Koalition erhöht den Druck auf Krankenkassen: Gesundheitskarte soll schneller verteilt werden
30.09.2011
Laut eines Gesetzesentwurfes der schwarz-gelben Bundesregierung wurden die Krankenkassen dazu verpflichtet, die neuen elektronischen Gesundheitskarten bis Ende 2012 an mindestens 70 Prozent aller Kassenpatienten zu verteilen. Krankenkassen, die dieses Pensum nicht erreichen, sollen mit empfindlichen Geldstrafen belegt werden. Das berichtet die Nachrichtenagentur „dpa“ unter Berufung eines vorliegenden Gesetzesentwurfes des Bundesgesundheitsministeriums. Bis zum Ende diesen Jahres sollen die Kassen bereits 10 Prozent erreicht haben, so dass sie im kommenden Jahr noch weitere 60 Prozent schaffen müssen. Mit dem Änderungsantrag will die Koalition die seit der Gesundheitsreform bestehende Regelung erweitern, um die Kassen unter einem höheren Druck zu setzen. Ursprünglich war nur von einer 10 Prozent-Einhaltequote bis Ende diesen Jahres die Rede. Nun soll eine Neuregelung das Gesetz bis 2012 um weitere 60 Prozent erweitern.
Offenbar will die schwarz-gelbe Bundesregierung die Verteilung der neuen Kassenkarten beschleunigen, da das Projekt seit 2006 massiv ins Stocken geriet. Zunächst hatte die „Bildzeitung“ über diesen Zusammenhang berichtet. Bis zum Ende des Jahres sollen mindestens zehn Prozent der 70 Millionen gesetzlich Versicherten mit der Gesundheitskarte ausgestattet werden. Bis Ende 2012 sollen dann mindestens 70 Prozent der Versicherten eine neue Karte erhalten haben. Ansonsten drohen Kürzungen bei Zuweisungen. Einige Kassenpatienten haben die mit einem elektronischen Chip und Passbild versehene Krankenkassenkarte bereits erhalten. Der Spitzenverband der Krankenversicherungen (GKV) hatte angekündigt, dass eine Vielzahl der Karten ab dem ersten Oktober versandt werden. Versicherte müssen zuvor ein Formular ausfüllen und ein Passfoto zusenden. Zahlreiche Anschreiben wurden schon vor Monaten verschickt.
Kaum mehr Funktionen bei der neuen Gesundheitskarte
Derzeit ist die Funktionalität der neuen Karte kaum besser als die der alten GKV-Karte. Neu ist nur das Passbild und die Geschlechtsangabe auf der Vorderseite der Kassenkarte. Vorerst soll sich daran auch nichts ändern. Geplant ist aber, dass auf der Karte auch Arztberichte, Röntgenbilder, Laborbefunde und der Organspendeausweis abgespeichert werden sollen. In einigen Jahren, so schätzen Experten, können Haus- und Fachärzte sowie Kliniken die Daten online von einem Server der Krankenkasse herunterladen und abrufen.
Die Bundesregierung plant mit dem Entwurf, die Kassen mächtig unter Druck zu setzen. So steht in dem Papier, „Krankenkassen, die bis Ende des Jahres 2012 nicht an mindestens 70 Prozent ihrer Versicherten elektronische Gesundheitskarten ausgeben, sollen sich die Verwaltungskosten im Jahr 2013 gegenüber 2012 nicht erhöhen.“ Bereits in den Jahren 2011 und 2012 galt ein Stopp der Verwaltungsausgaben der Kassen. Fraglich bleibt, ob vor allem finanziell angeschlagene Kassen diese schnelle Gangart einhalten können. Die Ausgaben für das Projekt werden mit insgesamt über 600 Millionen Euro beziffert. Unklar bleibt, ob die Kosten nicht noch weiter ansteigen.
Mit der Einführung der neuen Karte erhofft sich die Politik Kosteneinsparungen in Millionenhöhe. Wenn der Verbund mit dem Online-Server eingerichtet ist, könnten perspektivisch teure Doppeluntersuchungen eingespart werden. Ärzte hätten einen schnellen Zugriff auf bereits durchführte Laboruntersuchungen oder MRT Diagnosen und könnten somit schneller gezieltere Behandlungen in die Wege leiten. Bis heute sind die datenschutzrechtlichen Aspekte hoch umstritten. Von Seiten der Kassen heißt es aber, „die Daten werden verschlüsselt übermittelt. Nur berechtigte Ärzte und Krankenhäuser haben den Schlüssel und die entsprechenden Lesegeräte, um die Gesundheitsdaten des Patienten zu erfassen“. Dennoch bemängeln einige Kritiker die Speicherung der hochsensiblen Daten. Es wird noch einige Zeit dauern, bis hierzu alle Fragen abschließend geklärt sind. Die Vorsitzende des Kassenverbandes GKV, Doris Pfeiffer betonte, dass die Abspeicherung nur im Falle des Einverständnisses des Patienten geschieht. Wer demnach nicht möchte, wird auch nicht gezwungen.
Krankenkassen kritisieren Drohungen seitens der Politik
Die Techniker Krankenkasse (TK) gilt als Vorreiter bei der Verteilung der Gesundheitskarte. In vorangegangenen Feldversuchen hatte die TK bereits die Funktionalität der Lesegeräte und Karten ausgiebig getestet. Die Weisung des Bundesgesundheitsministeriums könne die TK auf jeden Fall einhalten, wie ein Sprecher gegenüber der Nachrichtenagentur betonte. „Wir können Ende nächsten Jahres 70 Prozent ausgegeben haben, aber die Entscheidungen müssen dann schnellst möglich getroffen werden“. Letzterer Hinweis ging an die Politik, die dazu aufgefordert wird, den Entwurf umgehend als Gesetz umzusetzen.
Eine Sprecherin des Kassenspitzenverbandes kritisierte die einseitige Haltung des Gesetzgebers. „Weitere gesetzliche Anreize seien nicht notwendig“. Schließlich sind die Krankenkassen bereits sehr aktiv und würden ihre Rolle gut ausfüllen. Einen Einfluss auf die Produktions- und Lieferprozesse hätten die Kassen nicht. Komme eine solche Pflichtquote, dann solle die „auch für die Industrie und die Ärzte gelten“.
Gegenüber dem Boulevardblatt Bild sagte der Gesundheitsexperte der CDU, Jens Spahn: „Die elektronische Gesundheitskarte ist das größte IT-Projekt in Europa. Wir wollen es endlich voranbringen.“ Im Bundesernährungsministerium hält man sich noch bedeckt. Eine solche Regelung wie angesprochen wird momentan noch diskutiert. Eine Ministeriumssprecherin sagte: „Die Kassen sollen weiterhin Anreize verspüren, damit das Projekt vorangetrieben wird.“ (sb)
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