Durch den Kontakt mit Keimen kann das Risiko für Allergien reduziert werden
21.06.2013
Knapp ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland hat bereits einmal in seinem Leben an einer Allergie gelitten. Das zeigt eine neue Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI). Zu den am häufigsten diagnostizierten Allergien gehört Heuschnupfen. Aber auch Nahrungsmittel- und Insektengiftallergien treten verstärkt auf. Forscher vermuten, dass der frühe Kontakt mit Keimen, vor späteren Allergien schützen könnte.
Allergien schränken die Lebensqualität ein
Juckender Hautausschlag und Pusteln, tränende Augen, eine verschnupfte Nase und Atemnot sind nur einige der Symptome, die auf eine Allergie hinweisen können. Im schlimmsten Fall kann ein sogenannter anaphylaktischer Schock auftreten, bei dem es zum Kreislaufschock und Organversagen kommen kann. Wenn der Betroffene nicht umgehend behandelt wird, kann er an der allergischen Reaktion sterben. Bei den meisten Menschen treten die Allergien jedoch weitaus schwächer ausgeprägt auf. Dennoch können Allergien die Lebensqualität stark einschränken, indem sie nicht nur das Sozialleben beeinflussen sondern auch die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit mindern. Während Nahrungsmittelallergien häufig gut in den Griff zu bekommen sind, indem auf den Verzehr bestimmter Lebensmittel verzichtet wird, wie beispielsweise bei einer Laktoseintoleranz der Verzicht auf Kuhmilchprodukte, haben Menschen mit Heuschnupfen wenig Möglichkeiten, sich den allergieauslösenden Pollen zu entziehen. Meist stehen nur Medikamente mit teilweise heftigen Nebenwirkungen oder ein spezielles Verfahren zur Hyposensibilisierung zur Auswahl. Auch einige Naturheilverfahren können die Beschwerden Lindern, jedoch nicht kurieren. Ärzte und Wissenschaftler suchen deshalb fieberhaft nach neuen Lösungen, die Allergien bereits im Vorfeld verhindern.
Häufigkeit von Allergien nimmt zu
Seit den 1970er Jahren haben Allergien in den westlichen Industrieländern stark zugenommen. Wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist, weiß jedoch bisher niemand. Eine Erklärung könnte im westlichen Lebensstil zu finden sein. Dafür spricht auch die Entwicklung der Allergien in Ostdeutschland: Kurz nach der Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre traten in den neuen Bundesländern trotz der starken Luftverschmutzung wesentlich weniger Allergien auf als im Westen. Mittlerweile haben sich sowohl der Lebensstil als auch die Häufigkeit der Allergien angepasst.
Vor dem Hintergrund, dass sich Allergien inzwischen zu einer „Volkskrankheit“ entwickelt haben, führte das RKI eine Untersuchung zur „Häufigkeit allergischer Erkrankungen in Deutschland. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ durch. Demnach wurde bei knapp einem Drittel der Erwachsenen in Deutschland bereits einmal im Leben eine Allergie ärztlich diagnostiziert. „Aktuell leiden fast 20 Prozent an mindestens einer Allergie“, schreiben die Autoren. Die Betroffenen haben Allergien gegen Pflanzenpollen, Milben, Tierhaare, Insektengift oder Lebensmittel wie Nüsse oder Eier und Milchprodukte. Die Großteil der Allergiker (14,8 Prozent) ist jedoch von Heuschnupfen betroffen. „Frauen sind generell häufiger betroffen als Männer und Jüngere häufiger als Ältere“, fassen die Autoren der RKI-Studie zusammen. Insgesamt habe die Summe aller allergischen Erkrankung seit 1998 aber abgenommen. „Ein genauerer Blick in die zeitliche Entwicklung zeigt aber, dass die Häufigkeit von Asthma bronchiale weiterhin zugenommen hat und somit den Trend der 1970er- bis 1990er-Jahre fortsetzt, die Häufigkeit von Heuschnupfen, Neurodermitis und Nahrungsmittelallergien jedoch gleich geblieben ist, also ein Plateau erreicht zu haben scheint“, heißt es weiter in der Untersuchung. Die Forscher weisen jedoch daraufhin, dass die sichtbare Abnahme der allergischen Erkrankungen von der geringeren Zahl der Arztdiagnosen bei Urtikaria (Nesselsucht) und Kontaktekzemen gesteuert werde. Zum einen sei denkbar, dass die Zahl der Erkrankungen tatsächlich abgenommen habe, zum anderen sei aber auch die Verwendung allergener Stoffe wie Nickel oder Henna zum Färben der Haare im Alltag eingeschränkt worden. Allgemein würde die Wirkung dieser Stoffe in der Öffentlichkeit stärker diskutiert. Darüber hinaus könne aber auch ein weiterer Faktor zur Abnahme der Arztdiagnosen geführt haben. „So wurden Kortikosteroide enthaltende Salben und Cremes von der Verschreibungspflicht freigestellt, sodass eine jetzt mögliche Selbstbehandlung leichter allergischer Hauterkrankungen zu weniger Arztbesuchen führen könnte“, schreiben die Forscher.
