LSG Stuttgart sieht deutliche Gebrauchsvorteile für zwei MS-Kranke
Die gesetzlichen Krankenkassen müssen Versicherten mit einer nervlichen Gehstörung ein elektronisch gesteuertes „Fußheber-System“ bezahlen. Es kommt hier allein auf die Vorteile für den Versicherten an, wie das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in zwei am Dienstag, 26. Juni 2018, bekanntgegebenen Urteilen entschied (Az.: L 4 KR 531/17 und L 11 KR 1996/17). Eine positive Empfehlung des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sei nicht erforderlich.
Damit gab das LSG zwei Frauen recht, die jeweils vor etwa 15 Jahren an Multipler Sklerose (MS) erkrankt sind. Dies ist eine chronische Entzündung, die die Schutzschicht der Nervenfasern angreift. Häufig werden dadurch die Nervenimpulse auf die Muskeln beeinträchtigt und so auf Dauer die Muskeln geschwächt. Die Zahl der Erkrankungen in Deutschland wird auf gut 200.000 geschätzt.
Den beiden Klägerinnen hatten ihre Ärzte das elektronische Fußheber-System „Ness L300“ verordnet. Das Gerät des US-Herstellers Bioness wird mit einer Manschette oben an der Wade angebracht. Eine Software analysiert die Bewegungsabläufe und auch die Beschaffenheit des Bodens. Daraus berechnet es elektrische Impulse, die drahtlos an den Fußheber-Muskel im vorderen Schienbein gesendet werden. Die Kosten lagen 2015 bei 5.500 Euro plus Zusatzkosten, etwa für eine Einweisung. Nach Herstellerangaben eignet sich das Gerät auch bei anderen Nervenstörungen, etwa nach einem Schlaganfall oder bei Verletzungen des Rückenmarks.
Für die beiden MS-kranken Frauen lehnten die Krankenkassen es ab, die Geräte zu bezahlen. Sie verwiesen auf herkömmliche Hilfsmittel wie Bandagen und Orthesen. Für das elektronische Fußheber-System „Ness L300“ gebe es noch keine positive Empfehlung des G-BA. Dieses aus Ärzten und Krankenkassen gebildete Gremium entscheidet, welche Behandlungsmethoden die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen.
Doch hier diene das Gerät „nicht der eigentlichen Krankenbehandlung, sondern hat als Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich das Ziel, die Gehfähigkeit und Mobilität zu verbessern“, betonte nun das LSG Stuttgart. Hierfür sei eine positive Entscheidung des G-BA nicht erforderlich. Auch müssten sich hier Versicherte nicht auf kostengünstigere aber weniger wirksame Hilfsmittel verweisen lassen. Vielmehr bestehe ein „Anspruch auf einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts“.
Mit Urteil vom 15. Juni 2018 zeigte sich der 4. und am 19. Juni 2018 der 11. Senat des LSG Stuttgart überzeugt, „dass das neue Fußheber-System entscheidende Verbesserungen für die Gehfähigkeit und Mobilität der Versicherten mit sich bringt und daher die Versorgung erforderlich und gerechtfertigt ist“. Beide Senate stützten sich dabei auf Videodokumentationen, die im ersten Fall schon die Krankenkasse und im zweiten das LSG in Auftrag gegeben hatte. mwo/fle
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