Entstehung von Darmkrebs durch Impfung hinausgezögert
Es ist lange bekannt, dass bestimmte Risikofaktoren wie Übergewicht, Alkohol- und Tabakkonsum das Risiko für Darmkrebs erhöhen können. Ein Teil aller Darmkrebspatientinnen und -patienten hat allerdings eine genetische Anlage für diese Erkrankung. Forschende haben nun eine Impfung gegen erblichen Darmkrebs erfolgreich an Mäusen getestet.
Im vergangenen Jahr berichtete ein Forschungsteam über eine Impfung, die in Zukunft die Entstehung bestimmter Krebsformen verhindern könnte. Die Rede war damals unter anderem von bestimmten Formen von Darmkrebs. Eine solche Impfung wurde nun erfolgreich im Tiermodel getestet.
Verlängerte Lebensdauer
Laut einer aktuellen Mitteilung konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und vom Universitätsklinikum Heidelberg erstmals die Entstehung von erblichem Darmkrebs mit einer Schutzimpfung hinauszögern.
Den Angaben zufolge überlebten Mäuse mit einer erblichen Veranlagung für Darmkrebs nach Impfung signifikant länger als ungeimpfte Artgenossen.
Eine Kombination der Impfung mit einem entzündungshemmenden Medikament steigerte den Schutzeffekt sogar noch.
Vom Immunsystem als fremd erkannt
Wie in der Mitteilung erklärt wird, ist bei den sogenannten Mikrosatelliten-instabilen Krebsarten ein wichtiges zelluläres Reparatursystem ausgefallen, das normalerweise kleine Fehler im Erbgut korrigiert.
Wenn solche DNA-Defekte unkorrigiert bleiben, kann die gesamte Bauanleitung des Proteins aus dem Takt geraten. Dann bilden die Zellen neuartige Eiweißstrukturen, sogenannte Neoantigene, die vom Immunsystem häufig als fremd erkannt werden.
Mikrosatelliten-instabile (MSI) Tumoren können spontan entstehen oder auch als Folge einer erblichen Veranlagung, dem Lynch-Syndrom. Rund ein Viertel der MSI-Darmtumoren werden durch das Lynch-Syndrom verursacht. Etwa die Hälfte der Betroffenen erkrankt im Laufe des Lebens dann an Krebs.
Beurteilung erst in einigen Jahren
Ein wissenschaftliches Team unter der Leitung von Magnus von Knebel Doeberitz, der eine sowohl am Universitätsklinikum Heidelberg als auch am DKFZ angesiedelte Abteilung leitet, konnte in langjährigen Vorarbeiten zeigen, dass bei vielen Patientinnen und Patienten mit Lynch-Syndrom identische Mutationen und damit auch identische Neoantigene im Tumor auftreten.
„Wir wollten daher prüfen, ob solche häufig vorkommenden Neoantigene in der Lage sind, als Schutzimpfung das Immunsystem gegen die Tumorzellen zu aktivieren und so zu verhindern, dass Krebs entsteht“, erläutert Matthias Kloor, der die Forschung zu präventiven Impfungen beim Lynch-Syndrom leitet.
Eine von den Heidelberger Forschenden initiierte klinische Studie der Phase I/IIa zu Sicherheit und immunologischer Wirksamkeit einer solchen Impfung wurde bereits am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt erfolgreich abgeschlossen.
Ob diese Impfung tatsächlich Tumoren verhindern und das Überleben der Patientinnen und Patienten verlängern kann, wird aber erst in einigen Jahren beurteilt werden können.
Meilenstein auf dem Weg zur Krebsimpfung
Doch das Team um von Knebel Doeberitz und Kloor konnte schon jetzt einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Krebsimpfung erreichen.
Mit ihrer aktuellen, in dem Fachjournal „Gastroenterology“ veröffentlichten Arbeit zeigen die Forschenden erstmals an einem Tiermodell, dass eine Schutzimpfung mit MSI-typischen Neoantigenen tatsächlich vor Krebs schützen kann.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten dazu einen Mausstamm, der in Folge eines Defekts der DNA-Reparaturenzyme Darmkrebs entwickelt – vergleichbar mit Menschen, die am Lynch-Syndrom leiden. Ab einem Alter von sechs Monaten entwickeln die „Lynch-Mäuse“ Tumoren im Darm, wenige Wochen oder Monate später versterben sie daran.
In Zusammenarbeit mit Steven Lipkin vom Weill Cornell Medical College in New York sowie Kolleginnen und Kollegen aus weiteren US-amerikanischen Forschungseinrichtungen identifizierte das Heidelberger Team bei den Lynch-Mäusen verschiedene Proteinstrukturen, die als Folge der DNA-Defekte auftreten.
Ein spezieller Algorithmus sagte voraus, welche dieser Neoantigene eine starke Immunantwort der Tiere auslösen können. Schließlich wurden für die Versuche vier Impfpeptide ausgewählt.
Geimpfte Mäuse überlebten deutlich länger
Laut den Fachleuten überlebte die geimpften Mäuse im Durchschnitt 351 Tage, ungeimpfte Tiere dagegen nur 263 Tage. Auch die Tumormasse fiel bei den geimpften Tieren demnach deutlich geringer aus.
Wenn die Mäuse zusätzlich zur Impfung das Medikament Naproxen enthielten, so steigerte dies den präventiven Effekt der Impfung weiter. Naproxen ist ein Entzündungshemmer und Schmerzmittel, das wie auch Aspirin zur Gruppe der nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) gehört. Wirkstoffe aus dieser Gruppe werden bei Erkrankten mit Lynch-Syndrom bereits in einigen Ländern zur Chemoprävention von Darmkrebs empfohlen.
„Auch in ungeimpften Lynch-Mäusen haben wir gesehen, dass das Immunsystem gegen die vier Neoantigene aktiv ist“, sagt Magnus von Knebel Doeberitz. „Unsere Schutzimpfung verstärkt also eine ohnehin vorhandene natürliche Immunreaktion gegen die Krebszellen“, so der Forscher.
„Wir konnten zum ersten Mal in einem lebenden Organismus nachweisen, dass eine Impfung mit Neoantigenen vor Krebs schützt“, hebt Matthias Kloor und fügt an: „Besonders vielversprechend ist, dass sich Immunschutz und Prävention mit einem Entzündungshemmer offenbar in ihrer Wirkung ergänzen.“
Laut dem Wissenschaftler zeigen die Ergebnisse, „dass die Impfung gegen erbliche Krebserkrankungen ein erfolgversprechendes Konzept ist, das wir nun weiter in die klinische Anwendung übertragen wollen.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsches Krebsforschungszentrum: Impfung gegen erblichen Darmkrebs bei Mäusen erfolgreich, (Abruf: 27.07.2021), Deutsches Krebsforschungszentrum
- Gebert J, Gelincik, Oezcan-Wahlbrink M , Marshall JD, Hernandez-Sanchez A, Urban K , Long M, Cortes E, Tosti E, Katzenmaier EM , Song Y, Elsaadi, Deng N, Vilar E, Fuchs V , Nelius N , Yuan YP, Ahadova A , Sei S, Shoemaker RH, Umar A, Wei L, Liu S, Bork P , Edelmann W, von Knebel Doeberitz M , Lipkin SM, Kloor M: Recurrent Frameshift Neoantigen Vaccine Elicits Protective Immunity With Reduced Tumor Burden and Improved Overall Survival in a Lynch Syndrome Mouse Model; in: Gastroenterology, (veröffentlicht: 02.07.2021), Gastroenterology
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.