Benachteilung von Kassenpatienten beim Arzt
18.07.2011
Lange Wartezeiten, kaum Zeit für eine ausführliche Anamnese und ewig lange Terminvergaben. Das erleben Kassenpatienten jeden Tag aufs Neue, wenn sie die Ungerechtigkeiten des deutschen Gesundheitssystems zu spüren bekommen. Laut einer Studie der Allgemeinen Ortskrankenkasse AOK Rheinland/Hamburg sind die Unterschiede zwischen Kassen- und Privatpatienten gravierend. Der Grund: Ärzte bekommen für die Betreuung und Behandlung der Privatversicherten viel mehr Geld und behandeln deshalb Privatversicherte mit Vorzug.
Teilweise dreifach längere Wartezeiten für Kassenpatienten
Es ist schon lange keine Geheimnis mehr, in Deutschland existiert eine sogenannte „Zwei-Klassen-Medizin“. Denn Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen müssen zum Teil mit erheblichen Wartezeiten rechnen, vor allem wenn es um die Konsultation eines Facharztes geht. Laut einer Studie der AOK Rheinland/Hamburg sei die Ungerechtigkeit zum Beispiel beim Kardiologen (Herz-Kreislauf-Spezialist) am massivsten zu spüren. Patienten der Kassen müssen etwa 71 Tage warten bis sie zum Arzt vorgelassen werden, Privatpatienten hingegen nur 19 Tage. Wer als Kassenpatient einen Termin bei Radiologen wünscht, muss sich auf eine Wartezeit von 46 Tagen einrichten, während Privatpatienten nur 7 Tage warten. Bei den Augenärzte sieht die Situation nicht besser aus. Krankenkassen- Versicherte warten im Schnitt etwa 37 Tage auf einen Arzttermin. Die zumeist wohlhabende private Kundschaft wartet nur 16 Tage. In der Zwischenzeit könnte sich die Erkrankung des Patienten verschlimmert haben.
800 Stichproben bei Ärzten
Für die Studie hatte die Ortskrankenkasse AOK Hamburg im Juni diesen Jahres etwa 800 Arztpraxen angerufen. Erst gaben sich die Tester als Kassenpatienten aus und fragten bei der Praxis nach einem Termin. Etwas später erfolgte ein zweiter Anruf. Nun stellten sich die Testanrufer als Privatpatienten vor und befragten die Arzthelferinnen ebenfalls nach einem regulären Untersuchungstermin ohne Notfallversorgung. In fast allen Fällen wurde nun zeitnah ein Termin angeboten.Wilfried Jacobs, Chef der AOK Rheinland/Hamburg, zeigte sich über das Studienergebnis sehr verärgert. Wenn die Krankenkassen keine Handlungsmöglichkeiten bekommen, wird sich an der Situation kaum etwas verändert, so Jacobs. Aus diesem Grund müssten die Krankenkassen „das Recht bekommen, nicht mehr mit Fachärzten zusammenarbeiten zu müssen, die gesetzlich Versicherten keine zeitnahen Termine geben", argumentiert der AOK-Chef. In der Praxis würde das bedeuten, dass die Ärzte ihre Kassenzulassung verlieren würden. Eine Forderung die sich angesichts der starken Ärztelobby kaum durchsetzen lassen wird.
Keine Beeinträchtigung der Notfallversorgung
„Im Notfall sind alle Menschen gleich“. Das ist wenigstens das Ergebnis einer Studie repräsentative Umfragestudie im Auftrag der Deutschen Betriebskrankenkassen. Wer beim Arzt aufgrund starker Schmerzen oder schwerwiegender gesundheitlicher Einschränkungen anruft, bekommt gleich schnell einen Termin. In zwei Drittel der Fälle wurde noch am gleichen Tag ein Arzttermin vereinbart.
Direkte Frage nach Versicherungsform wird umgangen
Dürfen Praxisangestellte am Telefon nach der Versicherungsart fragen. Im Prinzip ja, doch die meisten Arzthelferinnen umgehen die direkte Frage mit der Formulierung ob man schon einmal in der Praxis vorstellig geworden ist. Nach Eingabe des Namens kann die Versicherungsform eingesehen werden. Danach entscheidet die Arzthelferin die Vergabe des Termins.
Privatpatienten sind für den Arzt lukrativer
Doch warum müssen Kassenmitlieder länger warten, als Privatpatienten? Die Antwort ist sehr einfach, eine Behandlung eines Privatversicherten ist im Durchschnitt 20 bis 45 Prozent lukrativer und bringt somit mehr Geld. Damit der Patienten bei der Anfrage nicht an einen anderen Arzt verloren geht, wird der schnellstmögliche Termin vergeben. Doch nicht nur bei den Wartezeiten scheint es eine ungleiche Betreuung zu geben. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungs- und Marktforschungsinstituts GfK fühlen sich 83 Prozent der Krankenkassen-Versicherten schlechter behandelt als Privatversicherte.
„Ärzte brauchen Privatpatienten“
Die Ärzteschaft verteidigt hingegen die Praxis der Ungleichbehandlung. Schließlich benötigen „Ärzte eben Privatpatienten, um übe die Runden zu kommen“, sagte Dieter Bollmann, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung im Hamburg. Den Vorwurf, die Ärzte würden auf einem hohen Niveau sich beklagen, wollte der Ärztevertreter gegenüber dem Hamburger Abendblatt nicht stehen lassen. "Das mag für diejenigen gelten, die den jahresdurchschnittlichen Jahresumsatz von 220 000 Euro erwirtschaften" sagte der Kammerchef. In Hamburg würden die Mediziner allerdings im Schnitt 120.000 Euro Jahresumsatz machen. Und davon müssten schließlich noch Löhne, Steuern und Unterhaltskosten bezahlt werden. Für die Ärzte blieben dabei kaum mehr als 60.000 Euro im Jahr übrig. Und das wäre für „ein 10 Stundentag nicht viel“, bemerkt der Ärztevertreter. (sb)
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Bildnachweis: Halina Zaremba / pixelio.de
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