinbar innovative, aber recht teure oder aber lieber das bewährte, wirkungsgleiche und vergleichsweise günstige Medikament erhalten? Diese Frage müssen sich Mediziner immer wieder stellen, wenn es um Arzneimittel geht, die in unterschiedlicher Ausführung zu haben sind. Im Zweifelsfall bei gleicher Wirksamkeit das Günstigere, werden viele vermutlich denken – doch dem ist offenbar nicht so. Stattdessen verschreiben Ärzte laut dem aktuellen Arzneimittelreport der Barmer GEK in vielen Fällen neuere, vergleichsweise teure Mittel.
Barmer zahlt 2013 4,2 Milliarden Euro für Arzneimittel
Für den neuen Bericht hatte ein Team um Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen die Daten der rund neun Millionen Versicherten der Barmer GEK ausgewertet. Das Ergebnis: Die Krankenkasse hat im Jahr 2013insgesamt 4,2 Milliarden Euro in Arzneimittel investiert – 441 Euro je männlichem Versicherten und 467 Euro pro weiblichem Versicherten. Im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs von 2,6 Prozent pro Versicherungsnehmer. Das große Problem dabei: Laut Barmer GEK würden immer noch etwa 20 bis 30 Prozent der Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung auf sogenannte „Me-too-Präparate“ oder Scheininnovationen abfallen – also Mittel die neu auf den Markt kommen, aber die gleiche Wirksamkeit wie bereits bestehende Arzneien haben. Dies ist möglich, da die Pharmaunternehmen kleinste Veränderungen an den Wirkstoffen vornehmen und dadurch den Patentschutz erhalten – obwohl sie keinen weiteren Nutzen bringen: „Diese Arzneimittel sind überflüssig und teuer, und für die Patienten, die auf eine bessere Behandlung hoffen, haben sie keinen erkennbaren Mehrwert", kritisiert Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK.
Elf Prozent der Ausgaben fallen für Analog-Präparate an
Dem Bericht nach waren 2013 allein bei der Barmer GEK rund elf Prozent der Ausgaben in die Finanzierung solcher Analog-Präparate. Ein Beispiel ist hier das Mittel Seroquel, welches Rang 11 der ausgabenstärksten Arzneimittel in der Barmer GEK belegt. Bei diesem Mittel gäbe es laut dem Arzneimittelreport – wie bei anderen Arzneien auch – keine wissenschaftlichen Belege für einen Vorteil im Vergleich zu typischen Neuroleptika oder deren Generika, zudem hätte schon 2006 die Kassenärztliche Bundesvereinigung vor unerwünschten Wirkungen gewarnt. Während bei vergleichbaren Mittel die Tagesdosis zwischen 0,50 und 2,50 Euro kostet, müssten pro Dosis Seroquel 8,20 Euro investiert werden. Ein enormer Unterschied, sodass der Barmer nach bei den Me-toos demnach drei bis vier Milliarden Euro eingespart werden könnten – vorausgesetzt, es würden gleichwertige günstigere Mittel mit bewährten Wirkstoffen verordnet werden.
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz sollte Abhilfe schaffen
Um die Kosten für unnötige Analog-Präparate einzudämmen, war 2011 eigentlich das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (kurz Amnog) in Kraft getreten. Dieses sieht vor, dass Pharmaunternehmen den Mehrwert neuer Arzneien nachweisen müssen, um diese hochpreisig verkaufen zu dürfen. Kann kein Zusatznutzen ausfindig gemacht werden, wird das Präparat laut der Barmer automatisch einer Gruppe ähnlicher Arzneimittel zugeordnet, für die ein fester Betrag als Höchstpreis-Grenze bestimmt wird. Mit gutem Grund, denn wie der für die Prüfung zuständige Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) aktuell bilanziert, weise lediglich knapp jedes fünfte neue Produkt im Vergleich zu bestehenden Mitteln einen deutlichen Zusatznutzen für die Patienten auf. Doch das neue System hat einen Haken, denn ursprünglich war geplant, durch das Amnog auch solche Präparate neu einzustufen, die vor dem 1. Januar 2011 auf den Markt gekommen waren und dadurch noch Patentschutz hatten. Doch diese Regelung ist mit dem Koalitionsvertrag der neuen Regierung hinfällig geworden – was nach Angaben der Kasse den Verlust enormer Einsparpotenziale bedeuten würde. Demnach hätten durch das Amnog bislang lediglich etwa 180 Millionen Euro eingespart werden können – statt der von politischer Seite aus angestrebten zwei Milliarden Euro: „Daher ist es besonders kritisch zu sehen, dass Arzneimittel, die vor Inkrafttreten des Amnog auf den Markt gekommen sind, anders als ursprünglich noch von der schwarz-gelben Koalition vorgesehen, doch nicht überprüft werden", so Studienautor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen.
Spaltung des Arzneimittelmarkts als Konsequenz
Die Folge sei den Autoren nach eine Spaltung des Arzneimittelmarkts, da ein großer Teil der Präparate nicht auf einen zusätzlichen Nutzen geprüft sei. Die Krankenkassen würden daher noch über viele weitere Jahre hinweg mit hohen Ausgaben konfrontiert werden, denn viele der Me-Too-Produkte würden sich weiterhin erfolgreich am Markt halten und auch nicht verschwinden, wenn das Patent auslaufe. Stattdessen blieben sie als so genannte „Generika“ – also als wirkstoff- und wirkungsgleiche Kopie eines Originalmedikaments – bestehen: „Die Kassen zahlen für Arzneimittel mit zweifelhaftem Nutzen“, so Glaeske weiter.
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.