OLG Hamm: Fahrgast muss Busfahrer um Vorsicht bitten
Busfahrer müssen auf gehbehinderte Fahrgäste nicht generell besonders Rücksicht nehmen. Sie können grundsätzlich mit dem Bus losfahren, bevor der schwerbehinderte Fahrgast einen Sitzplatz ergattert hat, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Hamm mit zwei am Freitag, 20. April 2018, veröffentlichten Beschlüssen (Az.: 11 U 57/17). Eine Pflicht zur besonderen Rücksichtnahme könne ausnahmsweise aber bestehen, wenn die „schwerwiegende Behinderung des Fahrgastes erkennbar” sei oder der Fahrgast um besondere Vorsicht gebeten habe.
Damit scheiterte die Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage einer gehbehinderten Frau aus Herne. Sie ist infolge eines Hüftschadens zu 100 Prozent gehbehindert. Die seinerzeit 60 Jahre alte Frau betrat im April 2016 einen Linienbus des öffentlichen Personennahverkehrs. Sie zeigte beim problemlosen Einsteigen in den Bus ihren Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen „G” vor.
Doch statt sich sofort auf den Schwerbehindertenplatz hinter dem Busfahrer zu setzen, lief sie durch den Bus. Bevor sie einen Platz eingenommen hatte, fuhr der Bus an und es kam wie es kommen musste: Die Frau stürzte und zog sich einen Oberschenkelhalsbruch zu.
Vom Busfahrer und dem Verkehrsbetrieb verlangte sie unter anderem ein Schmerzensgeld in Höhe von 11.500 Euro sowie weitere rund 4.000 Euro als Ausgleich eines Haushaltsführungsschadens. Sie habe ihren Schwerbehindertenausweis vorgezeigt, so dass der Busfahrer besondere Rücksicht hätte walten lassen müssen. Der Fahrer hätte warten müssen, bis sie einen Sitzplatz eingenommen hat.
In seinen Beschlüssen vom 13. Dezember 2017 und 28. Februar 2018 bestätigte jedoch das OLG die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts Bochum. Ein Fahrgast müsse sich unmittelbar nach dem Zusteigen einen freien Sitzplatz suchen. Hier sei die Frau aber erst einmal durch den Bus gelaufen. Sie habe den Busfahrer auch nicht gebeten, mit dem Anfahren erst einmal zu warten, bis sie einen Platz eingenommen hat.
Den Busfahrer treffe damit keine Schuld. Dieser müsse schließlich auch auf andere Verkehrsteilnehmer und Fahrtsignale achten. Eine Pflicht zur besonderen Rücksichtnahme bestehe nur ausnahmsweise dann, wenn es offensichtlich sei, dass der Fahrgast schwerwiegend behindert und gefährdet ist.
Hier habe die Frau den Bus aber ohne Probleme betreten und habe auch keinen nahe gelegenen freien Sitzplatz eingenommen. Nur weil sie einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen „G” vorgelegt habe, ergebe sich noch keine besondere Rücksichtnahmepflicht. Denn solch einen Ausweis erhalte auch ein primär in seiner Orientierung gestörter Mensch, auf den bei der Sitzplatzeinnahme in einem Bus nicht besondere Rücksicht genommen werden müsse. fle/mwo
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