Krebs: Protein hemmt die Ausbreitung der Erkrankung
Laut Fachleuten erkranken in Deutschland jedes Jahr rund eine halbe Million Menschen neu an Krebs. Viele Krebserkrankungen können – soweit sie frühzeitig entdeckt werden – erfolgreich behandelt werden. Schwieriger wird dies, wenn sich Krebszellen aus dem ursprünglichen Tumor gelöst und Ableger gebildet haben. Forschende haben nun aber ein Protein entdeckt, dass die Bildung von solchen Metastasen unterdrückt.
Wenn sich Tumore ausbreiten, wandern Krebszellen über die Blut- oder Lymphgefäße in andere Teile des Körpers. Forschende vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben jetzt ein neues Protein entdeckt, das Krebszellen an der Ausbreitung hindert. Dieses sorgt dafür, dass die Krebszellen fester an ihrer Umgebung haften. Die in dem Fachjournal „Frontiers in Oncology“ veröffentlichten Ergebnisse könnten in Zukunft dabei helfen, die Aggressivität eines Tumors einzuschätzen und die Therapie entsprechend anzupassen.
Protein namens MFSD1
Warum sich bei manchen Krebs-Patientinnen und -Patienten Metastasen bilden und bei anderen nicht, ist weitgehend unklar. Wie es in einer Mitteilung heißt, tragen Forschende um ISTA-Professorin Daria Siekhaus nun dazu bei, diesen Prozess bei bestimmten Krebsarten besser zu verstehen.
Das Team hat die Rolle eines Proteins namens MFSD1 unter die Lupe genommen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden auf das Protein aufmerksam, als sie herausfanden, dass ein verwandtes Protein die Zellmigration in Fruchtfliegen beeinflusst.
Um herauszufinden, welche Rolle dieses Protein in Säugetieren spielt, erzeugte der Erstautor Marko Roblek aus der Siekhaus-Gruppe Krebszellen von Mäusen, denen das Protein fehlte. Dabei zeigte sich, dass die Zellen ohne das Protein viel schneller wanderten, was darauf hindeutet, dass MFSD1 die Zellen an der Bewegung hindert.
Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Zürich testete das Team seine Theorie an lebenden Mäusen mit Brust-, Darm- und Hautkrebs. „In Abwesenheit von MFSD1 kam es zu einem starken Anstieg der Metastasierung“, erläutert Siekhaus.
Warum niedrigere MFSD1-Werte von Vorteil für den Tumor sind
„Anschließend wollten wir wissen, warum niedrigere MFSD1-Werte für den Tumor von Vorteil sind, abgesehen davon, dass sich Tumorzellen freier bewegen können. Wenn Krebszellen etwa durch das Blut wandern, sind sie großen mechanischen Belastungen ausgesetzt“, sagt Roblek.
Die Forscherinnen und Forscher unterzogen daher Krebszellen mit und ohne dem Protein einem Belastungstest. Roblek versuchte die Zellen von der Oberfläche der Petrischale, in der er sie gezüchtet hatte, mit einem winzigen Gummischaber abzukratzen.
Während die Krebszellen, die MFSD1 enthielten, rasch unter der mechanischen Belastung starben, blieben viele der Zellen ohne das Protein intakt. Tumorzellen, denen das Protein fehlt, könnten laut den Fachleuten also leichter in die Blutbahn gelangen und ihren Weg in andere Teile des Körpers finden.
In einem weiteren Experiment testeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zudem, wie die Krebszellen mit einem Mangel an Nährstoffen umgehen – mit ähnlichem Ergebnis. Hier überlebten ebenfalls die Zellen länger, denen MFSD1 fehlte.
Bestimmte Rezeptoren werden beeinflusst
Die Forschenden konnten zeigen, dass die Reaktion der Zelle sowohl auf Nährstoffmangel als auch auf mechanische Belastung durch das Protein MFSD1 verursacht wird, indem es bestimmte Rezeptoren an der Zelloberfläche beeinflusst.
Den Angaben zufolge sorgen diese sogenannten Integrine dafür, dass die Zellen aneinander und an der extrazellulären Matrix, einem dichten Netz, das die Zellen in unserem Körper umgibt, haften. In einem ständigen Kreislauf produziert die Zelle diese Rezeptoren, transportiert sie an die Zelloberfläche und dann wieder ins Innere der Zelle zurück.
Wenn einer Tumorzelle MFSD1 fehlt, kann sie eine bestimmte Art von Integrin nicht recyceln. „Das hat zur Folge, dass die Zellen weniger am umgebenden Gewebe und aneinander haften, wodurch sie leichter wandern können“, erklärt Siekhaus.
Schlechtere Prognose bei niedrigerem MFSD1-Spiegel
Die Ergebnisse des Forschungsteams werden auch von Patienten- und Patientinnendaten gestützt, die von Rita Seeböck vom Universitätsklinikum St. Pölten, Österreich, analysiert wurden. Diese Daten, die Forschenden in anonymisierter Form online zur Verfügung stehen, zeigten eine Zusammenhang zwischen der MFSD1-Menge und der Prognose der Krebskranken.
„Wir haben gesehen, dass Patientinnen und Patienten mit bestimmten Formen von Brust-, Magen- und Lungenkrebs, die einen niedrigeren MFSD1-Spiegel aufwiesen, eine schlechtere Prognose hatten. Ein hoher MFSD1-Spiegel scheint zu schützen – er unterdrückt Tumormetastasierung“, so Krebsforscher Roblek.
Bereits heute analysieren Ärztinnen und Ärzte bestimmte Gene, um die Therapie für ihre Patientinnen und Patienten zu optimieren. Jetzt können sie auch nach dem Gen suchen, das für das Protein MFSD1 kodiert: „Wenn sich dieser Marker weiter etabliert, können Mediziner:innen ihn nutzen, um die Aggressivität des Krebses zu klassifizieren und zwischen verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten zu entscheiden“, sagt Siekhaus.
In zukünftigen Studien wollen die Forschenden genauer untersuchen, wie das Protein auf molekularer Ebene funktioniert. Eine spannende Frage ist zum Beispiel, ob eine künstliche Erhöhung des MFSD1-Spiegels dazu beitragen könnte, die Ausbreitung bestimmter Tumoren zu unterdrücken. Dies könnte langfristig zu neuen Behandlungsmethoden gegen Krebs führen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Institute of Science and Technology Austria: Protein hemmt Ausbreitung von Krebs, (Abruf: 08.02.2022), Institute of Science and Technology Austria
- Roblek M, Bicher J, van Gogh M, György A, Seeböck R, Szulc B, Damme M, Olczak M, Borsig L & Siekhaus D: The Solute Carrier MFSD1 Decreases the Activation Status of β1 Integrin and Thus Tumor Metastasis; in: Frontiers in Oncology, (veröffentlicht: 08.02.2022), Frontiers in Oncology
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.