Homöopathie – Medizin und Wunderglauben: Dr. Utz Anhalt im Gespräch mit Dr. Natalie Grams und Dr. Norbert Aust
Debatten über Homöopathie erinnern an Glaubenskriege. Homöopathie bedeutet, Kranken in starker Verdünnung die Stoffe zu verabreichen, die die Krankheit nach Meinung der Homöopathen verursachen. Wissenschaftler veröffentlichten zahlreiche Studien, nach denen dieses Konzept allen gesicherten medizinischen Konzepten widerspricht. Die Anhänger dieser Lehre berührt das nicht: Nicht alles ließe sich naturwissenschaftlich erklären, und sie würden sehen, wie ihre Zuckerkügelchen mit chemisch nicht mehr nachweisbaren Substanzen heilen. Meist sind die Fronten klar, und Anhänger wie Gegner der Homöopathie verlassen ihre Positionen nicht.
Anders Dr. Natalie Grams. Sie praktizierte lange als Ärztin mit homöopathischen Methoden. Dann recherchierte sie für ein Buch, das ursprünglich die Homöopathie verteidigen sollte. Stattdessen kam sie zu Schluss, dass es sich um eine Irrlehre handelt. Dr. Natalie Grams und Dr. Norbert Aust gründeten das Netzwerk Homöopathie, in dem sie kritisch über Homöopathie und Medizin, Wissenschaft und Religion aufklären. Dr. Utz Anhalt interviewte die Beiden für Heilpraxisnet.
Frau Grams, Sie sind Ärztin und betrieben eine homöopathisch ausgerichtete Praxis. Dann schrieben Sie ein kritisches Buch über Homöopathie („Homöopathie neu gedacht – Was Patienten wirklich hilft“, Springer Spektrum) und schlossen ihre Praxis. Wie kam das?
Dr. Natalie Grams (NG): Ich wollte ursprünglich – ausgehend von den vermeintlich wahrgenommenen Erfolgen meiner homöopathischen Tätigkeit – ein positives Buch über die Homöopathie schreiben. Um Kritikern zu zeigen, wie toll die Homöopathie und warum Kritik unangebracht ist. Doch im Laufe der Recherchen bekam ich ein ganz neues Bild der Homöopathie. Ich musste anerkennen, dass ich mich schwer getäuscht hatte, einem falschen Glauben aufgesessen war und dass sich die Erfolge der Homöopathie eher durch Psychologie als durch Hahnemanns 200 Jahre alte Ideen erklären lassen. Ich wollte und konnte meinen Patienten nach dieser Erkenntnis nicht mehr mit unhaltbaren Heilsversprechen begegnen und schloss konsequenterweise meine Praxis.
2) Frau Grams, dass ein Stoff „geistig“ wirkt, wenn er so lange verdünnt ist, bis er sich chemisch nicht mehr nachweisen lässt, widerspricht den Naturgesetzen, ist aber die Grundlage der Homöopathie. In ihrer eigenen Praxis waren sie trotz Globuli sehr erfolgreich und ehemalige Patienten überschütten Sie mit Lob. Wie kam es zu den tatsächlichen Heilungen?
Ich war zu Homöopathie-Zeiten natürlich davon überzeugt, dass es tatsächlich eine solche „Energie“ gäbe – dass sie nur wissenschaftlich nicht nicht ergründbar sei. Ich sah – wie alle Homöopathen – den Fehler auf Seiten der Wissenschaft und nicht auf Seiten Hahnemanns oder der Homöopathie. Heute weiß ich, dass Naturgesetze gültig sind und dass Potenzieren keine Energie sondern nur eine Verdünnung erzeugt. Die Besserungen, die Patienten unter einer homöopathischen Behandlung erleben, lassen sich durch psychologische Effekte erklären, wie z.B. dem Placeboeffekt und stammen vielmehr aus dem Setting und der Therapeut-Patienten-Beziehung als aus einer spezifisch arzneilichen Wirkung der Globuli. Zudem treten bei einer intensiven Selbstbeobachtung und nach einer gewissen vergangenen Zeit immer Veränderungen auf – natürlich auch positive. Heute sage ich gerne: Unter Homöopathie treten Heilungen durchaus auf – aber nicht durch Homöopathie.
