Masern: Keine harmlose Kinderkrankheit
28.04.2013
Masern werden von den meisten Menschen als sogenannte Kinderkrankheit angesehen. Jedoch sind auch Erwachsene davon betroffen. Mitte April starb ein 25-jähriger Mann in Wales an den Folgen seiner Masernerkrankung. Und in Deutschland sind derzeit besonders viele erwachsenen Berliner daran erkrankt.
Über 100 Menschen in Berlin erkrankt
Am Anfang stellen sich Symptome ein wie Kopfschmerzen, Schnupfen, Husten und Fieber. Dann kommt es zu einer Bindehautentzündung und einem erheblich geschwächten Allgemeinzustand. Man könnte fälschlicherweise von einer schweren Erkältung ausgehen. Die typischen roten Hautflecken am ganzen Körper treten erst nach ein paar Tagen auf. Masern, verursacht durch das Masernvirus, ist eine hoch ansteckende Infektionskrankheit, die vor allem bei Kindern auftritt. Allerdings sind auch Erwachsene davon betroffen, wie derzeit in Berlin, wo es über 100 Erkrankte gibt. Dorothea Matysiak-Klose vom Robert-Koch-Institut in Berlin erklärte: „Wir haben derzeit einen wirklich großen Ausbruch in Berlin." Weiter sagte sie: „Jeden Tag kommen neue Fälle hinzu, überall in der Stadt stecken sich Menschen an, einige von ihnen wurden sogar ins Krankenhaus eingeliefert. Über die Hälfte der Erkrankten ist über 18 Jahre alt." Im Vergleich dazu kam es im gesamten Zeitraum des vergangenen Jahres nur zu 166 gemeldeten Masernfällen. Obwohl nach einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission jeder im Alter von zwei Jahren dagegen geimpft sein sollte, breitet sich die typische Kinderkrankheit bei Erwachsenen aus.
Nur von Mensch zu Mensch übertragbar
Masern sind eine hoch ansteckende Infektionskrankheit und verbreiten sich schnell von Mensch zu Mensch. Diagnostiziert werden kann sie durch einen Antikörpernachweis im Blut. Es gibt keine spezifische Therapie dagegen. Masern sind weder bei Kindern noch bei Erwachsenen harmlos, Fieber und ein geschwächtes Immunsystem durch den Virenangriff können zu Mittelohr-, oder sogar zu Hirnhautentzündungen führen. In Europa stirbt durchschnittlich einer von 3000 Infizierten. So dramatisch scheint die Situation in Berlin derzeit nicht zu sein. Es wurden aber 30 Prozent der Erkrankten in Kliniken behandelt. Ungewöhnlich viele Jugendliche und junge Erwachsene haben sich angesteckt. „Zudem ist der Ausbruch nicht auf einen Bezirk beschränkt, sondern hat sich über die ganze Stadt verbreitet", so Matysiak-Klose. Experten vom Berliner Landesgesundheitsamt und dem Nationalen Referenzzentrum für Masern, Mumps und Röteln haben jetzt den Ursprungsort der Krankheit identifiziert: eine Fruchtmesse im Februar. Auch wenn die Masernviren hochansteckend sind, so könnten sie doch ausgerottet werden. Da das Virus nur im Menschen vorkommt, wäre es möglich, es durch eine Impfung aller Menschen auf der Erde auszulöschen.
