Krankenkassen schlagen Alarm: Kassenpatienten müssen sich auf steigende Kosten gefasst machen
01.08.2011
Die gesetzlichen Krankenkassen rechnen mit steigenden Beiträgen der Versicherten. Bei Umsetzung der Gesundheitsreform hatte die schwarz-gelbe Koalition versprochen, mit einem Sozialausgleich Mehrbelastungen durch Zusatzbeiträge abzufedern. Doris Pfeiffer, Vorsitzende des Bundesverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), sagte in einem Interview mit der Zeitung „Die Welt“ (Sonntagsausgabe), die Versicherten müssen aber bald den Sozialausgleich selbst bezahlen. Versprochen hatte seinerzeit der damalige Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), dass der Sozialausgleich aus dem Bundeshaushalt mittels Steuergelder finanziert werde. Nun aber werde ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, das gegen den ländlichen Ärztemangel wirken soll. Das neue Gesetz verursacht nach Angaben der Kassen „Neuausgaben in Milliardenhöhe“.
Steuerfinanzierung des Sozialausgleichs ausgehebelt
Der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will die neue Gesetzesvorlage hierfür dem Kabinett vorlegen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte im Vorfeld durchgesetzt, dass der Steuerzuschuss für den Sozialausgleich gekürzt bzw. begrenzt werden soll. Schäuble befürchtet, dass die speziellen Programme zur Ärzteförderung enorme Geldsummen verschlingt. Schon jetzt sind die Förderprogramme teurer, als zunächst errechnet. Wie die Krankenkassen ist auch der Finanzminister skeptisch darüber, ob der Gesundheitsminister die Folgekosten richtig einschätzt. Daher will Schäuble dafür sorgen, dass die Ausgabeseite beim neuen Versorgungsgesetz abgefedert werden. „Mit dieser Schutzklausel für den Bund wird die Steuerfinanzierung des Sozialausgleichs ausgehebelt – zumindest für den Teil, der durch höhere Ausgaben für Ärzte entsteht“, sagte die Krankenkassenvertreterin gegenüber der Welt. Denn das Gesundheitsministerium äußert sich bislang nicht zu der Frage, woher denn das Geld nun kommen soll. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangte auch der Vorstandschef des Verbands der Ersatzkassen, Thomas Ballast. „Am Ende zahlen die Versicherten den Sozialausgleich zumindest teilweise selbst.“ Ballast ließ seinen Unmut freien Lauf. Für ihn sind sogar die Umsetzungspläne der schwarz-gelben Bundesregierung gescheitert. Diese hatte anvisiert, die Kassenbeiträge über die Zusatzbeiträge Einkommensunabhängig zu gestalten.
Versorgungsgesetz gegen Ärztemangel
Das eigentliche Ziel des Gesundheitsministers ist, mit dem neuen Versorgungsgesetz den vielerorts existierenden Ärztemangel zu beseitigen. In der Tat ist die Arztdichte auf dem Land im Verhältnis zu den Einwohnerzahlen weitaus geringer. Allerdings existiert in den Städten zumeist eine medizinische Überversorgung. Vor allem in Gegenden mit hohen Einkommensstrukturen sind viele Ärzte nebeneinander überproportional angesiedelt. Um dieses Problem zu begegnen schlagen die Kassen eine Begrenzung der städtischen Kassenzulassungen vor. So soll erreicht werden, dass Ärzte sich eher auf dem Land niederlassen. Statt dessen will Bundesgesundheitsminister Bahr Ärzten, die auf dem Land tätig sind und viele Menschen versorgen müssen, einen Zuschlag gewähren. Zudem sollen die Ärztehonorare nach Region und nicht mehr zentral verhandelt werden, damit Landärzte und Zahnärzte auf dem Land höhere Finanzmittel erhalten. Die Kosten für die Ärzteanreize sollen rund 200 Millionen Euro pro Jahr betragen. Nach Berechnungen des Gesundheitsministeriums werden die Mehrausgaben durch eine geringere Anzahl von Klinikeinweisungen ausgeglichen. Konkrete Berechnungen hierzu hat das Ministerium allerdings nicht veröffentlicht. In der Gesetzesvorlage heißt es lapidar, man gehe von einem „erheblichen nicht quantifizierbaren Umfang" aus. Mit anderen Worten, man weiß es nicht, wie hoch die Entlastung sein wird. Die zusätzlichen Ausgaben speziell für Zahnmediziner sollen zudem noch einmal gut 120 Millionen Euro jährlich kosten.