Herr Aust, Sie und Frau Grams gehören zu den Initiator_innen des „Netzwerks Homöopathie“, das sich kritisch mit Homöopathie auseinander setzt und auf einer Website netzwerk-homoeopathie.eu. Warum gründeten Sie dieses Netzwerk, was möchten Sie damit erreichen, und worin sehen Sie die Notwendigkeit?
NA: Die Homöopathie ist eine überholte Heilslehre aus vorwissenschaftlicher Zeit, deren Grundannahmen im kompletten Widerspruch zum naturwissenschaftlichen und medizinischen Wissen stehen. Nur hat der Patient kaum eine Möglichkeit, sich davon ein zutreffendes Bild zu machen. In den einschlägigen Medien wird ein positiv überzeichnetes Bild gezeichnet, die Wirksamkeit mit logischen Fehlschlüssen und unzutreffenden Analogien begründet. Alle möglichen Institutionen, z.B. Volkshochschulen, kirchliche Träger, Landwirtschaftskammern bieten Kurse an und empfehlen die Anwendung. Selbst Apotheken und Ärzte lassen sich vor den Karren spannen. Per Arzneimittelgesetz wird die Homöopathie im Gesundheitssystem festgeschrieben, pikanterweise allerdings ohne eine Nachweispflicht zu fordern, die ansonsten beispielsweise jeder Lebensmittelhersteller befolgen müsste, wenn er mit gesundheitsbezogenen Aussagen für seine Produkte wirbt. Ärztekammern bieten Weiterbildungen zum Homöopathen an, in der Approbationsordnung und in der Folge auch an Universitäten wird die Homöopathie als Studienfach eingeführt, die Krankenkassen übernehmen die Kosten.
Wie soll sich also ein Patient, der sich informieren will, an zutreffende, nicht von offenkundig wirtschaftlichen Interessen getragenen objektive Informationen kommen? Schon in meinem Buch und auf meinem Blog habe ich versucht, diesem Mangel abzuhelfen, Unser Netzwerk ist die Fortsetzung dieser Aktivitäten auf einer breiteren Basis. Dies erscheint mir sehr wichtig, denn die Institutionen des Gesundheitswesens, die uns eigentlich vor Quacksalberei und Scharlatanerie schützen sollen, versagen bislang kläglich. Die Initiative des G-BA ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
NG: Für mich persönlich ist die Motivation, dass ich mich – sogar als Ärztin – so getäuscht habe in den wohlklingenden Behauptungen der Homöopathie. Ich möchte gerne dazu beitragen, dass das anderen nicht auch so geht, oder dass sie zumindest die richtigen Informationen erhalten, die ihnen helfen können, die Homöopathie neu zu beurteilen. Ich sehe, dass sowohl Therapeuten als auch Patienten viel über die Homöopathie zu wissen glauben, dass sie aber nicht kritisch genug hinterfragen ob das auch stimmt. Hier möchte das INH helfen, Klarheit zu schaffen und bitter nötige Aufklärungsarbeit zu leisten.
Frau Grams, Sie sind studierte Ärztin, kennen also den Unterschied zwischen empirischer Wissenschaft und Hokuspokus ebenso wie die Wirkung von Placebos und auch den Unterschied zwischen medizinisch wirksamen Stoffen und einer Psychotherapie. Wie erklären Sie sich, auch aus eigener Erfahrung, dass naturwissenschaftlich gebildete Ärzte Homöopathie anwenden?