Ausrottung der Masern als Ziel
Die Weltgesundheitsorganisation WHO setzt sich die Ausrottung der Masern zum Ziel, Experten nennen dies „Eradikation“, die vollständige Eliminierung eines Krankheitserregers. Nachdem seit 1984 angepeilt wurde die Krankheit aus der Europäischen Region bis zum Jahr 2010 zu eliminieren, wurde nach dem Misserfolg nun 2015 als neuer Zeitpunkt genannt. Es ist zwar noch ungewiss, ob dieses Ziel erreicht werden kann, aber andere Ergebnisse stimmen hoffnungsvoll. Denn mit Panamerika hat es eine andere WHO-Region bereits vor zehn Jahren geschafft, masernfrei zu werden. Damals erkrankte auf den amerikanischen Kontinenten über zwölf Monate hinweg kein Mensch an endemischen Masern, das heißt, an Masern, die nicht von Reisenden eingeschleppt wurden. Begründet wird dies von Gesundheitsexperten mit der rigorosen Impfpolitik in den USA und in vielen anderen Ländern Nord-, Mittel- und Südamerikas. So müsse "bei der Einschulung die Impfung gegen Masern nachgewiesen werden, sonst wird das Kind nicht an der Schule zugelassen". In Europa gibt es eigentlich auch viele Erfolge aber eben auch Rückschläge, wie derzeit in Berlin. Oder auch in unserer Nachbarschaft, wie Matysiak-Klose erklärt: „Einen großen Rückschlag gab es auch in Frankreich: Bis ins Jahr 2009 waren dort kaum noch Menschen an Masern erkrankt." Aber 2010 und 2011 erkrankten dann jeweils 30.000 Menschen in Europa, mit klarem Schwerpunkt Frankreich. Als Grund für die Epidemie wurde erkannt, dass zu wenige Menschen geimpft waren.
Impfungen würden helfen
Epidemiologen haben ausgerechnet, dass eine Durchimpfungsquote mit zwei Impfungen von 95 Prozent der Bevölkerung notwendig ist, um die Verbreitung von Masern zu stoppen. Selbst wenn ein oder zwei von 100 Personen ohne Impfschutz sind, wäre die Wahrscheinlichkeit gering, dass die Krankheit ausbricht. Sind aber mehr Personen nicht geimpft, erhöht sich das Risiko für einen Ausbruch der Krankheit enorm. Das Robert-Koch-Institut gibt an, dass derzeit in Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern weniger als 90 Prozent der Schulanfänger zweimal gegen Masern geimpft sind. Außerdem zeigen Daten der Ständigen Impfkommission und des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys, dass in Deutschland Kinder oft zu spät geimpft werden. Von den Kindern, die im Jahr 2009 geboren wurden, war nur in Hamburg, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und Schleswig-Holstein eine Impfquote von 95 Prozent mit der ersten Impfdosis erreicht worden, so die Daten aus einer Erhebung, die jüngst im „Epidemiologischen Bulletin“ veröffentlicht wurden. Kinder mit zwei Jahren sollten eigentlich bereits beide erforderlichen Impfdosen erhalten haben.
Impflücken bei den nach 1970 Geborenen
Wie ist es möglich, dass in Deutschland und Europa dennoch nicht alle Menschen geimpft sind? Die zwei Impfdosen, die benötigt werden, kosten weniger als einen Euro. Der Impfstoff ist sicher und es gibt Impfpläne, die beinhalten, dass Kinder zweimal geimpft sein sollen bis sie zwei Jahre alt sind. Die Expertin des Robert-Koch-Instituts erklärt: „Die Impfrate ist in Deutschland eigentlich relativ hoch." Und weiter: „Aber 2001 sind die Impfempfehlungen für Deutschland überarbeitet worden. Die zweite Impfung, die Kinder bis dahin mit sechs bis acht Jahren bekamen, wurde auf das Alter von knapp zwei Jahren vorgezogen. Dadurch fielen einige Jahrgänge durch das Raster." Damit sank die Rate der immunisierten älteren Kinder und die 95-Prozent-Regel wurde nicht mehr erreicht. Der aktuelle Ausbruch in Berlin zeigt, dass offensichtlich viele junge Erwachsene ohne ausreichenden Schutz sind. Deshalb wird empfohlen, dass sich Menschen, die nach 1970 geboren wurden und die weder wissen, ob sie als Kind Masern hatten, noch ob sie zweimal geimpft wurden, impfen zu lassen.
