Kassen- und Privatversicherte werden bei der Terminvergabe unterschiedlich behandelt
03.08.2013
Werden Kassen- und Privatpatienten in Deutschland bei der Vergabe von Terminen gleich behandelt? Eine Untersuchung der bayrischen Landtagsfraktion der Grünen kam zu einem niederschmetternden Ergebnis. So wurden teilweise Kassenpatienten komplett abgewiesen, während Privatversicherte schon am darauffolgenden Tag in die Internisten-Praxis kommen dürften.
Gerda W. (67) ist bei der AOK versichert. Trotz größter Schmerzen muss sie auf eine Untersuchung 67 Tage warten. Ihre Freundin Bärbel K. (62) ist Privatversichert. Sie hat bei dem gleichen Internisten gleich am darauffolgenden Tag einen Untersuchungstermin erhalten. Der Grund liegt auf der Hand. Für die gleiche Behandlung bekommt der Mediziner sehr viel mehr Geld. Die Gesundheit des Patienten scheint oftmals zweitrangig zu sein.
Wer gesetzlich versichert ist, muss sich vor allem bei Facharztpraxen auf lange Wartezeiten einrichten. Ein Test-Anrufer der Landtags-Grünen rief in insgesamt 610 Arztpraxen an und fragte jeweils als Kassen- und später als Privatversicherter nach einem Termin. Im Resultat zeigte sich, dass gesetzlich Versicherte länger auf einen Termin warten, als Mitglieder der privaten Krankenversicherung (PKV). „In 14 Arztpraxen wurden die vermeintlichen Kassenpatienten gleich ganz abgewiesen“. Einem Anrufer mit Rückenschmerzen wurde sogar gesagt, der Orthopäde sei nur für Fußprobleme zuständig. Als dann aber ein vermeintlicher Privatpatient mit gleicher Problemschilderung anrief, bekam dieser zeitnah einen Termin. Nur etwa drei von zehn Ärzten machten keine Unterschiede. Bei 30 Prozent der Praxen machten die Sprechstundenhilfen am Telefon keinen Unterschied bei der Terminvergabe zwischen Gesetzlich und Privat.
Ein Arzt vergab einen Termin erst nach 280 Tagen
Doch bei den übrigen 70 Prozent waren die Unterschiede umso größer. Durchschnittlich wartete ein Kassenpatient gut 17 Tage länger auf einen Praxistermin. Einen massiven Terminunterschied erlebte ein Testanrufer im bayrischen Kaufbeuren. Bei dem ortsansässigen Augenarzt bekam der Privatpatient einen Termin nach 26 Tagen. Der Kassenpatient hätte satte 280 Tage warten müssen.
Die Landesvorsitzende der grünen Landtagsfraktion Waltraud Schopper kritisierte angesichts der Ergebnisse die Ärzteschaft und das Gesundheitssystem. „Bei diesen Zahlen liegt der Verdacht nahe, dass manchen Medizinern der eigene Geldbeutel näher ist als das Wohl der Patienten.“ Nicht selten komme es auch vor, dass Privat- und Kassenpatienten vor Ort in verschiedene Wartezimmer gebeten werden. Somit liege der Verdacht nahe, dass es auch „zu gravierenden Qualitätsunterschieden“ kommt. SPD, Gewerkschaften und Linke fordern seit einiger Zeit eine Bürgerversicherung. So auch die Grünen. Damit würde das Zwei-Klassen-System in der Gesundheitsversorgung abgeschafft werden. Nur wenn gleiche Tarife für Behandlungen gezahlt würden, würden Kassenmitglieder ebenso gut behandelt werden, die die Politikerin.
Die Kassenärztlichen Vereinigung bestätigte, dass Ärzte mit einer Kassenzulassung mindestens 20 Wochenstunden ihrer Sprechzeiten für gesetzlich Versicherte anbieten müssen. Ein Sprecher der KVB bestätigte, dass auch Kontrollen hierzu durchgeführt werden. Auf welchem Weg dies geschieht, konnte der Sprecher nicht mitteilen.
Ärztekammerpräsident weist Kritik zurück
Der hessische Ärztekammerpräsident Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach sieht hingegen keine Unterschiede in der Behandlung in Deutschland. Er warnte vor „voreiligen Schlüssen“.„Entscheidend ist, dass in Deutschland keine Qualitätsunterschiede in der Behandlung von Privat- und Kassenpatienten bestehen“. So würden beispielsweise deutsche Patienten im EU- und OECD-Vergleich den freiesten Zugang zu Ärzten, medizinischen Innovationen und Kliniken haben. Dabei würden es nach Ansicht des Ärztechefs keinen Unterschied machen, ob jemand Privat- oder Gesetzlich versichert sei. Serviceunterschiede seien lediglich bei den Terminvergaben möglich. „Ärzte vergeben Termine nach medizinischen Gesichtspunkten – und dies unabhängig davon, ob ein Patient privat oder gesetzlich krankenversichert ist“, so von Knoblauch zu Hatzbach weiter. Entscheidend sei dabei auch der gesundheitliche Zustand des Patienten. Lebensbedrohliche und akute Fälle werden meist sofort angenommen. Fakt sei aber auch, dass Ärzte nicht dazu verpflichtet sind, Patienten nach der Reihe zu untersuchen. Hierbei habe jede Praxis einen eigenen Terminvergabeplan.
Erklärbar seien die Serviceunterschiede durch den vorhandenen Kostendruck der Praxen. Nach Meinung des Ärztechefs sei die ambulante Versorgung „unterfinanziert“. Würden Kassenärzte nur Kassenmitglieder annehmen, wäre die Existenz einiger Praxen schnell bedroht, so der Ärztekammerpräsident. (sb)
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