NG: Ich bin mir sicher, dass die meisten Kollegen Homöopathie nur vom Hörensagen kennen und mit falschen Assoziationen wie „natürlich“ und „sanft“ in Verbindung bringen. Da man sich nicht gut auskennt, möchte man tolerant sein, und kaum jemand hat sich mit den Grundlagen der Homöopathie wirklich beschäftigt. Und dazu kommt, dass Ärzte nicht besonders wissenschaftlich ausgebildet sind. Die Naturwissenschaften kommen im Vorklinikstudium natürlich vor, aber wissenschaftliches Denken wird kaum gelehrt. Man entscheidet sich als Arzt nach dem Ende des Studiums, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen oder eine praktische.
Frau Grams, Herr Aust, überall, wo Naturheilkunde angesagt ist, schwimmt auch die Homöopathie mit. Naturheilkunde im engen Sinn bezeichnet zum Beispiel Heilpflanzen, deren Wirkung meist auch wissenschaftlich belegt ist. Wenn Seeleute frische Früchte aßen und so Skorbut vorbeugten, widerspricht das nicht der Naturwissenschaft. Ist Homöopathie überhaupt Naturheilkunde, also Medizin mit den Mitteln der Natur?
NA: Aus meiner Sicht liegt das Problem bei der Homöopathie nicht auf dem Wortbestandteil der ‘Natur’ sondern in der ‘Heilkunde’, auch wenn man sich schon fragen kann, ob Elektrizität, Vakuum oder Berliner Mauer tatsächlich Naturstoffe sind. Jedwede Heilkunde ist damit verbunden, dass eine Wirkung auf den Patienten ausgeübt wird, die von etwas ausgeht, das wirksam ist. Das müssen nicht unbedingt Wirkstoffe sein, auch Wärme, körperliche Einflussnahme (Massagen), oder Gespräche sind als Träger einer positiven oder negativen Wirkung bekannt. In der Homöopathie, die sich als Arzneimitteltherapie versteht, ist genau dies nicht der Fall. In mittleren Potenzen ist der Wirkstoff in kaum mehr messbaren Mengen enthalten, in Hochpotenzen gar nicht mehr, obwohl gerade diese Präparate angeblich eine gesteigerte Wirksamkeit aufweisen. Die Homöopathie ist also eine Heilslehre, die davon ausgeht, dass Verdunstungsrückstände von geschütteltem Wasser auf Zucker eine spezifische Wirksamkeit aufweisen, die von der nicht vorhandenen Urtinktur ausgeht. Diese können so natürlich sein wie sie wollen: Es ist keine reale Heilkunde.
NG: Sie sprechen da einen der Hauptirrtümer der Homöopathie und der Homöopathie-Wahrnehmung an. Wir vom INH wollen deshalb erreichen, dass hier endlich klar getrennt wird: Naturheilkunde kann spezifische Wirkungen entfalten und ist Basis vieler unserer normalen Medikamente (z.B. Penicillin, Digitalis), Homöopathie ist Humbug aus längst vergangenen Zeiten und hat mit Medizin und Natur im doppelten Sinne nichts zu tun.
Frau Grams, Herr Aust. Der Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843) dachte sich die Homöopathie aus. Er hing einer Vorstellung der Medizin des Mittelalters an: Die Tollkirsche hilft gegen Tollwut, dachten unsere Vorfahren, weil beide „toll“ machen, und Hahnemann empfahl sie gegen Verwirrung und Fieber (Tollheit). Er suchte nach Substanzen, die ähnliche Symbole verursachen wie die des Patienten, verdünnte diese dabei aber so, dass die Substanz chemisch nicht mehr existierte. Eine 1:1.000.000 Verdünnung wird auf Zuckerkügelchen, die Globuli getropft. Es geht um den „Geist“, die „Information“ der Substanz. Solche „geheimen“ Informationen sind in der Esoterikszene sehr beliebt – mal kommen sie von Engeln, dann von Geistern, dann aus dem Kosmos. Handelt es sich also bei Homöopathie um Religion statt um wissenschaftliche Medizin?