Religiöse Gründe und ein lügender Arzt gegen Impfungen
Günter Pfaff vom Landesgesundheitsamt in Baden-Württemberg erkannte bei einer Untersuchung der Impfrate auf Gemeindeebene ein weiteres Problem: die Impfgegner. So erklärte er: „Ein Vergleich: Im Süden der Niederlande gibt es den sogenannten ‘Bibelgürtel’, eine Region, in der viele Anhänger streng reformierter Kirchen leben. Hier ist die Ablehnung von Impfungen aus Glaubensgründen sehr hoch – und die Impfquote auch gegen Masern entsprechend gering. In Deutschland haben wir solche Regionen nicht.“ Außerdem fügte er an: „Es gibt aber innerhalb des Landes Gemeinden, die eine relativ geringe Masern-Impfrate haben. Die Ursachen für geringe Impfraten können verschiedene sein. Es mag Gemeinden geben, in denen eine alternative Sichtweise auf die Schulmedizin eine Rolle spielt oder in denen Ärzte noch nach einem überholten Impfplan vorgehen. Wir müssen noch genau untersuchen, woran es im Einzelfall liegt." Noch nicht abschließend dazu sagt er: „Bislang haben wir hierzu nur Hypothesen." Am Beispiel Niederlande kann man erkennen, welchen Effekt die vorherrschenden Einstellungen in einzelnen Gemeinden auf das epidemiologische Geschehen des ganzen Landes haben könne. Nach Schätzungen sind dort 30 Prozent der streng-reformierten Menschen nicht geimpft und so kam es 1999 unter ihnen zu einer Masernepidemie. Ein weiterer Grund für die ablehnende Haltung gegenüber Masernimpfungen wird in einem Medizinskandal von 1998 gesehen.
Der britische Arzt Andrew J. Wakefield hatte damals in der Fachzeitschrift "The Lancet" davor gewarnt, dass der kombinierte Masern-Mumps-Röteln-Impfstoff Autismus auslösen könnte. Jahre später wurde bekannt, dass Wakefield 55.000 britische Pfund an Fördermitteln erhalten hatte – von Anwälten, die autistische Kinder vertraten. Die Veröffentlichung in „The Lancet“ wurde zurückgezogen und Wakefield erhielt 2010 Berufsverbot. Seither haben viele Studien belegt, dass durch die Impfung kein Autismus ausgelöst werden kann. Nach der Wakefield-Studie fiel die Impfquote jedoch vor allem in Großbritannien und Irland drastisch und so gibt es nun in einer Generation von Jugendlichen viele, in denen sich das Virus verbreiten kann. Beide Länder haben bis heute mit den Masern zu kämpfen, unter anderem wegen den gefälschten Daten eines bestechlichen Arztes.
Ärzte in der Verantwortung
Die Skepsis gegenüber der Impfung hält sich zwar auch in Deutschland in manchen Kreisen hartnäckig, dürfte aber kein großes Problem darstellen. So meint Matysiak-Klose: „Etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind wirkliche Impfgegner" und weiter „Wenn aber alle Nicht-Impfgegner gegen Masern geimpft sind, reicht das für die Eliminierung der Krankheit aus." Von Medizinern wird dieser Effekt „Herdenimmunität“ genannt. Gemeint ist, dass bei genügend vielen Menschen, die immun gegen einen Erreger sind, dieser zu selten zu wenige Menschen findet, in denen er sich vermehren kann. Die Epidemiologen sprechen von der 95-Prozent-Regel. Ob das WHO-Ziel, die Krankheit bis 2015 auszurotten, von Deutschland und Europa erreicht wird, liege letztlich an den niedergelassenen Ärzten. „In manchen Landkreisen gibt es zum Beispiel nur wenige Kinderärzte. Wenn diese die Masernimpfung nicht ernst nehmen, kann das Virus in dieser Region überleben“, so Matysiak-Klose. In diesen Gegenden kann sich dann ein Reservoir für die Viren bilden und es könnte zu Ausbrüchen kommen. Dies stellt nicht nur für Europa ein Problem dar, sondern auch für den Rest der Welt, da das Virus leicht in andere Länder verschleppt werden kann. So gilt Deutschland auch als Masern-Exporteur. („“) Vor allem in ärmeren Weltregionen kann das verheerende Folgen haben. Pro Jahr sterben weltweit immer noch 100.000 Menschen an Masern, einer Krankheit, die durch Impfungen bereits ausgerottet sein könnte. (sb)
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Autoren- und Quelleninformationen
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