Wie bekommen Metastasen Zugang zum Kreislaufsystem?
Wie sich Metastasen mit Hilfe des Blutkreislaufs im Körper ausbreiten, wurde in einer aktuellen Studie aufgedeckt. Die neuen Erkenntnisse könnten in Zukunft dazu beitragen, das Wachstum von Tumoren durch die Blockierung der Bildung neuer Blutgefäße zu hemmen.
In der neuen Studie unter Beteiligung von Forschenden der University of Gothenburg wurde erstmals festgestellt, dass Metastasen bei Menschen mit malignem Melanom nicht nur durch das Einwachsen neuer Blutgefäßverzweigungen Zugang zum Kreislaufsystem erhalten, sondern auch durch einen alternativen Prozess, bei dem sich ein Blutgefäß durch Längsspaltung in zwei parallele Gefäße teilt. Die Ergebnisse wurden in dem englischsprachigen Fachjournal „American Journal Of Pathology“ publiziert.
Wie lässt sich Tumorwachstum hemmen?
Die in der neuen Studie festgestellten Ergebnisse könnten dazu führen, dass eine alte Forschungsidee wieder aufgegriffen wird, wonach das Wachstum von Tumoren durch die Blockierung der Bildung neuer Blutgefäße gehemmt werden kann, berichten die beteiligten Fachleute.
Tumore benötigen wie alle anderen Organe einen Zugang zum Blutkreislauf, damit sie wachsen können. Nach Aussage des Teams kam der amerikanische Arzt Judah Folkman bereits vor fünfzig Jahren zu dem Schluss, dass Krebszellen in der Lage sind, den Körper zu überlisten, indem sie Moleküle absondern, welche das Wachstum neuer Blutgefäße anregen, damit der Tumor Zugang zum Kreislaufsystem erhält.
Rolle des Vascular Endothelial Growth Factor
Folkman vermutete damals weiter, dass Tumore ohne Zugang zu Blutgefäßen nie größer als etwa einen Millimeter im Durchmesser werden können. Es folgte jahrelange intensive Forschung, welche schließlich in der 1990er Jahren dazu führte, dass der sogenannte Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) als der Wachstumsfaktor identifiziert wurde, der benachbarten Blutgefäßen signalisiert, dass sie einen neuen Zweig bilden sollen.
So wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Blockierung von VEGF das Wachstum aller soliden Krebstumore stoppen würde. Die Hoffnung, dass dies ein Heilmittel für alle Krebsarten mit soliden Tumoren darstellen könnte, bestätigte sich jedoch nicht, da Medikamente zur Blockierung des Wachstumsfaktors bei den meisten Krebsarten keine oder lediglich eine begrenzte Wirkung erzielten, berichtet das Team.
Blutgefäße können sich in Längsrichtung teilen
Mitte der 1980er Jahre bewiesen Forschende aus der Schweiz bei einer Untersuchung, wie neue Verästelungen aus einem Blutgefäß herauswachsen und dass sich Blutgefäße auch in Längsrichtung teilen können (intussuszeptive angiogenesis). Bereits seit langem sei bekannt, dass Blutgefäße mit neuen Verzweigungen wachsen können, aber die intussuszeptive Angiogenese bleibe noch immer relativ unbekannt, so das Forschungsteam.
In ihrer umfangreichen aktuellen Untersuchung haben die Fachleute Bilder von fast 10.000 Gefäßen in metastatischen Proben von Menschen mit malignem Melanom analysiert. So konnten sie zeigen, dass die intussuszeptive Angiogenese bei Metastasen des malignen Melanoms auftritt.
Verbindung intravaskulärer Säulen mit Gefäßteilung
„Es hat lange gedauert, bis wir die Bilder von den Metastasen der Patienten sorgfältig durchgesehen haben, um die kleinen Strukturen zu finden, die darauf hinweisen, dass sich die Blutgefäße teilen. Wir haben nach kleinen intravaskulären Säulen in den Gefäßen gesucht, die kurz vor der Teilung des Gefäßes auftreten. Die Säulen sind extrem klein, nur ein Zwanzigstel der Dicke eines Haares“, erläutert Studienautorin Ankur Pandita von der University of Gothenburg in einer Pressemitteilung.
Alternativer Zugang zu Blutgefäßen für Tumore
Die Tatsache, dass Tumore einen alternativen Zugang zu Blutgefäßen haben, könne erklären, warum VEGF-Inhibitoren bei den meisten Tumoren unwirksam sind, fügt Studienautor Dr. Max Levin hinzu. Die intussuszeptive Angiogenese sei eine wirksame Methode, mit deren Hilfe sich Blutgefäße in einem Gewebe ausbreiten können. In weniger als einer Stunde habe ein Blutgefäß bereits spezielle Säulen gebildet, welche es auf die Teilung vorbereiten, so der Experte.
Durch die Kombination von Epifluoreszenz- und konfokaler Mikroskopie konnte das Team die Säulen im Inneren der Gefäße in den Tumorproben sichtbar machen. Mit Hilfe der RNA-Sequenzierung versuchten die Fachleute schließlich Faktoren zu identifizieren, welche für die Teilung von Blutgefäßen erforderlich sind.
Was beeinflusst Auflösung von Blutgefäßwänden?
Ein Teil einer Gruppe von Enzymen, welche als Matrix-Metalloproteinasen (MMPs) bezeichnet werden, scheint eine wichtige Rolle bei der Auflösung von Blutgefäßwänden zu spielen, wodurch sich Gefäße der Länge nach teilen können, so die Forschenden.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die intussuszeptive Angiogenese zum Wachstum von Tochtergeschwülsten bei Patienten mit metastasiertem malignem Melanom beiträgt”, erklärt Studienautor Dr. Levin.
Wachstum von Metastasen durch MMP-Inhibitoren stoppen?
Es gibt laut dem Mediziner heutzutage bereits Arzneimittel, die MMP-Proteine hemmen, sogenannte MMP-Inhibitoren, welche in experimentellen Modellen die Bildung intravaskulärer Säulen verhindern. Diese Medikamente haben nach Ansicht des Experten durchaus Potenzial zur Verhinderung von Metastasen.
In Zukunft plant das Team mit der Hilfe von neuen Techniken die Genexpression in den intravaskulären Säulen genauer zu untersuchen. So wollen die Forschenden herauszufinden, welche Proteine und Signalwege das Startsignal für die intussuszeptive Angiogenese liefern. Zusätzlich arbeitet die Forschungsgruppe bereits daran, in einem Modell von Mäusen maligne Melanome zu identifizieren, bei denen die intussuszeptive Angiogenese zum Tumorwachstum beiträgt. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Ankur Pandita Matias Ekstrand Sara Bjursten Zhiyuan Zhao Per Fogelstrand, et al.: Intussusceptive Angiogenesis in Human Metastatic Malignant Melanoma; in: American Journal Of Pathology (veröffentlicht 13.08.2021), American Journal Of Pathology
- University of Gothenburg: Metastases use divided blood vessels to grow (veröffentlicht 27.10.2021), University of Gothenburg
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.