NA: Bei aller Kritik an der Homöopathie sehen wir doch in Hahnemann eher jemanden, der die Methoden seiner Zeit angewendet hat, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Er hatte ja gar keine Möglichkeit, seine Irrtümer zu erkennen, denn die Falsifikation als wesentliches wissenschaftliches Prinzip wurde erst lange nach seinem Tod in die Wissenschaftstheorie eingeführt. Dass er den Wirkstoff aus seinen Präparaten vollkommen hinaus verdünnte, konnte er nicht wissen. Das Problem sind seine Nachfolger. Anstatt die Lehre Stück für Stück dem zunehmenden Wissen der Medizin anzupassen – was bedeutet hätte, große Teile als Irrtümer anzuerkennen – hat man diese aufrecht erhalten und immer neue Begründungen gesucht, die naturgemäß außerhalb der Wissenschaft liegen.
Damit entstand im Laufe der Zeit durchaus ein Gebilde, das einer Religion nicht unähnlich ist. Ein charismatischer unfehlbarer Gründer, sakrosankte Bücher, die auf diesen Gründer zurückgehen und per se als richtig gelten, die Einteilung in Gläubige und Ungläubige und nicht zuletzt der Umgang mit Abtrünnigen der reinen Lehre deuten schon in diese Richtung.
NG: Absolut. Jedoch sind Religionen klar erklärter Glaube, die Homöopathie tut jedoch so, als sei sie Wissenschaft und Medizin. Homöopathie hält sich so standhaft in der Mitte unserer Gesellschaft weil Therapeuten und Patienten an sie glauben. Selbst die logischsten und stringentesten Argumente können einen Gläubigen nicht überzeugen. Das merken wir ja in jeder Diskussion mit Anhängern der Homöopathie.
Frau Grams, Herr Aust. Patienten berichten oft von einem verbesserten Zustand durch die homöopathische Behandlung. Das liegt vermutlich zum einen am Placebo-Effekt, zum anderen gehen Homöopathen meist intensiv auf ihre Patienten ein. Vollführen Arzt bzw. Heilpraktiker und Patient also in Wirklichkeit eine Gesprächstherapie, in der die Zuckerkugeln symbolische Bedeutung haben, vergleichbar den Tiergeistern im Schamanismus?
NG: In meinem Buch beschreibe ich sehr ausführlich das, was zwischen Homöopath und Patient oder auch bei der Selbstbehandlung mit Homöopathie passiert. Das therapeutische Behandlungssetting der Homöopathie bietet Zeit, individuelles Eingehen und einfach Lösungen auf sehr komplexe Fragen. Auch eine Art Handhabe über die Erkrankung zu haben und sich nicht so ausgeliefert zu fühlen, mag eine Rolle spielen. Ein bisschen Magie ist auch dabei, und das erzeugt eine Fiktion, die durchaus manchmal hilfreich sein kann. Jedoch ist eine Fiktion niemals in der Lage, eine konkrete, spezifische Therapie zu ersetzen, und diese Grenze wollen Homöopathen nicht einsehen. Und im Gegensatz zur Gesprächstherapie der Psychotherapie machen Homöopathen ja gerade nicht das Gespräch und die menschliche Interaktion oder eine Art Selbsterkenntnis verantwortlich für Veränderungen, sondern nur die Globuli. Das macht sie in der Tat einer schamanischen Suggestionspraktik ähnlich.
Frau Grams, würde eine solche psychosomatische Behandlung, sprich Psychotherapie nicht auch ohne Zuckerkugeln wirken?
NG: Ich habe nach der Erkenntnis, dass Homöopathie allenfalls wie eine unstrukturierte Gesprächstherapie wirkt, durchaus auch daran gedacht, weiter mit meinen Patienten zu sprechen, sie zu begleiten und keine Globuli zu geben. Oder Globuli zu geben, aber den Patienten zu erklären, dass es sich dabei um Placebos oder um Träger einer Suggestion („Das wird Ihnen helfen“) handelt. Das wäre Homöopathie ohne Homöopathie – brauchen wir das wirklich? Ich denke nein. Denn wir haben Medizin. Und wir haben Psychotherapie. Und: Wer glauben mag, kann in eine Kirche gehen.
