Krebs: Was die Immunabwehr hemmt
In den vergangenen Jahren haben Immuntherapien im Kampf gegen Krebs zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sie sollen die körpereigene Immunabwehr gezielt unterstützen oder aktivieren, um Krebszellen aufzuspüren und anzugreifen. Forschende berichten nun, wie solche Behandlungen effizienter werden können.
Normalerweise beseitigen T-Zellen kranke Körperzellen sehr effektiv. Doch bei Tumorzellen versagen sie anscheinend. Forschende vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) beschreiben jetzt in der Fachzeitschrift „JCI Insight“, was die Immunabwehr hemmt, wie sie diese Bremse lösen und die Immunantwort bei Krebs stärken können.
Immunantwort gegen Krebs dauerhaft stärken
Wie es in einer aktuellen Mitteilung des MDC heißt, sind T-Zellen das Räumkommando des Immunsystems: Sie patrouillieren ständig durch Blut, Lymphsystem, Gewebe und Organe. Wenn sie auf Zellen stoßen, die von Krankheitserregern befallen oder beschädigt sind, beseitigen sie diese.
Sie können auch Krebszellen erkennen und vernichten. Doch Tumorzellen entwickeln Strategien, um sich dieser Abwehr zu entziehen. Deshalb arbeiten weltweit Krebsforscherinnen und -forscher daran, diese Ausweichmanöver unmöglich zu machen und T-Zellen für gezielte Immuntherapien gegen Krebs zu nutzen.
Die Arbeitsgruppen von Dr. Armin Rehm und Dr. Uta Höpken am MDC in Berlin haben nun einen Mechanismus identifiziert, mit dem Tumorzellen die körpereigene Immunabwehr umgehen. „In vielen Tumoren lesen die Zellen besonders oft das Gen EBAG9 ab. Die Krebszellen bilden deshalb ein Protein, das sie einerseits selbst schützt“, erklärt Rehm.
„Auf der anderen Seite hat EBAG9 auch Einfluss auf Zellen des Immunsystems, denn T-Zellen stellen EBAG9 ebenfalls her. In den T-Zellen verhindert EBAG9 die Abgabe von Enzymen, die als Zellgift wirken und Tumorzellen abtöten“, so der Wissenschaftler.
In ihrer Veröffentlichung beschreiben die Forschenden, wie sie in Mäusen diese Bremse gelöst haben. „Wir haben das EBAG9-Gen stillgelegt“, erläutert Co-Erstautorin Dr. Anthea Wirges aus Rehms Forschungsgruppe. „So konnten wir verhindern, dass EBAG9 in den T-Zellen entsteht, und damit die Immunantwort gegen Krebs dauerhaft stärken.“
Ohne EBAG9 funktioniert das Immunsystem besser
Es ist bekannt, dass Krebszellen Immunzellen ausbremsen können. Darauf beruhen Immuntherapien mit Checkpoint-Inhibitoren, die schon in der Klinik verwendet werden. Wie in der Mitteilung erklärt wird, machen es die Checkpoint-Inhibitoren den Krebszellen schwer, sich als „ungefährlich“ zu maskieren und so den T-Zellen zu entkommen.
„Mit EBAG9 haben die Krebszellen aber einen zusätzlichen Schutz vor dem Immunsystem“, so Rehm. „EBAG9 entwaffnet die T-Zellen und drosselt die Ausschüttung von Stoffen, die ihnen schaden würden.“
Die beiden Forschenden hegen schon lange den Verdacht, dass EBAG9 die T-Zellen ausbremst. Bereits 2009 etablierte Rehms Team ein Mausmodell, bei dem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Gen für EBAG9 ausschalteten.
„Ohne EBAG9 funktionierte das Immunsystem der Tiere besser und sie konnten sich gegen Infektionen wesentlich effizienter zur Wehr setzen“, erläutert Rehm. Das Team von Uta Höpken kreuzte die Mäuse ohne EBAG9 dann mit einem weiteren genetisch veränderten Mausmodell, welches spontan Leukämie entwickelt.
