Stevia nicht mehr als ein normaler Süßstoff?
Stevia wird als Süßstoff heute in zahlreichen Lebensmitteln und Getränken verwendet, wobei allerdings die ersten Produkte bereits wieder vom Markt verschwunden sind. Die Erfolgsgeschichte des kalorienarmem und für die Zähne unbedenklichen Süßstoffes begann in Europa im Jahr 2011 mit der Zulassung aus Steviakraut extrahierter Steviolglycoside als Süßungsmittel für verschiedene Lebensmittel. Seither hat der neue Süßstoff an vielen Stellen den herkömmlichen Zucker ersetzt, doch bleibt die Entwicklung deutlich hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück.
Die Steviapflanze selbst ist hierzulande bislang nicht als Lebensmittel zugelassen, da zunächst ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit im Rahmen eines behördlichen Zulassungsverfahrens belegt werden muss, was laut Angaben des „aid infodienst – Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz e. V.“ bisher nicht gelungen ist. Aus Stevia gewonnene Steviolglycoside (süßschmeckenden chemischen Verbindungen der Pflanze) dürfen indes unter der Nummer „E 960“ als Süßungsmittel für diverse Lebensmittel verwendet werden. Hierfür erfolgt eine chemische Isolierung der Steviolglycoside, wobei jedoch die wertvollen Inhaltsstoffe der Pflanze verloren gehen, erläutert Dr. Udo Kienle, Agrarwissenschaftler an der Universität Hohenheim, der sich seit Anfang der 1980er Jahre mit der Pflanze Stevia rebaudiana und ihren Süßstoffen befasst.
Stevia-Einsatz bleibt hinter den Erwartungen zurück
Stevia-Extrakt wird laut Mitteilung des „aid-Infodienstes“ mittlerweile in einer Reihe von Lebensmitteln als Süßstoff eingesetzt, darunter auch Erfrischungsgetränke wie Cola und Eistee, Süßwaren, einige Milcherzeugnisse und Fruchtaufstriche. Erst kürzlich hat der Getränkehersteller Coca-Cola seine grüne „Coke Life“ auf den Markt gebracht, die mit Stevia-Extrakt gesüßt und als gesündere Alternative zur klassischen Coca-Cola angedacht ist. Insgesamt handelt es sich bei den Produkten mit Stevia-Süße laut Angaben des „aid-Infodienstes“ jedoch „nach wie vor eher um Nischenprodukte, die überwiegend von kleineren oder mittelständischen Unternehmen stammen.“ Der erwartete durchgreifende Umschwung von Zucker auf die Stevia-Extrakt blieb bislang aus. Hierfür wird einerseits der Eigengeschmack des Süßstoffes verantwortlich gemacht, anderseits gelten die gesetzlich festgelegten Höchstmengen für den Einsatz der Steviolglycoside in Lebensmitteln als Hemmnis bei der Ausweitung der Verwendung.
Lebensmittelindustrie tut sich schwer mit Stevia
„Für die Industrie ist der Umgang mit Steviolglykosiden schwierig“, wird der Agrarwissenschaftler Kienle von „Welt Online“ zitiert. Der lakritzartige Eigengeschmack von Stevia, welcher abhängig von der Menge und dem Herstellungsverfahren variiert, bilde hier ein Problem. Der vorgeschriebene ADI-Wert (Acceptable Daily Intake = ADI), über den die maximal angeratene Tagesmenge festgelegt wird, stelle zudem eine weitere Hürde bei den Verwendung dar. Weil der ADI-Wert relativ niedrig angesetzt ist, könne bei vielen Produkten nur ein Teil des Zuckers durch Steviolglykoside ersetzt werden. Eine Anpassung des ADI-Wertes setzte jedoch weitere Langzeitstudien zu den Auswirkung der Steviolglykoside voraus. Für Bio-Lebensmittel sind die Steviolglycoside dem „aid-infodienst“ zufolge grundsätzlich tabu, da sich ihre Zulassung nur auf konventionelle Lebensmittel beschränkt.
Erlaubte Tageshöchstdosis relativ gering
Die vorgesehene Tageshöchstdosis ist laut Aussage der Kochbuchautorin und gelernten Diätassistentin, Kirsten Metternich, bei dem heimischen Gebrauch von Stevia-Extrakt normalerweise kein Problem. Kochen und Backen mit Stevia sei hier grundsätzlich unbedenklich. Wer ein Stück ausschließlich mit Stevia-Süßstoff gesüßten Kuchen verzehre, komme nicht in die Nähe des ADI-Wertes, so Metternich gegenüber „Welt Online“. Problematisch könne es jedoch werden, wenn täglich mehrere mit Stevia gesüßte Lebensmittel in größeren Mengen konsumiert werden. Hier sollten insbesondere Kinder mit wenig Körpergewicht vorsichtig sein, da der ADI-Wert leicht überschritten werde, wenn beispielsweise hohe Mengen Stevia-gesüßter Limonaden aufgenommen werden.