Frau Grams, Herr Aust. Wie erklären Sie sich das wachsende Bedürfnis nach „Alternativmedizin“? Deutet das auf Bedürfnisse, die in der evidenzbasierten Medizin zu kurz kommen? Oder möchten Menschen an Wunder glauben?
NG: Ganz klares Ja zu dem Satz „Menschen möchten an Wunder glauben“. Und es ist ja nicht so, dass keine Wunder geschehen – auch in der Medizin ist das möglich. Aber eine Heilmethode, die auf dem Glauben an Wunder basiert ist genauso wenig zeitgemäß und hilfreich wie Heiligenbildchen im Auto statt des Anschnallgurtes.
Dass Menschen sich im medizinischen Alltag oft zu wenig gesehen fühlen, dem stimme ich zu und das bedaure ich auch sehr. Hier schlagen wir vom INH vor, dass Ärzte wieder mehr Möglichkeiten bekommen sollten, sich ihren Patienten mit Zeit für Gespräche zu widmen – und dass sie dies wieder besser abrechnen können. So ließen sich sicherlich auch viele unnötige Untersuchungen – und damit Kosten – vermeiden. Das Beste wäre, wenn gar keine Lücke entstünde, in der sich Patienten nach Alternativen sehnen können!
NA: Ich denke, Frau Grams hat das Wesentliche dazu gesagt, ich kann mich hier nur anschließen.
Frau Grams, sie sind Ärztin und praktizierten selbst Homöopathie. Dann wurden sie skeptisch. Ich kenne aber auch den umgekehrten Fall: Ein erfolgreicher Psychiater, der schmerzlich feststellte, dass psychische Störungen sich nur sehr bedingt heilen lassen, erzählt plötzlich, dass alles, was du dir wünschst, in Erfüllung geht, wenn du nur daran glaubst. „Erleuchtet“ verspielt der Arzt jetzt seine Reputation, weil er meint, sämtliche Krankheiten mit Klopfen auf Körperstellen beheben zu können.
NG: Menschen neigen nicht unbedingt in erster Linie zur Rationalität. Wir glauben gerne an Wunder, wir finden tolle Versprechungen anziehender als kritisches Denken und konsequentes Hinterfragen – wir alle. Sehr gut hat das für mich Herr Kahnemann in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ herausgearbeitet. So kann ich schon verstehen, dass man leicht auf die Seite des „intuitiven Wunderglaubens“ fallen kann – es macht schließlich viel weniger Mühe.
Eine analytische Arbeit als Psychiater über viele Jahre hinweg kostet enorm viel mentale Energie und verbraucht psychische Ressourcen. Immer stärker werden jetzt die Vorschläge des angeborenen schnellen Denkens, einen Sinn herzustellen statt die ermüdende Arbeit fortzusetzen, deren Resultate nur wenig Erfolg bringen.
Ist dieser Drang unseres intuitiven Denkens nach Sinn und schnellen Lösungen vielleicht eine Erklärung für den Boom der Pseudomedizin? Wenn ja, wie ließe sich dem entgegen steuern?
NG: Genau so würde ich das auch formulieren. Einen Ansatz sehe ich darin, den Menschen mehr bewusst zu machen, dass es diese zwei verschiedenen Arten des Denkens gibt – und welches wir wann einsetzen sollten.
Herr Aust, Frau Grams. Wie kommt es, dass die Homöopathie eine Sonderstellung im Arzneimittelrecht genießt? Bei jeder Heilpflanze, die Indigene am Amazonas seit Jahrhunderten als Medizin einsetzen, muss ihre Wirkung erst wissenschaftlich belegt werden, bevor sie als Arzneimittel anerkannt ist.
