Atomkraftvorfälle: Präventive Einnahme von Jodtabletten?
Der Krieg in der Ukraine sorgt weltweit für große Unruhe. Hierzulande sind nun auch viele Menschen wegen den Atomkraftvorfällen besorgt. In sozialen Medien wird in diesem Zusammenhang manchmal zur Bevorratung mit Jodtabletten geraten. Teilweise kam es in der Folge in Apotheken schon zu Engpässen. Ist die Einnahme solcher Präparate aber wirklich empfehlenswert?
Der Krieg in der Ukraine verunsichert viele von uns. Meldungen über Atomwaffen und unter Beschuss geratene Lager für radioaktive Abfälle sowie Atomkraftwerke lassen die Angst vor einer neuen nuklearen Katastrophe wachsen. Die Einnahme von Jodtabletten ist jedoch keine sinnvolle Prävention und kann Nebenwirkungen haben, schreibt die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein in einer aktuellen Mitteilung.
Mehrere Atomkraftvorfälle
Laut dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) werden seit dem Beginn des Angriffs russischer Truppen auf die Ukraine immer wieder Kampfhandlungen im Zusammenhang mit kerntechnischen Anlagen berichtet.
So sind kürzlich zwei Lager für radioaktive Abfälle in der Ukraine von Granaten getroffen worden. Über Schäden ist bislang aber wenig bekannt. Und im größten ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja im Süden des Landes war nach Beschuss ein Feuer ausgebrochen.
Berichte über eine erhöhte radioaktive Belastung sind derzeit nicht bestätigt. Den Angaben zufolge steht das BfS dazu in engem Austausch mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA).
Präparate sind nicht wirksam
Radioaktive Stoffe wie Cäsium, Strontium oder radioaktives Jod erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Bei einem nuklearen Unfall nimmt der Körper radioaktives Jod wie natürliches Jod auf und lagert es in der Schilddrüse ein, erklärt die Verbraucherzentrale.
Wenn Betroffene zum richtigen Zeitpunkt nicht-radioaktives Jod in Form von hochdosierten Jodtabletten einnehmen, können sie damit eine sogenannte Jodblockade auslösen. Die Schilddrüse wird dabei so gesättigt, dass radioaktives Jod zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr aufgenommen werden kann.
Allerdings sind jodhaltige Nahrungsergänzungsmittel oder Jodtabletten, die zur Behandlung von Schilddrüsenkrankheiten ärztlich verschrieben werden, nicht wirksam. Die Menge an Jod in diesen Präparaten ist viel zu gering, um sie für eine Jodblockade einzusetzen.
Warnung vor Selbstmedikation
„Jodtabletten sollte man auf keinen Fall einfach so einnehmen, sondern nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Katastrophenschutzbehörden und in der angegebenen Dosis“, mahnt Saskia Vetter, Ökotrophologin bei der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein.
Diese Warnung spricht auch Prof. Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) aus. In einer Mitteilung der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände warnt er: „Eine Selbstmedikation birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen.“
So kann die prophylaktische Einnahme von hoch dosiertem Jod bei Kleinkindern dazu führen, dass sie dadurch eine Schilddrüsenunterfunktion erleiden, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie in einer älteren Mitteilung.
Und ältere Menschen, Patientinnen und Patienten mit Schilddrüsenknoten oder Kropf geraten dadurch womöglich in eine lebensbedrohliche Überfunktion der Schilddrüse. Bei Personen, die auch ohne es zu wissen an einer Überfunktion leiden, kann diese durch hoch dosierte Jodtabletten entgleisen.
Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) weist darauf hin, dass es durch diese Eigenmedikation zu einer Vergrößerung der Schilddrüse oder einer lebensbedrohlichen Entgleisung des Stoffwechsels kommen kann.
Öffentliche Warnung im Notfall
Bei Notfällen wird die Bevölkerung über Radio, Fernsehen, soziale Medien, per Warn-App NINA des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sowie über Lautsprecherdurchsagen der örtlichen Polizei und Feuerwehr über Maßnahmen informiert. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Bundesamt für Strahlenschutz: Update: BfS beobachtet Lage in der Ukraine und am KKW Saporischschja, (Abruf: 06.03.2022), Bundesamt für Strahlenschutz
- Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie warnt vor unkontrollierter, hoch dosierter Jodeinnahme in Deutschland, (Abruf: 06.03.2022), Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie
- Bundesinstitut für Risikobewertung: Jod, (Abruf: 06.03.2022), Bundesinstitut für Risikobewertung
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.