Legalisierung der Sterbehilfe ohne Effekt auf die Todesfälle
13.07.2012
Forscher haben die Euthanasie-Fälle in den Niederlanden ausgewertet und dabei festgestellt, dass eine Legalisierung keinen Anstieg der aktiven Sterbehilfe und ärztlich assistierten Selbsttötungen mit sich brachte. Die Wissenschaftler um Prof. Bregje Onwuteaka-Philipsen vom University Medical Center Amsterdam, analysierten die Entwicklung der Sterbehilfe in den Niederlanden von 1990 bis 2010.
Seit dem Jahr 2002 ist in den Niederlanden die aktive Sterbehilfe erlaubt. Die Forscher der Universitätskliniken Rotterdam, Utrecht und Amsterdam haben nun in einer umfassenden Studie bewertet, wie sich die Legalisierung der Euthanasie auf die tatsächlichen Fälle aktiver Sterbehilfe ausgewirkt hat. Ihre Ergebnisse veröffentlichen Prof. Onwuteaka-Philipsen und Kollegen in dem britischen Fachmagazin „ The Lancet“.
Nach der Legalisierung zunächst leichter Rückgang der Sterbehilfe-Fälle
Anhand der Zahlen aus den landesweiten Sterberegistern der Jahre 1990, 1995, 2001, 2005 und 2010 zu den Todesfällen und Ursachen in den Niederlanden, konnten die Forscher Rückschlüsse auf die Auswirkung der Legalisierung der Sterbehilfe ziehen. Sie befragten außerdem die Ärzte, die an diesen Todesfällen beteiligt waren und nahmen eine Gewichtung nach Alter, Geschlecht, Familienstand, Wohnregion, Ursache und Ort des Todes vor. Laut Aussage der Wissenschaftler lag der Anteil der Fälle aktiver Sterbehilfe und assistierter Selbsttötung an den untersuchten Todesfällen „im Jahr 2010 in den Niederlanden bei 2,8 Prozent (475 von 6.861).“ Damit sei zwar gegenüber dem Jahr 2005 ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen, das Niveau bleibe jedoch in etwa auf Level von 2001 und 1995, schreiben Prof. Onwuteaka-Philipsen und Kollegen in ihrem Fachartikel.
Wichtiger Beitrag zur Debatte um die Sterbehilfe
Einen durchaus positiven Trend stellten die Forscher bei den Fällen fest, in denen das Leben der Patienten ohne deren explizite Forderung nach Sterbehilfe erfolgte. Diese äußerst kritischen Vorgänge betrafen im Jahr 2010 nur noch 0,2 Prozent der untersuchten Todesfälle (13 von 6.861), was lediglich einem Viertel der Fälle (0,8 Prozent beziehungsweise 45 von 5.197) vor der Legalisierung entspricht. So können die Studienergebnisse auch zur Beruhigung der Sterbehilfe-Kritiker beitragen, die davon ausgegangen waren, dass durch die Legalisierung mehr Patienten ohne ihre ausdrückliche Zustimmung getötet würden. Zudem sterben heute nicht mehr Menschen durch Euthanasie oder ärztlich assistierten Suizid als in den 1990er Jahren, berichten die Forscher. Allerdings wurden im 2010 lediglich 77 Prozent (3.136 von 4.050) aller Fälle dem Review Komitee vorgelegt, so dass hier eine relativ große Dunkelziffer besteht. Insgesamt gebe die aktuelle Studie jedoch einen guten „Einblick in die Folgen der Regulierung der Euthanasie und ärztlich assistierter Suizide“, wobei das Euthanasie-Gesetz in den Niederlanden zu einer relativ transparenten Praxis geführt habe, berichten Prof. Onwuteaka-Philipsen und Kollegen. „Obwohl die Ergebnisse nicht einfach auf andere Länder übertragbar sind“, können sie wichtige Informationen für „die Debatte über die Legalisierung der Sterbehilfe“ liefern, so das Fazit der niederländischen Forscher.
Sterbehilfe in den Niederladen seit 2002 legal
Die Niederlande haben als erster Staat weltweit im Jahr 2002 ein Sterbehilfegesetz verabschiedet, dass seither die rechtliche Grundlage für Euthanasie und ärztlich assistierte Selbsttötungen bildet. Demnach ist die Sterbehilfe und ärztliche Hilfe zum Suizid nicht strafbar, wenn Patienten aussichtslos erkrankt sind, unerträglich leiden und mehrfach explizit um Sterbehilfe gebeten haben. Allerdings muss vor der Sterbehilfe ein zweiter Arzt hinzugezogen werden und jeder Fall ist bei regionalen Prüfungskommissionen anzumelden. Seit März 2012 sind außerdem professionelle Sterbehilfe-Teams unterwegs, die Schwerstkranke und Lebensmüde auf dem Weg ins Jenseits unterstützen. Hier scheint die Kritik, dass ein Geschäft mit dem Tod gemacht wird und der Übergang von Lebenskrisen zum Lebensenden verwische, jedoch durchaus bedenkenswert.
Stillstand der deutschen Gesetzgebung in puncto Sterbehilfe
Anders als in den Niederlanden, tun sich die Gesetzgeber in Deutschland beim Umgang mit der Sterbehilfe seit Jahren schwer. Für besonderes Aufsehen hatte hierzulande der Prozess um die Krebsärztin Mechthild Bach aus Hannover gesorgt. Bach wurde vorgeworfen dreizehn Patienten getötet zu haben. Obwohl sie den Vorwurf stets bestritt, war schnell von Sterbehilfe für die schwerkranken Patienten die Rede. Als das Gericht nach rund achtjährigem Verfahren andeutete, die Verurteilung könne anstatt auf Totschlag auch auf Mord hinauslaufen, nahm sich die Angeklagte kurz darauf das Leben. Die Diskussion um den rechtlichen Umgang mit Euthanasie war damit jedoch keineswegs beendet.
Kritiker warnen vor kommerziellen Interesse im Zusammenhang mit der Sterbehilfe
Nicht nur die aktive Sterbehilfe sondern auch die Beihilfe zur Selbsttötung bleibt hierzulande weiter verboten, auch wenn letztere nach dem Gesetz straffrei bleibt. Außerdem hatte der Deutsche Ärztetag zuletzt beschlossen, dass ärztliche assistierte Selbsttötungen berufsrechtlich nicht erlaubt sind. Dabei können auch die Gegner der Sterbehilfe durchaus gute Gründe anführen, warum ihrer Ansicht nach Euthanasie weiterhin untersagt bleiben sollte. Sie warnen vor kommerziellen Interessen, die Mediziner dazu veranlassen könnten, Patienten in Richtung Euthanasie zu drängen. So hatte ein Fall in Belgien, bei dem sich eine 43-jährige Frau rund ein Jahr nach einen Schlaganfall töten ließ, obwohl ihre Beeinträchtigungen mit Sehstörungen und allgemeiner Pflegebedürftigkeit noch relativ moderat ausfielen, für erhebliches Aufsehen gesorgt. Denn wie die „ZEIT“ berichtete, spendete die Patientin auch ihre Organe, die unmittelbar nach der Euthanasie entnommen wurden. (fp)
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