SG Berlin: Gesundheitskarte begründet keine Speicherung auf Vorrat
Krankenkassen dürfen die für die elektronische Gesundheitskarte erhaltenen Fotos ihrer Versicherten nicht dauerhaft speichern. Eine Speicherung auf Vorrat würde dem Gebot der Datenvermeidung und -sparsamkeit widersprechen und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen, entschied das Sozialgericht Berlin in einem aktuell veröffentlichten rechtskräftigen Urteil (Az.: S 208 KR 2111/16).
Die elektronische Gesundheitskarte gilt seit 2015 als allein gültiger Nachweis für eine gesetzliche Krankenversicherung. Auf dem Chip sind die „Stammdaten“ des Versicherten gespeichert, darunter Name, Geburtsdatum, Anschrift und Geschlecht. Um eine missbräuchliche Verwendung der Gesundheitskarte zu verhindern, beinhaltet diese auch ein Foto des Versicherten.
Im konkreten Fall lieferte sich ein Berliner wegen der Ausstellung seiner elektronischen Gesundheitskarte einen Kleinkrieg mit seiner Krankenkasse. Zunächst weigerte er sich mehrfach, ein Foto zu übersenden. Er verlangte eine Gesundheitskarte ohne Foto. Er könne seine Identität mit dem Personalausweis nachweisen.
Der Mann fürchtete, dass sein Foto, einmal in digitaler Form gespeichert, nicht kontrollierbar sei. Sollten die Daten jemals in die „freie Wildbahn“ oder unbefugte Hände geraten, wären sie „nicht mehr einzufangen“, so der Versicherte. Sein Recht am eigenen Bild würde mit der verpflichtenden Fotoübersendung verletzt.
Schließlich übersandte er seiner Kasse mehrfach Fotos, die aber allesamt so unscharf waren, dass der Versicherte nicht zu erkennen war. Gleichzeitig verlangte er von seiner Krankenkasse die Zusicherung, dass sie diese oder zukünftige Fotos nicht dauerhaft speichert.
Die Krankenkasse beharrte auf die dauerhafte Speicherung des Versichertenfotos. Dieses würde benötigt, wenn die Gesundheitskarte mal verloren geht.
Vor Gericht forderte der Versicherte nun, dass die Kasse sich verpflichtet, zukünftig zugesandte Fotos nicht zu speichern.
Das Sozialgericht gab dem Mann nun in seinem Urteil vom 27. Juni 2017 recht. Um eine elektronische Gesundheitskarte ausstellen zu können, müssten Versicherte neben ihren Stammdaten zwar grundsätzlich auch ein „aktuelles Foto“ mit übersenden. Eine Speicherung von Sozialdaten, worunter auch das Lichtbild zählt, sei aber nur zulässig, wenn diese für die Zwecke der Krankenversicherung erforderlich sind.
Nach Ausstellung der Gesundheitskarte benötige die Krankenkasse das Bild aber nicht mehr. Es diene allein dem Zweck, dass beim Arzt die Identität des Versicherten auf einen Blick überprüft werden kann. Eine dauerhafte Speicherung auf Vorrat sei nicht erforderlich. Sie würde daher dem Gebot der Datenvermeidung und -sparsamkeit widersprechen und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen. Benötige der Versicherte eine neue Gesundheitskarte, könne er problemlos ein neues und aktuelles Foto einreichen.
Eine vorübergehende Speicherung müssten Versicherte aber hinnehmen, so das Sozialgericht mit einem Verweis auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 18. November 2014 (Az.: B 1 KR 35/13 R; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Darin hatten die Kasseler Richter die elektronische Gesundheitskarte und die damit verbundene Speicherung von Sozialdaten gebilligt.
Seit Einführung der elektronischen Gesundheitskarte haben sich Gerichte mit zahlreichen Klagen kritischer Versicherter auseinandersetzen müssen. So können nach einem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württembergs vom 24. Januar 2017 Versicherte auch aus religiösen Gründen nicht eine Gesundheitskarte ohne Foto verlangen (Az.: L 11 KR 3562/16; JurAgentur-Meldung vom 3. April 2017). Allenfalls könnten bestimmte Modifikationen zugelassen werden, wie eine Ausnahme vom Verbot der Kopfbedeckung.
Auch müsse die Krankenkasse nicht die angefallenen Passfotokosten für die Gesundheitskarte übernehmen, so das LSG Rheinland-Pfalz in einem Beschluss vom 20. März 2014 (Az.: L 5 KR 32/14 NZB).
Auch wenn die Krankenkassen die Erforderlichkeit des Fotos auf der Gesundheitskarte zur späteren Identitätsfeststellung betonen, wird bei den eingesandten Fotos offenbar nicht immer so genau hingesehen. So geriet die Berliner BKK VBU in die Schlagzeilen, weil sie das von einem Versicherten eingesandte Foto problemlos auf dessen Gesundheitskarte druckte. Auf dem Konterfei war das Krümelmonster aus der Sesamstraße zu sehen. fle/mwo/fle
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