Künstlicher Multiorgan-Chip ersetzt Tierversuche
07.02.2015
Experten zufolge ist ein Großteil der Tierversuche bereits heute weitgehend überflüssig. Doch trotzdem müssen weltweit noch immer unzählige Tiere für die Erprobung von Arzneimitteln oder Kosmetika sterben. Ein neu entwickelter Multiorgan-Chip könnte die heftig kritisierten Versuche in Zukunft überflüssig machen.
Neu entwickelter Multiorgan-Chip
Seit Jahrzehnten wird in der medizinischen Forschung aber auch beispielsweise für die Erprobung von Kosmetika auf Tierversuche zurückgegriffen. Millionenfach werden im Namen der Wissenschaft Tiere gequält und getötet. Ein neu entwickelter Multiorgan-Chip könnte dazu beitragen, dass es künftig weniger Tierversuche geben wird. Wie es in einer Presseerklärung des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff und Strahltechnik (IWS) heißt, haben Forscher jetzt „eine neuartige Lösung entwickelt, die Tierversuche in der medizinischen Forschung oder in der Kosmetikindustrie überflüssig machen könnte“.
Alternativen zu Tierexperimenten
Wissenschaftler arbeiten weltweit an Alternativen zu Tierexperimenten. Vor allem bei Arzneien sei dies oft schwierig. „Die meisten Medikamente wirken systemisch, also auf den gesamten Organismus. Dabei entstehen oftmals erst durch Stoffwechselvorgänge toxische Substanzen, die wiederum nur bestimmte Organe schädigen“, erklärt Dr. Frank Sonntag vom IWS. Gemeinsam mit dem Institut für Biotechnologie der TU Berlin haben die Forscher des Dresdener Instituts einen Multiorgan-Chip entwickelt, der die komplexen Stoffwechselvorgänge im menschlichen Körper verblüffend genau nachstellt. „Unser System ist ein Miniorganismus im Maßstab 1:100 000 zum Menschen“, erläutert Sonntag.
Wirkstoffe von neuen Medikamenten testen
Den Angaben zufolge lassen sich in dem Chip an mehreren Positionen menschliche Zellen aus verschiedenen Organen aufbringen. Diese „Mini-Organe“ sind durch winzige Kanäle miteinander verbunden. „Damit simulieren wir den menschlichen Blutkreislauf“, so Sonntag. Eine Mikropumpe befördert, ähnlich wie das menschliche Herz, ständig flüssiges Zellkulturmedium durch feine Mikrokanäle. Die Forscher des IWS können den genauen Aufbau des Chips spezifisch an unterschiedliche Fragestellungen und Anwendungen anpassen. Damit lassen sich sowohl Wirkstoffe von neuen Medikamenten testen als auch Kosmetika auf ihre Hautverträglichkeit untersuchen.
Stoffwechselreaktionen wie im menschlichen Körper
Die Pumpe kann winzigste Fördermengen von unter 0,5 Mikroliter pro Sekunde durch die Kanäle schleusen. „Dadurch ist das Verhältnis zwischen Zellprobe und flüssigem Medium realitätsgetreu“, so Sonntag. Wenn dieses Verhältnis nicht stimmt, führt dies zu ungenauen Ergebnissen. Des weiteren sorgt das neue System für eine Strömung – wie das menschliche Blut fließt das Medium kontinuierlich durch den gesamten Kreislauf auf dem Chip. Dies ist wichtig, weil manche Zelltypen sich nur dann „authentisch“ verhalten, wenn sie durch eine Strömung angeregt werden. Die Forscher bestücken den Chip zunächst mit verschiedenen Zellproben, um die Wirkung einer Substanz zu testen. Danach wird der zu testende Wirkstoff über das Medium der Zellprobe desjenigen Organs zugeführt, an dem der Stoff im menschlichen Körper in den Blutkreislauf eintreten würde, beispielsweise Zellen aus der Darmwand. Dann laufen auf dem Chip die gleichen Stoffwechselreaktionen wie im menschlichen Körper ab.
Aussagekräftiger als Tierexperimente
„Wir verwenden Zellproben unterschiedlicher Geschlechter und Ethnien. Variationen von Körpergröße und -gewicht können wir im Maßstab von 1:100 000 beliebig nachstellen“, erläutert Sonntag. Die Wissenschaftler sehen genau, welche Stoffwechselprodukte sich in bestimmten Zellproben bilden und ob und welche Auswirkungen dies auf andere Zellen hat. Letztlich sind die Ergebnisse sogar aussagekräftiger als Tierexperimente: Denn die Wirkungen auf den Körper einer Maus oder Ratte lassen sich nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen. Wie es heißt, ist der künstliche Organismus bei einigen Unternehmen, etwa in der Kosmetikindustrie, bereits im Einsatz.
Wissenschaftler mit Tierschutz-Forschungspreis ausgezeichnet
Die Wissenschaftler wurden für ihre neue entwickelte Chiptechnik mit dem Tierschutz-Forschungspreis 2014 ausgezeichnet. Die Technische Universität (TU) Berlin, die an der Entwicklung der neuen Technologie beteiligt war, ist mit verschiedenen anderen Einrichtungen, wie der Freien Universität (FU) Berlin, der Charité Universitätsmedizin, der Universität Potsdam und dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) im Forschungsverband „BBR3“ zusammengeschlossen, der sich zum Ziel gesetzt hat, Alternativmethoden zu den Tierversuchen zu entwickeln. (ad)
Bild: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de
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