„Wir haben diese doppelt genveränderten Mäuse über einen langen Zeitraum beobachtet“, sagt Höpken. „Bei ihnen entwickeln sich die Tumore deutlich langsamer als in den Mäusen mit EBAG9.“
Nicht wie bei Infektionen
Anthea Wirges überprüfte die Effekte des EBAG9-Gens auf die T-Zellen mithilfe von Einzelzell-RNA-Sequenzierung und bioinformatischen Methoden. Anhand der Daten konnten die Forscherinnen und Forscher nicht nur bestätigen, dass EBAG9 die T-Zellantwort hemmt. Das Team fand auch heraus, dass die Immunreaktion bei Krebserkrankungen anders abläuft als bei Infektionen.
„Das Wissen darüber, wie das Immunsystem ein Gedächtnis aufbaut, stammt aus Infektionsversuchen. Dies kann nicht 1:1 auf Tumore übertragen werden“, so Rehm. T-Zellen erkennen kranke oder infizierte Zellen an Signalmolekülen auf deren Oberfläche. Wenn sie solche schädlichen Strukturen identifizieren, differenzieren sie in zytotoxische T-Zellen und T-Gedächtniszellen.
Die zytotoxischen T-Zellen schütten Proteine aus, die die Membranen der erkrankten Zellen durchlöchern, in sie eindringen und vergiften, so dass sie dann absterben. Zudem produzieren infizierte Gewebe entzündliche Botenstoffe, etwa Zytokine, die noch mehr T-Zellen herbeirufen und die Ausreifung der T-Zellen zu T-Gedächtniszellen steuern.
Die Gedächtniszellen speichern die Immunantwort ab, so dass das Immunsystem nicht jedes Mal von vorn anfangen muss, wenn T-Zellen auf erkrankte Zellen stoßen.
Minimale Unterschiede reichen aus
Tumore im frühen Stadium gehen aber nicht mit einer Entzündung einher. Bislang wurde davon ausgegangen, dass dies daran liegt, dass T-Zellen Tumorzellen nicht gut identifizieren können. „Als körpereigene Zellen weisen Tumorzellen nur ganz wenige Oberflächenmoleküle auf, die als fremde Strukturen erkennbar sind“, erklärt Uta Höpken.
Aber offenbar reichen den T-Zellen diese minimalen Unterschiede aus, um Tumorzellen aufspüren zu können. Denn nachdem die Forschenden EBAG9 ausgeschaltet hatten, kam es zu einer überwältigenden Abbaureaktion.
„Die enthemmten T-Zellen beseitigen Tumorzellen sehr früh und sehr radikal“, so Rehm. Auch dauerhaft baut sich so ein Schutz vor Tumorzellen auf. „Je heftiger die T-Zellen am Anfang reagieren, umso besser fällt das T-Zellgedächtnis im Anschluss aus“, sagt der Experte.
„Basierend auf diesen Ergebnissen wollen wir nun CAR-T-Zellen ohne die Immunbremse EBAG9 für eine Immuntherapie gegen Blutkrebs entwickeln“, erläutert Anthea Wirges. CAR steht für chimärer Antigen-Rezeptor – ein künstlich geschaffener Rezeptor, der Tumorzellen aufspürt und der in patienteneigene T-Zellen integriert wird.
Bekommen die Patientinnen und Patienten eine Infusion mit den CAR-T-Zellen, können diese den Krebs bekämpfen. Die MDC-Fachleute gehen davon aus, dass sie ohne EBAG9 noch viel wirkungsvoller sind. Bis zu einer klinischen Studie wird zwar noch etwas Zeit verstreichen. „Wir hoffen aber nicht nur, damit die Therapie von Leukämien und Lymphomen effizienter zu machen. Wir hoffen sogar, diese Krankheiten heilen zu können“, sagt Rehm. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft: Wie die Immuntherapie effizienter werden kann, (Abruf: 13.06.2022), Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
- Armin Rehm et al: EBAG9 controls CD8+ T cell memory formation responding to tumor challenge in mice; in: JCI Insight, (veröffentlicht: 28.04.2022), JCI Insight
Wichtiger Hinweis:
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