Nach dem der Finanzminister die Vorlage gelesen hatte, setzte dieser fest, dass die Umsetzungen in zwei Jahren überprüft werden müssen. 2014 soll noch einmal nachgemessen werden, ob eine tatsächliche Wirkung erzielt werden konnte und ob die Ausgaben mit den geplanten Einsparungen im Bereich der Klinikeinweisungen übereinstimmen. Zusätzlich hat der Bundesfinanzminister eine Regel mit in die Vorlage verankert. Dort steht, dass der Bundeshaushalt keinen höheren Sozialausgleich bezahlen wird, wenn die Pläne von Bahr Mehrausgaben verursache und aus diesem Grund die Krankenkassen höhere Zusatzbeiträge von den Versicherten verlangen müssen. Demnach so die Befürchtung der Krankenkassen, müssen die Versicherten für die zusätzlichen Anreize der Ärzte mit höheren pauschalen Beiträgen in Form von Zusatzbeiträgen zur Kasse gebeten werden.
Sozialausgleich soll nicht angepasst werden
Im Zuge der Gesundheitsreform war aber vereinbart worden, dass bei steigenden Zusatzbeiträgen auch der Sozialausgleich steigt, damit untere Einkommensgruppen entlastet werden. Müssen nun Zusatzbeiträge aufgrund des Versorgungsgesetzes eingerichtet, soll der Sozialausgleich laut Vorlagentext nicht steigen. Das Bundesgesundheitsministerium versteht indes die ganze Aufregung nicht. Man verweist auf den genauen Gesetzestext. Dort stehe, dass eine Kürzung des Sozialausgleichs erst ein Jahr später, als 2015 greife. Bereits 2014 soll zu dem sowieso neu über die Höhe des sozialen Ausgleichs verhandelt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen die zwei Milliarden einkalkulierten Finanzmittel ausreichen. Und falls das neue Gesetz höhere Kosten produziere, seien die Auswirkungen geringer, als von den Krankenkassen propagiert. Demnach heißt die offzielle Stellungnahme des Ministeriums: „Die Bundesregierung plant keine Kürzungen bei dem Sozialausgleich“, wie ein Sprecher verkündete. Und: „Der Sozialausgleich wird weiterhin aus Steuergelder beglichen.“
Krankenkassen kritisieren hohe Ausgabe für Ärzte-Gesetz
Die Krankenkassen können den Worten nicht glauben. Denn nach ihrer Ansicht wird das Versorgungsgesetz nicht nur ein paar Millionen Euro kosten, sondern Ausgaben in Milliardenhöhe. Und weil die schwarz-gelbe Koalition die Lohnnebenkosten so gering wie möglich halten will, werde diese zusätzlich entstandenen Kosten über neu eingeführte Zusatzbeiträge wieder eingeholt. Denn diese sind Einkommensunabhängig und müssen von den Kassenversicherten ohne Arbeitgeberanteil aus eigener Tasche entrichtet werden. Denn die Ausgaben im Gesundheitsbereich steigen durch den medizinische Fortschritt, den immer höher werdenden Ärztehonoraren, den höheren Arzneimittelausgaben und dem demografischen Wandel unabdingbar an. Statt gegen die hohe Arztdichte in den Städten etwas zu unternehmen, werden den Ärzten nur finanzielle Anreize vermittelt, während in woanders eine regelrechte Überversorgung besteht, so die Kritik. Daher sprechen die Krankenkassen auch nicht von einem Arztmangel sondern von einer regionalen Ungleichverteilung. Denn im Ganzen gibt es nicht zu wenig Ärzte, sondern nur zu viele nebeneinander in den Städten. (sb)
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