Tumor „Henry“ – Bloggen gegen Krebs
Wenn bei einem Patienten Krebs diagnostiziert wird, ist dies für die Betroffenen zunächst ein Schock. Vielen ist dann auch unklar, mit wem sie über ihre schwere Erkrankung reden können. Eine Berliner Krebspatientin geht dabei einen außergewöhnlichen Weg: Sie hat ihrem Tumor einen Namen gegeben und macht ihre Krankengeschichte in einem Blog öffentlich.
Diagnose Krebs – Wem und wie sage ich es?
Hunderttausende Menschen in Deutschland erhalten jährlich die Diagnose Krebs. Viele Betroffene haben Angst und fühlen sich zunächst hilflos und sind sich unsicher, wie und mit wem sie über ihre schwere Erkrankung reden sollen. Die Nachrichtenagentur dpa berichtet in einer aktuellen Meldung über Personen, die ihre Krebserkrankung im Internet öffentlich machen. Eine von ihnen ist Janine Schmidt. Als die junge Frau bei Facebook ihr Profilbild änderte, wussten ihre Freunde gleich, was los war: Sie konnten sehen, dass die Berlinerin von heute auf morgen ohne Haare war, also offensichtlich eine Chemotherapie hinter sich hatte.
„Fuck off Henry“
Seitdem bei ihr vor etwa anderthalb Jahren ein handtellergroßer Tumor unterhalb des Brustkorbs festgestellt wurde und sie sich deswegen umgehend einer stationären Therapie unterziehen musste, hatte sie sich zurückgezogen. Die heute 33-Jährige erzählte, dass sie mit dem Bild habe sagen wollen: „Ich hab’s geschafft, das hat mich im vergangenen Jahr bewegt.“ Seit einem Jahr ist sie krebsfrei. Vor ihrer Diagnose hatte sie private Inhalte im Internet eher zurückhaltend geteilt, doch mit dem Posten des Fotos platzte ein Knoten: Die Resonanz darauf, aber auch die nach der Therapie wiedergefundene Kreativität hätten den Ausschlag gegeben für ein eigenes Blog mit dem Titel: „#FUCKOFFHENRY“ („Verpiss dich, Henry“).
Krankengeschichte im Internet öffentlich machen
Durch ihren Blog lässt sie nun die Öffentlichkeit an ihrer Geschichte teilhaben. Auch Fremde lesen und kommentieren ihre Beiträge. Im Rahmen der 6. Berliner Stiftungswoche hält sie am 20. April einen Vortrag mit dem Titel: „Krebs 2.0 – Wann das posten, bloggen und twittern hilft“. Die Berlinerin ist aber längst nicht die einzige, die ihre Krankengeschichte im Netz öffentlich macht. Viele Betroffene, insbesondere aus den USA, nutzen bei Twitter und Facebook den Hashtag „fuckcancer“, um von ihrer Erkrankung oder der ihrer Verwandten zu berichten: Zum Beispiel mit Selfies vom Krankenbett oder Make-Up-Tipps. Der Internet-Vordenker Jeff Jarvis („What would Google do?“) hatte bereits 2009 damit begonnen, über seinen Prostatakrebs zu bloggen. Noch heute muss er sich gegen Kritiker wehren, die ein Übermaß an sehr privaten Inhalten im Netz beklagen.
Struktur in den Alltag bringen
Der 2013 gestorbene deutsche Autor Wolfgang Herrndorf setzte sich ebenfalls auf einem Blog mit seinem Hirntumor auseinander. Der Titel: „Arbeit und Struktur“. Solche Online-Tagebücher können Struktur in den Alltag bringen, wie die Psychologin Elisa Matos May (Berliner Krebsgesellschaft) erklärte. Man könne das Geschehen im Netz mit traditionellen Selbsthilfegruppen vergleichen. „Betroffene fühlen sich verstanden und können sich aussprechen“, so Matos May. Es gilt zudem, dass es umso wichtiger ist, andere Betroffene zu finden, je seltener die Krankheit ist. Dies ist bei Janine Schmidt der Fall. Ihr Krebs, das Non-Hodgkin-Lymphom, der das Lymphsystem befällt und unter anderem Lymphknotenschwellung verursacht, ist sehr selten. Webseiten und Foren sprachen sie ihren eigenen Angaben zufolge nicht an und Mitpatienten waren deutlich älter als sie selbst. „Oft bin ich auf US-Seiten fündig geworden, wo das Thema viel offener in die Gesellschaft getragen wird.“ Sie habe sich vorgenommen, ebenfalls Optimismus zu verbreiten. Nun sammelt sie mit „Fuck off Henry“-T-Shirts und -Abziehtattoos Geld für die Krebsstiftung Berlin.
Im Internet unter Pseudonym kommunizieren
Für Janine Schmidt steht jetzt das gesunde Leben im Mittelpunkt: Gemüse, Obst und Sport gehörten mittlerweile zum Alltag. Hilfreich dabei ist ein Bändchen am Handgelenk, das ihr anzeigt, ob sie sich heute schon genug bewegt hat. Andere Blogger wie etwa der Italiener Federico Viticci protokollieren sämtliche Körperwerte, Mahlzeiten und selbst den Schlaf. Nach einer Chemotherapie ist er überzeugt: Ohne Smartphone kein gesundes Leben. Kritiker solcher Blogs sehen jedoch eine Gefahr darin, viele Daten zu veröffentlichen. Berlins Datenschutzbeauftragter Alexander Dix sagte: „Jeder Patient darf natürlich frei über seine Krankengeschichte verfügen.“ Die Wahl der Plattform sollte aber gut überdacht werden: „Intimität bei Facebook ist eine Illusion.“ Außerdem suchten auch Arbeitgeber im Netz nach Infos über Bewerber. Psychologin Matos May empfiehlt Patienten, im Internet unter Pseudonym zu kommunizieren und Foren auf deren Ziele und Datenschutz zu prüfen. Janine Schmidt, die als Freiberuflerin in der PR-Branche tätig ist, sagte: „Wer weiß, wie es gelaufen wäre, würde ich nicht in der Großstadt leben und in einem konservativen Beruf arbeiten?“ Im Krankenhaus hatte sie sich sogar eine Google-Sperre auferlegt. „Ich habe nur meinen Ärzten vertraut und sie mit Fragen gelöchert.“ (ad)
Bilder: Julien Christ / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
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