Potenzielle Straftäter an der Gehirnstruktur erkennen
Diebstahl, Aggressionen, Anwendung von Gewalt, Mobbing, Lügen, sich nicht um Arbeit bemühen – solches oder ähnlich antisoziales Verhalten ist laut einer aktuellen Studie mit Auswirkungen auf die Hirnstruktur verbunden oder Menschen mit bestimmten Hirnstrukturen neigen zu antisozialem Verhalten. MRT-Hirnscans haben gezeigt, dass es charakteristische Unterschiede in den Gehirnen von antisozialen und sozialen Menschen gibt.
Forschende des University College London und der Duke University untersuchten die Unterschiede in der Gehirnstruktur von Menschen, die sich sozial verhalten und Menschen, die zu antisozialem Verhalten neigen. Es zeigte sich, dass die Gehirne von antisozialen Personen im Durchschnitt eine kleinere Oberfläche und eine geringere Dicke des Kortex (Hirnrinde) aufwiesen, als die Gehirne von Menschen, die sich sozial verhalten. Die Ergebnisse wurden in dem psychologischen Fachjournal „The Lancet Psychiatry“ vorgestellt.
Antisoziale Menschen haben kleinere Gehirne
In der Beobachtungsstudie mit 672 Teilnehmenden zeigte sich durch MRT-Scans, dass Personen, die lebenslanges unsoziales Verhalten zeigten, einen dünneren Kortex haben als soziale Menschen. Darüber hinaus war die Oberfläche bestimmter Hirnregionen im Vergleich bei antisozialen Menschen kleiner. Die betroffenen Regionen wurden schon in früheren Studien mit unsozialem Verhalten in Verbindung gebracht.
Antisoziales Verhalten in der Pubertät
Bei einer Vielzahl von Heranwachsenden zeigt sich ein verstärktes antisoziales Verhalten in der Pubertät. Die Studie zeigte jedoch, dass dies keine Auswirkungen auf die Hirnstruktur hat, wenn sich mit zunehmender Reife das Verhalten wieder ändert. „Die meisten Menschen, die ein antisoziales Verhalten zeigen, tun dies in erster Linie erst im Jugendalter“, erläutert die leitende Studienautorin Dr. Christina Carlisi.
Diese Personen weisen der Studie zufolge jedoch keine strukturellen Unterschiede im Gehirn auf. Auch seien diese Personen im Allgemeinen reformfähig und würden häufig zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft werden.
Der erste robuste Beweis
Am stärksten war der individuelle Unterschied bei den Personen, die sich von der Kindheit an bis ins Erwachsenenalter antisozial verhielten. Die Studie ist die erste, die strukturelle Unterschiede im Gehirn untersucht, die mit lebenslangem oder zeitlich begrenztem antisozialen Verhalten verbunden sind. Die Untersuchung liefert den Forschenden zufolge den ersten robusten Beweis dafür, dass die zugrunde liegenden neuropsychologischen Unterschiede in erster Linie mit lebenslangem und durchgängigem antisozialen Verhalten assoziiert sind.
Sind antisoziale Menschen unfähig, soziale Kompetenz zu entwickeln?
„Unsere Ergebnisse unterstützen die Idee, dass es bei den kleinen Anteil der Personen mit lebenslang anhaltendem antisozialen Verhalten Unterschiede in ihrer Gehirnstruktur gibt, die es ihnen erschweren, soziale Fähigkeiten zu entwickeln“, erklärt Carlisi. Dies hindere die Betroffenen womöglich daran, soziales Verhalten zu zeigen oder zu erlernen. „Diese Menschen könnten während ihres gesamten Lebens von mehr Unterstützung profitieren“, so die Studienautorin.
Über die Teilnehmenden
Die 672 Teilnehmenden wurden auf der Grundlage von Berichten von Eltern, Betreuern, Lehrern sowie Selbstberichten über Verhaltensprobleme in verschiedene Gruppen eingeteilt. 12 Prozent (80 Personen) zeigten ein lebenslang anhaltendes antisoziales Verhalten, 23 Prozent (151 Personen) legten ausschließlich jugendliches antisoziales Verhalten an den Tag und 66 Prozent (441 Teilnehmende) hatten keine Vorgeschichte von anhaltendem antisozialen Verhalten. Bei allen Probandinnen und Probanden wurden MRT-Hirnscans durchgeführt.
Das Ergebnis
Im Durchschnitt hatte die lebenslang antisoziale Gruppe die kleinste Gehirnoberfläche und die dünnste Gehirnrinde. Darüber hinaus hatten Personen mit lebenslang anhaltendem antisozialen Verhalten in 282 von 360 Hirnregionen eine kleinere Oberfläche sowie einen dünneren Kortex in 11 von 360 Regionen im Vergleich zu den anderen Gruppen. Viele der betroffenen Regionen sind mit zielgerichtetem Verhalten, der Regulation von Emotionen sowie mit der allgemeinen Fähigkeit zur Motivation verbunden.
Straftäter an der Gehirnstruktur erkennen?
Die Forschenden weisen darauf hin, dass bei Jugendlichen, die ein anhaltendes antisoziales Verhalten zeigen, das bereits in der Kindheit begann, häufig eine Verhaltensstörung diagnostiziert wird. Diese Heranwachsenden haben auch ein erhöhtes Risiko, im späteren Leben inhaftiert zu werden. Zudem wird bei diesen Personen häufiger schlechte körperliche oder geistige Gesundheit festgestellt.
Sollten manche jugendliche Straftäter besondere Therapien bekommen?
„Politische Ansätze bei jugendlichen Straftätern schwanken oft zwischen Strafmaßnahmen und Ansätzen, die Raum für Reformen geben“, betont Co-Autorin Terrie Moffitt. Die Studie deute jedoch auf die Notwendigkeit hin, unterschiedliche Ansätze für verschiedene Straftäter zu verfolgen. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- The Lancet Psychiatry: Life-course-persistent antisocial behaviour may be associated with differences in brain structure (veröffentlicht: 17.02.2020), eurekalert.org
- Christina O Carlisi, Terrie E Moffitt, Annchen R Knodt, u.a.: Associations between life-course-persistent antisocial behaviour and brain structure in a population-representative longitudinal birth cohort; in: The Lancet Psychiatry, 2020, thelancet.com
Wichtiger Hinweis:
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