Stevia-Extrakt deutlich süßer als Zucker
Die grundsätzliche Annahme, dass Steviolglykoside natürlicher sind als andere Süßstoffe, ist laut Aussage der Diätassistentin zudem nicht haltbar. Dennoch bilde das Stevia-Extrakt eine Bereicherung für die Süßstofffamilie, berichtet die Expertin in dem Beitrag von „Welt Online“. Insbesondere die hohe Süßkraft (200 bis 300 Mal stärker als Zucker) und die Eignung für Diät-Lebensmittel bei Diabetes seien hier vorteilhaft. Mit geringen Mengen Stevia-Extrakt könne bereits eine enorme Süße erreicht werden, weshalb beim heimischen Gebrauch die Dosierungsempfehlungen unbedingt beachtet werden sollten, damit die Speisen nicht zu süß werden. Hier seien für den Gebrauch in der eigenen Küche Flüssigsüße oder Granulat empfehlenswert. Bei den Mengen gehe es um Messerspitzen, so Metternich weiter.
Eigengeschmack von Stevia
Den Angaben der Kochbuchautorin zufolge harmoniert der Geschmack von Stevia gut mit Nüssen und Gewürzen wie Zimt oder Anis. Sollte der Eigengeschmack als störend empfunden werden, könnten die Steviolglykoside auch mit Zucker gemischt werden, so Metternich weiter. Auf diese Weise gehe der lakritzartige Eigengeschmack verloren. Beispielsweise könnten bei Angabe von 100 Gramm Zucker auf einem Rezept stattdessen 50 Gramm Zucker und ein halber bis ganzer Teelöffel voll Steviapulver verwendet werden. Zudem seien fertige Haushaltszucker im Handel verfügbar, die bereits mit Steviolglykosiden gemischt wurden und daher weniger Kalorien enthalten.
Steviapflanze mit gesunden Inhaltsstoffen
In den südamerikanischen Ursprungsländern der Steviapflanze wurde diese auch als Heilpflanze geschätzt, wobei das Stevia-Extrakt ohne die wertvollen Inhaltsstoffe der Pflanze jedoch keine vergleichbaren Effekt erzielt. Hierfür bedarf es eines Verzehrs der Pflanzenteile, was hierzulande angesichts der Verkaufsverbots deutlich erschwert wird. Um dennoch in den Genuss ihrer gesunden Inhaltsstoffe wie Kalzium, Magnesium und Chlorophyll zu kommen, rät der Garten- und Steviaexperte Peter Klock gegenüber „Welt Online“, die Pflanze selbst anzubauen. Hier könne eine einzige Pflanze den Bedarf an Süßstoff für ein ganzes Jahr abdecken.Aus der Pflanze lasse sich Steviapulver und Flüssigkonzentrat herstellen, um dieses zum Süßen zu verwenden. Das Pulver werde aus getrockneten und fein zerriebenen Blättern der Pflanze hergestellt. Das Flüssigkonzentrat könne durch ein Aufkochen der Blätter und dünnen Triebe gewonnen werden. Nachdem die Pflanzenteile solange gekocht wurden, bis ein Großteil der zugeführten Flüssigkeit verdunstet ist, erfolge ein Abseihen und es bleibe das grünliche süße Konzentrat zurück. Auch könnten die Blätter frisch zum Beispiel als Tee verwendet werden. Darüber hinaus bieten sich Steviablätter als süße Komponente beim Salatdressing an, berichtet die Kochbuchautorin Metternich.
Positive Wirkung auf die Gesundheit
Als mögliche gesundheitliche Vorteile von Stevia stehen neben der neutralen Wirkung auf den Blutzuckerspiegel und der Vermeidung von Karies auch eine blutdrucksenkende, verdauungsfördernde und antidiabetische Wirkung in der Diskussion. Zudem wird Stevia ein positiver Effekt auf die Wundheilung zugeschrieben und die Inhaltsstoffe der Pflanze sollen entzündungs- und krebshemmend wirken. Allerdings fehlen hierfür bislang die wissenschaftlichen Belege. Auch haben die Steviolglycoside wenig mit der ursprünglichen Pflanze gemein, so der Hinweis des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände auf dem Portal www.lebensmittelklarheit.de. Die Steviolglycoside dürfen aus diesem Grund auch nicht als „natürliche Süßstoffe“ bezeichnet werden. (fp)
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Wichtiger Hinweis:
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