NA: Warum dann die Homöopathie in das Arzneimittelrecht aufgenommen wurde, ist aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar. Offenbar geht dies auf Veronika Carstens zurück, der Frau des früheren Bundespräsidenten Karl Carstens. Sie war Anhängerin der Homöopathie und hat ihre Stellung dazu genutzt, zusammen mit ihrem Mann, 1982 eine Stiftung zur Förderung der Homöopathie und der Naturheilkunde ins Leben zu rufen. Diese Stiftung hat ihre Aufgabe sehr gut erfüllt. Auch die Einführung des Binnenkonsenses 1997 geht auf eine Einflussnahme interessierter Kreise auf die Gesetzgebung zurück. 2001 wurde eine europäische Verordnung übernommen, die eine vereinfachte Registrierung anstelle einer an einen Wirksamkeitsnachweis gebundene Zulassung etabliert hat. Wobei natürlich auch die europäische Regelung vermutlich auf ähnliche Aktivitäten zurückgeht.
Dies klingt alles mehr oder weniger nach Verschwörungstheorie, ist aber die einzige denkbare Erklärung.
NG: Man übte sich in den 80-90-iger Jahren in vermeintlicher Toleranz und dem Glauben, dass Medizin ja auch Erfahrungsheilkunde sei. Das stimmt ja auch in gewisser Weise. Doch wir haben klinische Studien doch gerade dafür erfunden und immer weiter entwickelt, um möglichst objektive Schlüsse aus Einzelerfahrungen zu ziehen. Schaut man sich die Studien zur Homöopathie an, so zeigen sie, je besser und umfassender sie gemacht sind, dass die Erfahrungen mit der Homöopathie einer Scheintherapie entsprechen. Eine rechtliche Sonderstellung ist deshalb heute nicht mehr haltbar.
Anhänger von Homöopathie, Heilen durch Hand auflegen, katholische Marienverehrer oder Menschen, die an geheimnisvolle Erdstrahlen glauben, sagen oft: „Ich weiß zwar nicht genau, warum es hilft, aber entscheidend ist, dass es hilft.“ Stimmt das?
NG: Ich habe mich als Homöopathin auch immer auf diesen mir damals pragmatisch vorkommenden Satz zurückgezogen. Doch wir sehen in unabhängigen Überprüfungen (klinische Studien, systematische Reviews) eben gerade nicht, dass die Homöopathie besser als eine Placebotherapie wirkt. Es gibt eine ganze Reihe von normalen Medikamenten, bei denen wir auch noch nicht genau wissen warum und wie sie genau wirken – aber wir können dort nachweisen, dass sie wirken. Das kann die Homöopathie nicht und der Satz ist einfach falsch. Einzelbeobachtungen sind eine tolle Sache und wenn man derjenige ist, der meint, ein „Wunder“ erlebt zu haben, dann ist das fast nicht auszuräumen. Aber wenn wir überprüfen, ob solche Wunder in der Homöopathie regelhaft vorkommen, dann ist das Ergebnis: Nein.
Herr Aust, Frau Grams. Wie ist die Resonanz auf ihre Website?
NA: Erstaunlicherweise überwiegen die positiven Rückmeldungen, also Anfragen, wie man uns unterstützen kann. Besonders freut uns, wenn Universitätsprofessoren und tätige Ärzte uns in unseren Ansichten bestätigen. Natürlich gibt es auch gegenteilige Äußerungen, aber die bleiben, anders als bei den in Internetforen, weitgehend im sachlichen Rahmen. Wobei immer wieder die gleichen Standardargumente angeführt werden.NG: Vor allem von Presseseite erfahren wir eine großartige Resonanz. Es ist, als ob endlich das Tor hin zu einer sachlichen aber gleichwohl freundlichen, wertschätzenden Aufklärung über Homöopathie geöffnet wurde. Daran wollen wir konsequent weiter arbeiten.
Wir danken für das Interview! Im Teil II werden wir mit Befürwortern ein Interview führen. (Dr. Utz Anhalt)
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