Lässt sich vorhersagen wer Suizidgedanken Taten folgen lässt?
Experten zufolge entwickeln bis zu zehn Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens Suizidgedanken. Lässt sich aber auch vorhersagen, wer von ihnen diesen Gedanken Taten folgen lässt?
Allein in Deutschland nehmen sich jährlich 10.000 Menschen das Leben
Einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge findet weltweit alle 40 Sekunden eine Selbsttötung statt. Allein in Deutschland nehmen sich jährlich rund 10.000 Menschen das Leben. Bekannt ist, dass unter anderem ältere Männer besonders suizidgefährdet sind. Zudem zeigte eine vor kurzem veröffentlichte Untersuchung, dass Menschen mit Geldsorgen vermehrte Suizidgedanken haben. Ist es aber auch möglich, vorherzusagen, wer sich wirklich das Leben nehmen will?
Das Risiko suizidalen Verhaltens abschätzen
Laut einer Mitteilung der Universität Leipzig entwickeln etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens Suizidgedanken.
Der aktuellen Forschung zufolge ist jedoch eine genaue Vorhersage, wer diesen Gedanken auch Taten folgen lässt, nicht sicher möglich.
Dennoch brauchen Ärzte und Therapeuten Anhaltspunkte, um das Risiko suizidalen Verhaltens abschätzen zu können.
Wissenschaftler der Leipziger Universitätsmedizin untersuchen eine Theorie zur Vorhersage von suizidalen Gedanken und Handlungen.
Experten müssen anhand von bestimmten Faktoren das Risiko einschätzen
Wann sollte ein suizidgefährdeter Patient stationär aufgenommen und versorgt werden? Darf ein Patient die Klinik über das Wochenende verlassen oder ist die Gefahr eines Suizids zu hoch?
Diese Fragen müssen Ärzte und Therapeuten regelmäßig beantworten und anhand von bestimmten Faktoren das Risiko einschätzen.
Zwar gibt es etablierte Risikofaktoren für suizidale Handlungen, wie männliches Geschlecht, Drogenabhängigkeit oder ein bereits erfolgter Suizidversuch.
Doch deren praktische Bedeutung ist für die Vorhersage von suizidalen Handlungen im Einzelfall kritisch zu sehen.
„Die Studienlage aus den vergangenen Jahrzehnten ist eindeutig: Wir können einen Suizid bislang nicht sicher vorhersagen“, sagt Prof. Dr. Heide Glaesmer, Psychologische Psychotherapeutin und stellvertretende Abteilungsleiterin der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie.
„Wir wollen die Vorhersage von suizidalen Handlungen verbessern und untersuchen deshalb Theorien suizidalen Verhaltens in empirischen Studien.“
Theorie suizidalen Verhaltens empirisch geprüft
In einer aktuellen Untersuchung prüften Wissenschaftlerinnen die Evidenz zur Interpersonalen Theorie suizidalen Verhaltens von Thomas Joiner.
Diese besagt, dass drei Komponenten einen möglichen Suizid bedingen: Betroffene empfinden sich als Last für andere und fühlen sich keiner wertgeschätzten Gruppe der Gesellschaft zugehörig.
Der dritte Aspekt beschreibt die „capability for suicide“, also die Fähigkeit durch Suizid zu sterben. Denn nicht jeder Mensch ist in der Lage, sich Schmerzen und Verletzungen zuzufügen, die zum Tod führen können.
Diese Eigenschaft können Betroffene etwa durch traumatische Erfahrungen wie Missbrauch oder Krieg erwerben, aber auch durch bereits erfolgte Suizidversuche. Die Theorie ging bislang davon aus, dass sie erworben wird und dann zeitlich eher stabil bleibt.
Patienten per Smartphone zu Befinden befragt
Die Studie der Leipziger Wissenschaftler zeigt etwas Anderes: Die Fähigkeit, sich selbst diese Verletzungen zuzufügen, kann von Tag zu Tag variieren.
Stationäre Patienten, die an Depressionen litten und Suizidgedanken hatten, nahmen an der Studie teil.
Für die Untersuchung wurden sie an sechs Abenden hintereinander per Smartphone um eine Einschätzung gebeten, ob sie heute großen körperlichen Schmerz hätten aushalten können und wie furchtlos sie heute gegenüber dem Tod waren.
„Ein gewisser Prozentsatz der Probanden hat immer gleich geantwortet. Die Mehrheit hingegen gab jeden Tag eine etwas andere Antwort“, erklärt Dr. Lena Spangenberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin der Studie.
„Die Fähigkeit, durch Suizid zu sterben, hat somit nicht ausschließlich mit den vorangegangen Lebensereignissen und -erfahrungen zu tun, sondern auch mit dem aktuellen Befinden“, so die Expertin.
Derzeit wird eine weitere Studie durchgeführt
Aktuell wird eine weitere Studie gemeinsam mit Kollegen aus Aachen und Bochum durchgeführt.
In dieser wurden rund 300 Patienten, die nach einem Suizidversuch oder wegen akuter Suizidalität in psychiatrische Kliniken aufgenommen wurden, befragt.
Sie werden nun nach sechs, neun und zwölf Monaten erneut befragt.
Ziel dieser Studie ist es, die Bedeutung der Interpersonalen Theorie suizidalen Verhaltens für die Vorhersage von Suizidalität in dieser Hochrisikogruppe genauer unter die Lupe zu nehmen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.