Viele Kinder von Allergien betroffen
Mehr als 20 Prozent der Kinder sind mindestens einmal von einer Allergie betroffen. Besorgniserregend sei das vor allem, weil bei Kindern das Risiko lebensbedrohlicher allergischer Reaktionen um das Siebenfache erhöht sei, berichtet Sonja Lämmel vom Deutscher Allergie- und Asthmabund gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“.
Allergien treten auf, wenn das Immunsystem heftige Abwehrreaktionen bei eigentlich unschädlichen Stoffen zeigt. „Man muss sich das Immunsystem der Allergiker wie eine hyperaktive Polizeimacht vorstellen, die Verbrechen reduziert. Aber mit dem Nachteil, dass sie manchmal auch Unschuldige einsperrt", erklärt Torsten Zuberbier, Leiter der Europäische Stiftung für Allergieforschung und Sprecher des Allergie Zentrums der Berliner Charité, gegenüber der Nachrichtenagentur.
Neue Therapieansätze gegen Allergien
Der Marburger Allergologe Harald Renz entdeckte mit seinem Team bereits vor zehn Jahren, warum Bauernhof-Kinder viel seltener an Allergien erkranken. Ihr Risiko für Asthma oder Heuschnupfen ist nur halb so hoch wie das von Kindern, die im städtischen Umfeld aufwachsen. „Es sind nicht die Schweine oder Kühe selbst, die den positiven Effekt haben", sagt Renz gegenüber der Nachrichtenagentur. „Es sind die Mikroben, die in großer Anzahl auf solchen Bauernhöfen vorkommen." Diese schalten die Gene aus, die allergische Reaktionen in Gang setzen. Renz vermutet, dass ein früher Kontakt zu vielen Bakterien das Immunsystem abhärtet. Auf diese Weise könnten Säuglinge eine gezielte Behandlung mit Keimen zur Prävention erhalten. „Wenn es uns gelingt, herauszufinden, wie es diese Mikroben schaffen, bestimmte Gene auszuschalten, können wir sie gezielt für eine präventive Behandlung einsetzen." Die Bakterien könnten dann positiv auf die Darmflora wirken und gleichzeitig Allergien verhindern.
Der Allergologe führte Versuche an Mäusen durch, bei den schwangere Mäuseweibchen spezielle Bakterien einatmeten. In der Folge erkrankten die Tiere seltener an Allergien. Da der präventive Ansatz noch nicht ausgereift ist, müssen weitere Studien vor allem im Hinblick auf die Übertragbarkeit auf den Menschen durchgeführt werden. Es gab bereits viele Versuche mit Darmkeimen, die teilweise auch das Allergierisiko senkten. „Wie sie genau wirken, wissen wir allerdings noch nicht", berichtet Renz. Auch der Zeitpunkt des idealen Therapiebeginns ist noch nicht klar. So könnte die Behandlung bereits in der Schwangerschaft begonnen werden oder erst im Säuglingsalter des Babys.
„Es gibt einen experimentellen Forschungsansatz, eine Schluckimpfung mit Bakterienbestandteilen. Dabei versucht man, das Immunsystem von Säuglingen besser zu trainieren", erklärt Lämmel in Bezug auf Lebensmittelallergien. „Aktuelle Präventionsempfehlungen gehen dahin, dass die Mutter vier bis sechs Monate stillt und dass Säuglingen dann im Rahmen der Beikost alle Lebensmittel angeboten werden. Also auch Kuhmilch und Fisch, damit das Immunsystem früh eine Toleranz entwickeln kann."
Um Allergien zu verhindern, ließen präventive Ansätze hoffen, so Renz. „Sie bedeuten die Chance, Allergien bereits zu verhindert, bevor sie überhaupt die Patienten plagen." Bis dahin bleibt den Betroffenen meist nur der Verzicht auf die allergieauslösenden Stoffe sowie eine medikamentöse Therapie zur Linderung ihrer Beschwerden. (ag)
Bild: Sebastian Karkus / pixelio.de
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